Bochum. Theresa Voß hat einen außergewöhnlichen Beruf. Sie ist „Sexual Health Adviser“ beim WIR. Von ihrer Arbeit in Bochums Schulen und Swingerclubs.
Beratung im Bordell, in der Schulklasse oder im Swinger Club: Theresa Voß macht einen ungewöhnlichen Job. Und das in einem noch ungewöhnlicheren Zentrum. Als „Sexual Health Adviser“ informiert und berät die 32-Jährige Bochumerinnen und Bochumer rund um Sex und sexuelle Gesundheit – mobil vor Ort oder in der Test-, Behandlungs- und Beratungsstelle „Walk In Ruhr“ (WIR).
Diese Bochumerin arbeitet als „Sexual Health Adviser“ im „Walk In Ruhr“ (WIR)
„Viele Menschen, die wir hier beraten, kommen her mit einem bestimmten Anliegen – beispielsweise Safer Sex oder ihre eigene Risikosituation“, sagt Voß, die in der Beratungsecke des WIR Platz genommen hat. Manche Bochumerinnen und Bochumer sitzen ihr hier öfter im Sessel gegenüber – aus Sorge vor sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) oder weil ihnen ganz andere persönliche Fragen unter den Nägeln brennen.
Sexualität: Expertise an einem Ort vereint
Das interdisziplinäre Bochumer Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin „Walk In Ruhr“ (WIR) ist in seiner Art einmalig. In der Test-, Beratungs- und Behandlungsstelle am St. Elisabeth-Hospital des Katholischen Klinikums Bochum arbeiten zahlreiche Institutionen Hand in Hand: die Interdisziplinäre Ambulanz der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr Universität – an der das WIR angesiedelt ist –, die Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit des Gesundheitsamtes sowie die Vereine Aidshilfe Bochum, Pro Familia, Madonna und Rosa Strippe.
Nicht nur ihr Berufsbild als Beraterin für Sexualität und sexueller Gesundheit findet sich in Deutschland kaum – auch das interdisziplinäre Zentrum ist in seiner Art einmalig: Im zentral gelegenen „Walk In Ruhr“ neben der Propsteikirche gegenüber des Platzes am Kuhhirten gehen viele Menschen ein und aus – denn hier können sie sich kostenfrei und anonym von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Stellen beraten und auch auf STI testen lassen. Ein Angebot, nach dem Gesundheitsbewusste in anderen Städten vergeblich suchen.
„Einige – übrigens sehr verantwortungsvolle – Menschen lassen sich ganz regelmäßig bei uns testen“, konnte Theresa Voß in den vergangenen Jahren beobachten, „Bei denen sind die Tests auf STI Teil ihrer Safer-Sex-Strategie.“
Beratung zwischen Familienplanung und „Chem-Sex“
Ob Familienplanung, die eigene Geschlechtsidentität oder „Chem-Sex“, also Sex unter Einfluss von Drogen: In den Sprechstunden des WIR kommen die ganz unterschiedlichen Aspekte von Sexualität auf den Tisch. Komme ein Bochumer mit Fragen zu Erektionsstörungen, könne dies direkt im Zentrum medizinisch abgeklärt werden. „Ich verweise aber auch gern an Pro Familia“, so die 32-Jährige. „Wir haben hier kurze Wege. Uns ist wichtig, dass die Ratsuchenden mit einer Beraterin oder Berater sprechen, bei dem sie sich wohlfühlen.“
Aufgrund dieses sogenannten „Peer-Ansatzes“ würden auch Menschen mit Fragen zu sexueller oder geschlechtlicher Identität an das Team der Rosa Strippe weitergeleitet. Voß’ Kollege vom Verein der Aidshilfe Bochum hilft dagegen bei Fragen zu Safer-Sex-Praktiken, Verhaltensprävention oder zur PrEP, einem Medikament, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen.
Bevor die Bochumerin beim Zentrum WIR als Beraterin einstieg, studierte sie Pädagogik und Gender Studies. In ihrem Team finden sich „Health Adviser“ mit Abschlüssen in Psychologie, Hebammenkunde, Sozialer Arbeit oder mit Berufserfahrung in der Pflege. Berufsbegleitend studiert Voß derzeit Soziale Arbeit und lässt sich in Systemischer Beratung ausbilden – was bei der umfangreichen Beratung im WIR helfen dürfte.
Jugendlichen würden die „lustvollen Aspekte von Sexualität sowie ,Consent’“ vermittelt
Insbesondere für die jüngere Zielgruppe thematisiert das Team auch die Themen „Bewusstsein für den eigenen Körper, die lustvollen Aspekte von Sexualität sowie ,Consent’“ – also tatsächlich einvernehmlicher Sex – in der Jugendsprechstunde dienstags und donnerstags, in Youtube-Videos auf sozialen Medien und bei Aufklärungs-Besuchen in Bochumer Schulen. Bei persönlichen Fragen zur Sexualität sei es schließlich „schön, wenn jemand von Außen kommt“ und so die Lehrkräfte auch entlastet würden. „Uns ist es wichtig, dass sie mit uns eine Verknüpfung herstellen, damit sie später im Leben, wenn mal Fragen oder Probleme auftreten, bei uns Rat suchen“, so Voß.
Vor Ort sind die „Sexual Health Adviser“ beratend auch in Bordellen im Einsatz, die Hebamme im Team kümmert sich um nicht-versicherte Frauen. Voß besucht allerdings auch Bochumer Festivals, Stadtteilprojekte, Wohngruppen und die Straßenszene, wo sie Wohnungslose und Drogen-Konsumierende berät.
Angebot des WIR für manche Bochumer „zu hochschwellig“
Diese „aufsuchende Arbeit“, die vor der Pandemie 40 bis 50 Prozent ihrer Arbeitszeit ausmachte, sei auch deshalb wichtig, weil das Angebot des Zentrums für manche „zu hochschwellig“ sei, so die Beraterin. Auf die vier gängigen STI, Hiv, Chlamyldien, Syphilis und Tripper, teste das Gesundheitszentrum im WIR zwar anonym und sofort. Für einen kostenfreien Test auf viele weitere sexuell übertragbare Krankheiten müssten die Bochumer aber ihre Versichertenkarte und eine Dermatologie-Überweisung von der Hausärztin oder anderem anderen Arzt mitbringen. „Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre das, dass wir keine ärztliche Überweisung mehr einfordern müssen“, so die Beraterin, „Das verkompliziert die Dinge.“
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Manchmal geht es für Voß und ihr „Sexual-Health-Advising“-Team auch zu Partys in Swinger Clubs. Dort stünden sie an einem Stand – ausgerüstet mit einem Quiz zu sexueller Gesundheit und bereit für Gespräche. „Dieses Gesprächsangebot wird wirklich oft wahrgenommen.“ Um viele sexuell aktive Menschen zu erreichen, sei das WIR auch auf einem Swinger-Portal aktiv. „Wir haben auch bei ,Joyclub’ ein Profil, informieren und beantworten da Fragen in Livestreams“, verrät Voß.
Sie wolle dazu beitragen, dass Bochumerinnen und Bochumer Entscheidungen zu ihrer Sexualität bestmöglich informiert treffen. „Mich fragte auch mal jemand: ,Ist es eine gute Idee in den Swinger Club zu gehen?’“, berichtet Voß, „Ich antwortete: ,Wenn es in Ihrem Kopf herumgeistert und Sie Bock darauf haben: Klar.’“