Bochum. Tanja S. lebt mit den Folgen einer HPV-Infektion. Sie steckte sich in einer Psychiatrie an, hoffte auf Heilung – da begann die Odyssee.

„Ich war fertig, bin wegen Burnout in die Psychiatrie, doch dann hat die eigentliche Odyssee begonnen“, erzählt Tanja S. Mit 40 Jahren erkrankt die heute 48-Jährige an HPV (Humane Papillomviren). Darauf folgt ein Jahr voller Therapien und Operationen, die ihr Leben verändern werden. Erst als sie zu der Ärztin Anja Potthof in das WIR - Walk In Ruhr, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, kommt, kann ihr geholfen werden. Der WAZ-Redaktion erzählt sie ihre Geschichte.

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Ansteckung mit HPV auf der Psychiatrie-Toilette

Kurz nach ihrem 40. Geburtstag im Jahr 2016 brechen Condylome bei Tanja S. aus, sogenannte Feigwarzen, also kleine Erhebungen auf der Haut. Als sie sich bei einer Ärztin vorstellt, kommt die Diagnose: HPV. Diese sind hochansteckend und die am häufigsten sexuell übertragene Virus-Infektion, sagt das Gesundheitsamt Bochum. Langfristig können einige Typen des HP-Virus Gebärmutterhalskrebs oder andere Krebsarten verursachen.

„Bei mir ist der Worst Case eingetreten.“
Tanja S. (48)

Für Tanja S. ein Schock. Angesteckt habe sie sich vermutlich auf der Toilette der psychiatrischen Einrichtung, in der sie damals in Behandlung war. Drei weitere Patientinnen hätten sich ebenfalls infiziert, erzählt sie. Im Gegensatz zu den anderen Frauen helfen ihr Salben oder das Vereisen der Warzen nicht. „Bei mir ist der Worst Case eingetreten.“

Multiple Erkrankungen erschweren die Heilung: „Ich dachte, ich sterbe“

Ihr Alltag ist von multiplen Erkrankungen geprägt, welche die Behandlung ihrer HPV-Infektion erschweren. „Ich habe eine halbe Seite Diagnosen“, sagt sie. Darunter eine chronische Hepatitis B seit ihrer Geburt, Schuppenflechte und die Autoimmunerkrankung Lupus. Für die jeweilige Behandlung seien die wechselseitigen Wirkungen ein großes Problem: „Krankheit A darf nicht in die Sonne, Krankheit B kann nur mit Sonne geheilt werden.“

„Ich dachte, ich sterbe.“
Tanja S. (48)

Im Falle ihrer HPV-Infektion bilden sich Genitalwarzen und „fressen tiefe Löcher in die Haut“. Die Schmerzen seien enorm gewesen, erzählt Tanja S. „Ich dachte, ich sterbe.“ Schließlich muss sie operiert werden. Doch kurz darauf kommen die Condylome wieder, denn nicht an allen Stellen wurden die Warzen entfernt. Das Szenario wiederholt sich.

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Mittel wie Kortison, die sie für andere Erkrankungen wie Schuppenflechte bekommt, sind ein zusätzlicher Nährboden für die Condylome, und treffen auf ein bereits geschwächtes Immunsystem. Am Ende sei sie 18 Mal operiert worden, erinnert sich Tanja S., ebenso viele Male hätten sich die Condylome erneut eingenistet. Immer wieder sei sie zwischen Gynäkologie und Hautarzt hin- und hergeschickt worden, die die Wechselwirkungen ihrer Medikamente und Krankheiten nicht vollumfänglich mitgedacht hätten.

HPV-Infektion in der Medizin: „Ich musste mir viel gefallen lassen“

„Ich musste mir viel gefallen lassen.“ Teilweise hätten sich Ärzte geweigert, sie zu behandeln, sagt Tanja S. „Niemand hat sich verantwortlich gefühlt.“ Durch die vielen Operationen bildet sich Narbengewebe an ihrem Schließmuskel, weshalb dieser entfernt werden muss. Sie wird inkontinent, muss sich darauf konditionieren, feste Essenszeiten einzuhalten und nur noch bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen.

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Auch die Angst davor, ihre Kinder anzustecken, treibt sie um: „Als ich die Pocken entdeckt habe, hatte ich direkt Angst, jemandem zu schaden. Danach war alles steril.“ Es dauert zwei Jahre, bis sie sich wieder heraustraut. Bis heute bewegt sich die gelernte Sozialpädagogin eingeschränkt durch das Leben. „Ich würde so gerne acht Stunden arbeiten“, sagt Tanja S. Seit ihrer Erkrankung und den Folgen durch die Behandlungen sei das nicht mehr möglich. Zurzeit arbeitet sie nachts drei Stunden als Zeitungszustellerin.

Nach 18 Operationen kommt sie in das WIR-Zentrum in Bochum

Als sie wieder in einer Klinik, diesmal dem Josef-Hospital in Bochum, ist und operiert werden soll, weigert sie sich schließlich zum ersten Mal: „Ich wollte das nicht noch ein x-tes Mal machen.“ An dieser Stelle, elf Monate nachdem die Condylome das erste Mal aufgetreten sind, wird Anja Potthoff hinzugezogen, die Ärztin im Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum, „WIR“.

Erstmalig wird „alles gleichzeitig und ganzheitlich vor Ort gelöst“, sagt Potthoff. Tanja S. ist sich sicher: „Ohne Frau Potthoff wäre ich wahrscheinlich nicht mehr da. Ich bin unglaublich dankbar.“

Das Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin „Walk in Ruhr“ WIR berät – ganz zentral in Bochums Innenstadt an der Große Beckstraße 12 gelegen – Menschen rund um das Thema Sexualität.
Das Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin „Walk in Ruhr“ WIR berät – ganz zentral in Bochums Innenstadt an der Große Beckstraße 12 gelegen – Menschen rund um das Thema Sexualität. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Ihre Erfahrungen möchte sie anderen Menschen ersparen. „Man ist nie zu alt, um sich impfen zu lassen, die Folgen können so maximal groß und unnötig sein“, sagt Tanja S. Damit verweist sie auf die Schutzimpfung gegen einige Typen des HP-Virus.

Sexualität: Expertise an einem Ort vereint

Das interdisziplinäre Bochumer Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin „Walk In Ruhr“ (WIR) ist in seiner Art einmalig. In der Test-, Beratungs- und Behandlungsstelle am St. Elisabeth-Hospital des Katholischen Klinikums Bochum arbeiten zahlreiche Institutionen Hand in Hand: die Interdisziplinäre Ambulanz der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr Universität – an der das WIR angesiedelt ist –, die Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit des Gesundheitsamtes sowie die Vereine Aidshilfe Bochum, Pro Familia, Madonna und Rosa Strippe.

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