Bochum-Weitmar. Der gefürchtete Schulbuchklassiker als toll gespielter Unterhaltungsstoff: „Iphigenie auf Tauris“ im Prinz-Regent-Theater Bochum ist sehenswert.

Nur knapp 80 Seiten umfasst Goethes „Iphigenie auf Tauris“, als gelbes Reclam-Büchlein kostet es schmale drei Euro – und doch steckt eine ganze Welt darin. Generationen von Oberstufenschülern kennen die zeitlos schöne Geschichte der tragischen Iphigenie, die beherzt gegen die Männerwelt um sie herum anrennt. Welchen neuen Dreh kann man diesem Schulbuchklassiker auf der Theaterbühne heutzutage noch geben? Die junge Regisseurin Anaïs-Manon Mazic wählt im Prinz-Regent-Theater Bochum einen erstaunlichen Weg.

Goethes Schulbuchklassiker kommt in Bochum auf die Bühne

Schon seit einigen Jahren pflegt die freie Bühne in Bochum-Weitmar eine Zusammenarbeit mit dem Theaterzentrum der Folkwang-Uni: Junge Regie-Studenten entwickeln hier regelmäßig eigene Aufführungen, die über zaghafte Talentproben weit hinaus gehen. Denn über welch großes Talent und Handwerk die aufstrebenden Theatermacher vielfach bereits verfügen, ist immer wieder eine Entdeckung. Ein leuchtendes Beispiel dafür war Alexander Vaassen, der vor zwei Jahren in „Dädalus und Ikarus“ den Kölner „Tatort“-Liebling Roland Riebeling dermaßen schillernd in Szene setzte, dass ein vielgespielter Renner draus wurde.

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Auch von der „Iphigenie“ wird im Rückblick etwas Bemerkenswertes bleiben. Anaïs-Manon Mazic, 1998 in Wien geboren, gelingt hier etwas, was im heutigen Theaterbetrieb eher selten geworden ist. Sie lässt einen klassischen Text spielen, ohne ihn zu kommentieren, zu demontieren oder sich altklug über ihn zu erheben. Diese Aufführung braucht kein Stroboskop-Licht und keine Punk-Songs, die in jeder zweiten Szene auf die Zuschauer eindreschen. Sie ist ruhig, beweist großes Vertrauen in die Kraft der Dichtung – und kommt dabei fast schon altmodisch daher. Das ist Goethe pur ganz ohne Mätzchen.

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Hinreißende Titelheldin

Mit ihren beiden Darstellern Rebekka Wurst und Felix Zimmermann findet die Regisseurin zwei Verbündete, die diese auf nur eine Stunde Spiellänge gekürzte Fassung gekonnt tragen. Im recht kargen Bühnenbild, das nur einen mit blauen Tüchern verdeckten Thron zeigt, konzentriert Mazic das Drama auf drei zentrale Figuren: auf Iphigenie, ihren Bruder Orest und auf König Thoas, dessen Insel Iphigenie zu entfliehen versucht.

Goethe pur! Iphigenie (Rebekka Wurst) und König Thoas (Felix Zimmermann) im Prinz-Regent-Theater Bochum.
Goethe pur! Iphigenie (Rebekka Wurst) und König Thoas (Felix Zimmermann) im Prinz-Regent-Theater Bochum. © PRT | Laura Thomas

Folkwang-Absolventin Rebekka Wurst spielt die tragische Titelheldin hinreißend. Die blau-glitzernden Tränen unter ihren Augen sind längst getrocknet, dafür schaltet sie im Laufe des Abends immer beherzter auf Angriff um. Ihre Iphigenie ist permanent hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Gefühl und erheblich genervt von den Männern um sie herum. Seinem König Thoas verleiht Felix Zimmermann durchaus menschliche Züge: ein bisschen Herrscher, ein bisschen Macho. Ganz anders spielt er den Orest als überspannten Jüngling. Bisweilen glaubt man tatsächlich, dass hier zwei verschiedene Schauspieler auf der Bühne stehen.

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Premierenpublikum spendet viel Beifall

Etwas Nebel und schnelle Lichtwechsel sind die einzigen Hilfsmittel, die Anaïs-Manon Mazic für ihre Klassikerinszenierung braucht. Hier wird nichts zwanghaft aktualisiert, kommentiert, überschrieben oder bemüht in die Gegenwart transportiert. Der große Verdienst dieses Abends ist es, dass er seine Vorlage ernst nimmt und Goethes Dichtung leuchten lässt. Dankbarer Beifall.

Die nächsten Vorstellungen

„Iphigenie auf Tauris“ ist wieder zu sehen am 14. und 21. April, jeweils um 18 Uhr, im Prinz-Regent-Theater, Prinz-Regent-Straße 50-60. Dauer: etwa 60 Minuten ohne Pause.

Das zauberhafte Ein-Personen-Stück „All das Schöne“ mit Yvonne Forster feiert das Leben in all seinen Facetten: wieder am Samstag, 6. April, um 19.30 Uhr. „Der Trafikant“ nach dem Roman von Robert Seethaler kommt wieder am Donnerstag, 11. April, um 19.30 Uhr ins PRT. Theaterleiter Hans Dreher zeigt den Roman als szenische Lesung. Karten: 0234 77 11 17.