Bochum. Neue Radwege werden nicht genutzt, Staus nehmen zu. Das denken viele Menschen in Bochum. Wir räumen mit fünf hartnäckigen Vorurteilen auf.

Wo lange Autos geparkt haben, entsteht nun ein Radweg – das hat in Bochum für viel Aufruhr gesorgt. Die Sorgen: Lange Staus werden noch länger und Parkplätze genommen, obwohl es kaum welche gibt. Ein weiteres Vorurteil lautet: Radwege werden gebaut, aber dann gar nicht genutzt. Was ist daran?

Unsere Redaktion hat Iris Mühlenbruch, seit 2012 Professorin für Verkehrswesen und nachhaltige Mobilität an der Hochschule Bochum, gefragt. Unser Faktencheck gibt Antworten – aus wissenschaftlicher Perspektive.

Warum werden in Bochum Parkplätze zu Radwegen umgebaut? Die nutzt doch eh kaum jemand.

Iris Mühlenbruch: Radverkehrsplanung ist eine sogenannte Angebotsplanung. Beispiele aus anderen Städten zeigen eindeutig, dass neue (und komfortable) Radverbindungen das Radverkehrsaufkommen erhöhen. Seitens der Hochschule haben wir das beispielsweise für Köln und Dortmund zeigen können: Ein gutes Angebot führt zu mehr Radfahrenden. Der öffentliche Straßenraum ist knapp und muss vielen Ansprüchen entsprechen. Für den Fuß- und Radverkehr stehen insgesamt vergleichsweise zu wenig Flächen zur Verfügung. Dabei würden mehr Flächen für Fuß- und Radverkehr eine höhere Lebens- und Aufenthaltsqualität in den Städten bedeuten. Interessant finde ich, dass Städte auf der ganzen Welt dabei sind, Pkw-Stellplätze für andere Zwecke umzunutzen.

Mehr zum Thema

Aber wohin dann mit den all den Autos? Es werden schließlich immer mehr in Bochum.

Iris Mühlenbruch: Häufig ist es unproblematisch, wenn einzelne Stellplätze umgenutzt werden, da in der fußläufigen Umgebung Abstellmöglichkeiten vorhanden sind, zum Beispiel Parkhäuser oder Parkplätze. Im Einzelfall kann das durch Parkraumerhebungen nachgewiesen werden. Häufig sieht man dann, dass es noch Reserven gibt, vor allem wenn kurze Fußwege in Kauf genommen werden können. Natürlich wäre das langfristige Ziel, die Anzahl der Pkw zu reduzieren und Wege vom Kfz auf das Fahrrad zu verlagern. Dafür müssen aber die Alternativen attraktiv sein. Der Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur, also sichere und komfortable Radverbindungen, stellen einen wichtigen Baustein dar.

+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Bochum verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter! +++

Wenn Fahrspuren zu Radwegen werden, gibt es viel mehr Stau in der Stadt. Oder?

Iris Mühlenbruch: Es hängt natürlich damit zusammen, inwieweit das Radfahren eine attraktive Alternative zum Pkw darstellt und von den Menschen auch genutzt wird. Auf einem Radweg können auf gleicher Fläche deutlich mehr Personen befördert werden als auf einer Kfz-Spur. Auch können auf einem Kfz-Stellplatz mindestens vier Fahrräder komfortabel abgestellt werden. Damit ist das Fahrrad das effizientere Verkehrsmittel. In den Niederlanden wurde der Radwegebau übrigens aus einem Anti-Stau-Programm finanziert.

Führen weniger Fahrspuren und mehr Radwege zu mehr Stau? Das hänge auch damit zusammen, ob der Umstieg vom Pkw auf das Fahrrad eine attraktive Alternative ist, so Iris Mühlenbruch von der Hochschule Bochum.
Führen weniger Fahrspuren und mehr Radwege zu mehr Stau? Das hänge auch damit zusammen, ob der Umstieg vom Pkw auf das Fahrrad eine attraktive Alternative ist, so Iris Mühlenbruch von der Hochschule Bochum. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Eine Mobilitätswende sollte aber alle zufriedenstellen – und nicht nur die, die gerne mit dem Fahrrad fahren.

Iris Mühlenbruch: Eine Mobilitätswende würde ja vielfältige Nutzen bringen: mehr Verkehrssicherheit, weniger Lärm, weniger Luftschadstoffen und mehr Raum für Menschen. Gerade auch Kinder und ältere Menschen würden sehr davon profitieren, wenn dabei auch Flächen frei werden für Bepflanzung und Begrünung, das sind wichtige Maßnahmen, um die Städte an den Klimawandel, in diesem Fall an Hitze in der Stadt anzupassen.

Für geeignet halte ich das Instrument des „Verkehrsversuchs“, hier kann für eine begrenzte Zeit z. B. eine neue Radspur getestet werden. Anwohnerinnen und Anwohner sollten dann befragt und der Verkehr vorher und nachher objektiv gemessen werden. Dann gibt es eine gute Entscheidungsgrundlage, ob die Maßnahme dauerhaft eingerichtet werden soll, oder eben nicht. Auch bei Straßenbahnen gab es in der Vergangenheit viel Widerstand, nach zwei, drei Jahren war die Zustimmung dann aber sehr groß und viele wollen nicht mehr, dass sie weggenommen wird.

Ich würde nicht sagen, dass Bochum schlecht dasteht, aber objektiv kann man sagen, dass andere Städte weiter sind.
Iris Mühlenbruch - Professorin für Verkehrswesen und nachhaltige Mobilität

In Bochum läuft es mit der Verkehrswende noch ziemlich schlecht.

Iris Mühlenbruch: Ich würde nicht sagen, dass Bochum schlecht dasteht, aber objektiv kann man sagen, dass andere Städte weiter sind. Unter anderem in Bochum wurde in den 1960er und 1970er Jahren das Konzept autogerechte Stadt erfolgreich umgesetzt. Wenn große Straßen einmal da sind, dauert es und ist mühsam, sich davon wegzuentwickeln. Der Modal Split, also der Anteil des Fahrrads im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln, liegt in Bochum bei circa sechs Prozent. Münster hat über 30 Prozent, Düsseldorf zum Beispiel rund 16 Prozent. Woanders werden mehr Wege mit dem Rad zurückgelegt. Bochum hat viel Potenzial für mehr Radverkehr, insbesondere die Pedelecs bieten neue Chancen. Allerdings ist auch ein guter, verlässlicher und attraktiver ÖPNV ein ganz zentrales Element der Mobilitätswende.

Diese Texte haben viele Menschen interessiert