Bochum. In Bochum haben viele Baustellen mit Bergbau zu tun. Hohlräume werden verfüllt, Schächte gesichert. Ein Grund zur Sorge? Das sagen die Experten.

Im Bochumer Südwesten hat aktuell fast jede Baustelle mit der Bergbau-Vergangenheit und den vielen Hohlräumen im Untergrund zu tun. Etwa der Tagesbruch auf der Hattinger Straße, dazu die Arbeiten auf dem Sportplatz In der Hei und am Polterberg. Und demnächst wird auch der Boden unter der Hasenwinkeler Straße zwischen Sattelgut und Linden-Zentrum genauer untersucht. Auch dort wird sehr wahrscheinlich einiges an Verfüllmaterial benötigt werden, um für Stabilität zu sorgen, ehe die Straße erneuert werden kann. Ein Grund zur Sorge? Wir haben einige Experten gefragt.

„Wie ein Schweizer Käse“: Welche Gefahr unter Bochum lauert

Im Rathaus geben sich die Fachleute gelassen. „Es gibt keine akute Gefahrensituation. Wir haben das ganz gut im Griff“, sagen Karl-Heinz Reikat und Jürgen Maeder vom Tiefbauamt. Die beiden befassen sich intensiv mit den Hinterlassenschaften des Bergbaus. Und das sind vor allem viele, viele Hohlräume unter uns. „Wir leben hier wirklich auf einem Schweizer Käse“, beschreibt es Reikat sehr bildlich – und wohl treffend.

Karl-Heinz Reikat (links) und Jürgen Maeder sind im Tiefbauamt der Stadt Bochum u.a. Experten für den Bergbau und dessen Hinterlassenschaften.
Karl-Heinz Reikat (links) und Jürgen Maeder sind im Tiefbauamt der Stadt Bochum u.a. Experten für den Bergbau und dessen Hinterlassenschaften. © WAZ | Gernot Noelle

Allein in Bochum gebe es 2600 alte Schächte, erklärt Reikat. „Was das angeht, sind wir Europameister.“ Da komme keine andere Stadt ran. Teilweise habe es 40 aktive Zechen gleichzeitig gegeben. Er rechnet mit rund 10.000 Kilometer an Hohlräumen im gesamten Ruhrgebiet, bis zu einer Tiefe von 1400 Metern. Die ganz tiefen Schächte wie etwa vom Dahlhauser Tiefbau seien dabei nicht das Problem, fügt Kollege Maeder an. „Da gibt es kaum noch Auswirkungen.“ Durch den enormen Druck habe sich in den vergangenen Jahrzehnten alles gesetzt. „Uns bereiten eher die oberen 30 Meter Probleme.“

Uns bereiten vor allem die oberen 30 Meter Probleme
Jürgen Maeder - Bergbau-Experte bei der Stadt Bochum

Denn dort habe der oberflächennahe Kohleabbau stattgefunden. „Da gibt es noch immer viele alte Stollen, die nicht verfüllt oder nicht ausreichend gesichert wurden. Und da kann es immer zu Tagesbrüchen kommen.“ Ein weiteres Problem: fehlende Informationen. „Eine Aufzeichnung des Kohleabbaus war erst seit 1865 verpflichtend, wir blicken aber auf 350 Jahre Bergbaugeschichte zurück“, so Reikat. Zudem sei vielfach auch auf Privatgelände einfach abgebaut worden, ohne zu dokumentieren. „Gerade auch zu Zeiten der beiden Weltkriege. Damals sind viele Kleinzechen entstanden.“

Viele dieser Warnschilder stehen im Weitmarer Holz und sollten laut Stadt Bochum unbedingt ernst genommen werden. Denn im Unterholz bestehe tatsächlich Einsturzgefahr.
Viele dieser Warnschilder stehen im Weitmarer Holz und sollten laut Stadt Bochum unbedingt ernst genommen werden. Denn im Unterholz bestehe tatsächlich Einsturzgefahr. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Vieles, was im Untergrund schlummert, ist also ungewiss. So ein Tagesbruch könne jederzeit und ohne Vorwarnung fallen, sagen Reikat und Maeder. Deshalb stünden zum Beispiel die vielen „Einsturzgefahr“-Warnschilder im Weitmarer Holz nicht ohne Grund dort. „Früher gab es dort kaum einen Baum, dafür aber 40 Kleinzechen“, erklärt Reikat. Die Wege seien gesichert, für das Unterholz könne man eine Standsicherheit nicht garantieren.

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Grund zur Panik bestehe allerdings nicht. Bei entsprechender Bauvorsorge könne nichts passieren. So gehe auch die Stadt vor. Vor jeder Baumaßnahme werde nach Sichtung der Grubenbilder der Untergrund durch Probebohrungen inspiziert. Finden sich Hohlräume, wird verfüllt mit einem Mix aus Zement und Kalksteinmehl, der mit Wasser gebunden „gesteinsfest“ wird. So gehe man alle Bauvorhaben an, sei es für Kanalbau, neue Straßen oder beim Neubau einer Kita. Die Idee, einfach flächendeckend Stadtteil für Stadtteil auf Hohlräume im Untergrund zu kontrollieren und bei Bedarf zu verfüllen, findet man im Rathaus zwar charmant, aber leider unrealistisch: „Wo sollen die Milliarden für Personal, Bohrer und Material herkommen?“, fragt Reikat.

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Im Bochumer Südwesten werde aktuell der Sportplatz In der Hei gesichert, bevor dort ein neuer Kunstrasen entsteht. Demnächst sei dann die Hasenwinklerer Straße zwischen Sattelgut und Hattinger Straße dran. Vor dem Neubau der Oberfläche werde auch hier der Untergrund gecheckt. Aufgrund der vielen Unabwägbarkeiten könne es dabei dann immer zu zeitlichem Verzug kommen, erklärt Maeder. „Die Arbeiten an der Eppendorfer Straße haben zum Beispiel doppelt so lange gedauert. „Es stellt sich halt erst bei den Sondierungsbohrungen heraus, wie groß die Hohlräume sind.“ Das kann auch höhere Kosten nach sich ziehen. „Wir haben schon mal eine Million Euro für die Standortsicherung ausgeben müssen, ehe ein neuer Kunstrasen gebaut werden konnte.“

Anwohner Peter Weißenfels aus Bochum-Dahlhausen hat die Arbeiten an dem alten Schacht (im Hintergrund) verfolgt. Diesen will E.ON SE in Kürze absichern.
Anwohner Peter Weißenfels aus Bochum-Dahlhausen hat die Arbeiten an dem alten Schacht (im Hintergrund) verfolgt. Diesen will E.ON SE in Kürze absichern. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Verantwortlich für das Bergbau-Erbe ist die Stadt Bochum indes nicht. Da kommen Unternehmen wie E.ON SE ins Spiel. Das Unternehmen ist zuständig für das Bergwerkseigentum der Vorgängergesellschaften von Veba und E.ON und Viag (Bayern). Die auf diesem Gebiet befindlichen Tagesöffnungen würden kontrolliert und bei Erfordernis saniert, teilt Sprecher Christian Drepper mit. Es gebe einen eigenen Fachbereich mit entsprechenden Fachkenntnissen, „der sich nach einem extern geprüften und zertifizierten Risikomanagementsystem um die Hinterlassenschaften des ehemaligen Bergbaus der Rechtsvorgängergesellschaften der E.ON SE in enger Zusammenarbeit mit der Bergbehörde kümmert“.

Erinnerung an den „Krater von Höntrop“

Beim Thema Bergbauschäden erinnert man sich Bochum automatisch an das Jahr 2000, als sich am 2. Januar an der Emilstraße in Wattenscheid-Höntrop plötzlich ein riesiges Loch auftat: der Krater von Höntrop. Ein Tiefbauschacht war seinerzeit verbrochen. Es kam zu einem Tagesbruch, einem der spektakulärsten im Ruhrgebiet.

Elf hohe Tannen, zwei Garagen und mehrere Autos verschwanden in 15 Metern Tiefe. Personen kamen nicht zu Schaden. Rund sieben Jahre dauerte die Verfüllung, zwölf Millionen Mark kostete sie. Insgesamt 7500 Kubikmeter Beton flossen in die Erde.

In den letzten fünf Jahren seien allein in Bochum mehr als 50 Projekte mit rund 100 Tagesöffnungen untersucht worden. Aktuell ist E.ON SE ebenfalls am Sportplatz In der Hei aktiv, wo zwei Schächte liegen. Und am Polterberg wurde ein Weg in einen Wald freigeschnitten (hinter dem alten Maschinenhaus der Zeche Hasenwinkel), damit E.ON an einen alten Tiefbauschacht gelangen konnte. „Es handelt sich hier um den Hauptförderschacht der ehemaligen Zeche Hasenwinkel“, so Drepper. Der Schacht sei auf seiner Standsicherheit untersucht worden und werde nun gesichert. Dies soll in der ersten Jahreshälfte geschehen.

Der Sportplatz In der Hei im Bochumer Südwesten sieht aus wie ein Spargelfeld. An vielen Stellen ragen Rohre aus dem Boden, der aufgrund von Hohlräumen im Untergrund verfüllt wird.
Der Sportplatz In der Hei im Bochumer Südwesten sieht aus wie ein Spargelfeld. An vielen Stellen ragen Rohre aus dem Boden, der aufgrund von Hohlräumen im Untergrund verfüllt wird. © WAZ | Gernot Noelle

Bei aktuellen Vorfällen wie dem Tagesbruch auf der Hattinger Straße ist dann stets auch die Bezirksregierung Arnsberg mit im Boot. Könne keine Zuständigkeit ermittelt werden, sorge man selbst für die Sicherung. Insgesamt werde die Lage im Bochumer Südwesten „als anspruchsvoll gesehen“, so Sprecher Peter Hogrebe.

Bezirksregierung bietet Auskünfte an

Wer in einem früheren Bergbaugebiet lebt und wissen möchte, wie es um den Untergrund am Wohnort bestellt ist, kann sich an die Bezirksregierung Arnsberg wenden. Auf www.bra.nrw.de gibt es nähere Informationen und Antragsformulare zum Herunterladen.

Die Auskunft zur bergbaulichen Situation und zu einer möglichen Gefährdung durch Bergschäden im Bereich eines Grundstücks kostet. Die Gebühr beträgt pauschal 30 Euro. Auch Grubenbilder können eingesehen werden (erste Stunde kostenfrei, anschließend 12,50 Euro pro Viertelstunde), ebenso das Fachinformationssystem „Gefährdungspotentiale des Untergrundes in NRW“.