Bochum/Witten. Ein Student der Ruhr-Uni leidet an Multipler Sklerose. Auf einer Plattform bittet der Wittener um Geld für eine Therapie. Die ist umstritten.

Es war ein Zufallsbefund. Um ein paar Euro hinzuzuverdienen, hatte sich Robin Henschel im Juli 2019 an einer klinischen Studie zum Thema Reizdarm beteiligt. Bei einer Untersuchung in der MRT-Röhre entdeckten die Ärzte: Der Proband leidet an Multipler Sklerose (MS). Seither ist nichts mehr wie es war. Der 29-jährige Wittener hat den Kampf gegen die Krankheit aufgenommen – und setzt auch auf die Unterstützung der Netz-Gemeinde. Denn die Stammzellen-Therapie, die er anstrebt, ist in der Medizin umstritten und wird in Deutschland meist nicht von den Krankenkassen bezahlt. Ein Bochumer Facharzt rät zur Vorsicht.

„Man lebt mit einem Gefühl der Ungewissheit“, sagt Robin Henschel. „Man geht schlafen und hofft, dass man morgens ohne neue Symptome aufwacht. Das zerrt sehr an mir.“ Noch ist die Autoimmunerkrankung im Anfangsstadium. Doch das Taubheitsgefühl und das Kribbeln in den Gliedmaßen verstärken sich. „Man spürt: Die Schübe nehmen zu, die Entzündungen schreiten fort“, schildert der Jura-Student.

Therapie verheißt Neustart des Immunsystems

Seit Monaten läuft die klassische MS-Therapie mit Medikamenten, die die Entzündungen hemmen, die Krankheit aufhalten und deren Folgen lindern sollen. Doch Robin Henschel will mehr. In mehreren MS-Foren im Internet, in denen er unterwegs ist, hat er frühzeitig von einer Therapie erfahren, die gemeinhin bei Leukämie-Patienten bekannt ist, aber auch bei MS angewendet werden kann: die Stammzellen-Transplantation.

Dabei werden gesunde blutbildende Stammzellen des Patienten entnommen und eingefroren. Anschließend wird das fehlgeleitete Immunsystem mit einer Chemotherapie zerstört. Danach bekommt der Patient seine Stammzellen zurück. Der „Neustart“ soll ein neues, gesundes Immunsystem schaffen, das den eigenen Körper nicht mehr angreift und der MS dauerhaft den Garaus macht.

Prof. Ralf Gold ist Direktor der Neurologischen Klinik im St.-Josef-Hospital. Zu einer Stammzellen-Therapie bei MS rät er nur in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Krankheit.
Prof. Ralf Gold ist Direktor der Neurologischen Klinik im St.-Josef-Hospital. Zu einer Stammzellen-Therapie bei MS rät er nur in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Krankheit. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Bochumer Neurologie-Chefarzt mahnt zur Vorsicht

Die Stammzellen-Therapie „könnte die effektivste Behandlung der Multi­plen Sklerose sein“, berichtet das Deutsche Ärzteblatt. In einer Studie seien fast alle Patienten fünf Jahre nach der Behandlung ohne weiteren Krankheitsschub geblieben. Bei einigen soll es sogar zu einer Verbesserung der Mobilität gekommen sein. Die MS-Stiftung hingegen warnt vor den Risiken. Bis das Immunsystem nach dem „Reset“ wieder funktioniert, sei der Patient höchsten Gefahren bis hin zum Tod ausgesetzt. Hinzu komme, dass die Krankenkassen eine Kostenübernahme bislang meist ablehnten.

Zur Vorsicht mahnt auch Prof. Ralf Gold, Direktor der Neurologie im Bochumer St.-Josef-Hospital und international renommierter MS-Experte. Zwar seien die Ergebnisse der Stammzellen-Therapie unverkennbar. „Die Kosten sind auf 20.000 bis 30.000 Euro gesunken. Länder wie Großbritannien oder Griechenland setzen zunehmend darauf.“ In Deutschland gebe es aber zahlreiche und höchst effektive medikamentöse Behandlungsformen. Daher komme die Zell-Therapie nur für Patienten in Betracht, „die ständig neue Entzündungsherde entwickeln und gefährdet sind, innerhalb der nächsten fünf Jahre eine starke Behinderung zu erleiden“. Nur in wenigen Ausnahmefällen würden die Kassen zustimmen. „Sonst gibt es hierzulande risikoärmere Alternativen“, so Gold im WAZ-Gespräch.

Behandlung in Moskau soll 45.000 Euro kosten

Robin Henschel ficht das nicht an. Gerade weil die Erkrankung bei ihm nicht zu weit fortgeschritten ist, strebe er eine Stammzellen-Transplantation an. MS-Patienten haben ihm eine Klinik in Moskau empfohlen, die sich auf die Therapie spezialisiert hat. „Mehr als tausend Eingriffe sind hier in den letzten 15 Jahren erfolgt, die allermeisten mit nachhaltigen positiven Ergebnissen.“

200.000 MS-Erkrankte in Deutschland

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Das gesamte Gehirn und Rückenmark können betroffen sein.

Die Zahl der Patienten in Deutschland wird auf 200.000 geschätzt. Meist treten die ersten Symptome im Alter von 20 bis 40 Jahren auf.

Durch das eigene Immunsystem werden Teile der Nervenfasern zerstört. Dadurch kommt es – je nach Ausprägung – zu Lähmungserscheinungen; Muskeln können nicht mehr richtig koordiniert werden.

Eine Heilung ist nicht möglich. Wohl kann aber durch Medikamente und Infusionen die Erkrankung kontrolliert, der Verlauf gebremst und die Symptome gelindert werden.

45.000 Euro seien für die rund vierwöchige Behandlung in Russland erforderlich, sagt Robin Henschel. Einen Teil will er durch Nebenjobs ansparen, zuletzt als Zähler-Ableser bei den Bochumer Stadtwerken. Einen Großteil des Geldes soll eine Spendenkampagne einbringen, die er auf der Online-Plattform GoFundMe gestartet hat. Hier können Privatpersonen andere Privatpersonen unterstützen – meist für medizinische Hilfe.

Spendenkampagne auf Fundraising-Plattform

Robin Henschel weiß: Es liegt noch ein langer Weg vor ihm. Gesundheitlich ebenso wie finanziell. Der erste Schritt immerhin ist geschafft: Aktuell weist seine Seite 4040 Euro auf. „Ich habe gespendet, weil wir zusammen stehen, egal ob wir uns kennen oder nicht. Hilfe kennt keine Namen“, hat eine Nutzerin geschrieben. „Das macht Mut“, sagt Robin Henschel.