Bochum. Ein Ehepaar musste mit den Kindern mitten in der Nacht ihr Haus verlassen. Die Stadt Bochum sieht eine mögliche Einsturzgefahr und sperrte es.
Mit einem Schild warnt die Stadt Bochum schon am Beginn des Grundstücks: „Betreten verboten! Einsturzgefahr!“. Mit Flatterband sind Garten und Haus abgesichert. Karin Lill (40) steht davor und beginnt zu weinen. „Da ist die Tür, direkt dahinter sind all unsere Habseligkeiten. Nur ein paar Meter entfernt. Doch wir können nicht dran.“ Vor einer Woche hatten sie, ihr Mann Stefan (40) und die beiden Kinder Felix (fast 5) und Pauline (elf Monate) das Haus Hals über Kopf verlassen müssen – mitten in der Nacht.
Alptraum in Bochum: Familie verliert über Nacht ihr Zuhause
Es ist Samstagabend, der 6. Januar. Die Lills haben Besuch, ein Freund aus Witten ist zu Gast. Die Steaks brutzeln in der Pfanne, als Stefan Lill auffällt, dass das Fett in seine Richtung fließt. Komisch, denkt er und erinnert sich an die Worte seiner Frau, die ihm zwei Tage zuvor erzählt hatte, dass in einigen Zimmern des Hauses die Schubladen von allein aufgingen. „Später am Abend habe ich festgestellt, dass wenn man vor der Küche auf und ab wippt, einem Spülmaschine und Arbeitsplatte entgegenkommen.“
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Die Sorge der Lills wächst, sie rufen die Feuerwehr. Und diese lässt kurz nach dem Eintreffen einen Statiker der Stadt kommen. „Der schaute sich die Lage an und sagte dann ,Sie haben zehn Minuten Zeit, ein paar Sachen zu packen. Wir machen das Ding zu‘“, beschreibt Stefan Lill die Situation nachts um kurz vor Vier. Die Eltern bringen die Kinder im Schlafanzug ins Auto und kommen bei ihrem Freund unter. Dort wohnen sie noch immer, nur mit dem Nötigsten ausgestattet.
Über Facebook wird ein Aufruf gestartet und speziell um Kinderkleidung gebeten. „Die Anteilnahme ist riesig“, bedanken sich die Lills bei „den vielen Privatleuten, die uns helfen und die Sachen sogar vorbeibringen.“ Doch die Familie ist dennoch verzweifelt. „Wir hängen ja völlig in der Luft und wissen nicht, wie es weitergeht.“
Plötzlich kein Haus mehr – Bochumer Familienvater „kann das noch gar nicht richtig begreifen“
„Ich kann das immer noch gar nicht richtig begreifen“, sagt Stefan Lill, der als Fahrradpannendienst selbstständig ist. Im April 2023 seien sie zur Miete in das Haus am Rande von Linden gezogen. „Für uns war das wie ein Sechser im Lotto“, erinnert sich Karin Lill. „Genug Platz für die Werkstatt, ein großer Garten für unsere Kinder und Hund Chico, direkt daneben der Wald.“ Das Haus sei frisch renoviert gewesen, mit einem neuen Dach. „Da fühlt man sich doch sicher und denkt nicht im Traum daran, dass einem vielleicht der Boden wegsackt“, blickt die zweifache Mutter ungläubig auf das Haus.
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Doch genau so etwas scheint die Stadt Bochum zu befürchten. „Aufgrund der erhöhten Einsturzgefahr des gesamten Gebäudes“ dürfe es „bis zu einer möglichen Instandsetzung nicht mehr genutzt werden“, heißt es in einem Schreiben des Bauordnungsamtes an die Familie Lill. Es bestehe eine „gegenwärtige Gefahr für Leben und Gesundheit“. Von daher untersagt die Stadt Bochum den Zutritt.
Zutritt zu Haus verboten: Laut Stadt Bochum keine Baugenehmigung für Unterkellerung
„Vor Ort wurde ein Wanddurchbruch in einem nicht unterkellerten Bereich vorgefunden“, heißt es in dem Schreiben der Stadt weiter. „In dem ursprünglich nicht unterkellerten Bereich wurden große Mengen Erde entfernt, um einen weiteren Raum zu schaffen. Diese Erde wurde senkrecht abgestochen und nicht gesichert. Die nicht gesicherte Erde kann zu jedem Zeitpunkt einbrechen, was zu einem Einsturz des Gesamtgebäudes führen kann.“
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Wer dafür verantwortlich ist, wird am Ende wohl vor Gericht entschieden. Bei der Stadt habe niemand einen Bauantrag auf eine Unterkellerung des Hauses eingereicht, heißt es aus dem Rathaus auf WAZ-Anfrage. Deshalb gebe es auch keine Baugenehmigung. Das Bauordnungsamt könne daher nicht nachvollziehen, wann das Haus unterkellert worden sei.
Familie ohne Bleibe: Stadt Bochum bot wohl Flüchtlingsunterkunft an
Grundsätzlich kann das Haus, in dem Familie Lill lebte, laut Stadt Bochum unterkellert werden. Die Hanglage stelle dafür kein Hindernis dar. Die Stadt betont aber, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Neben der Baugenehmigung und einem Nachweis über die Standsicherheit des Hauses seien das „umfangreiche Fachkenntnisse“. Falls diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien, führe das unabhängig von der Wohnlage zu Problemen bei der Standsicherheit. „Wenn korrekt geplant und gearbeitet wird, ist der Bau auch in Hanglagen selbstverständlich unbedenklich“, teilt Stadtsprecher Peter van Dyk mit.
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Von der Stadt Bochum zeigt sich Familie Lill enttäuscht. „Als einzige mögliche Übergangsbleibe wurde uns die Flüchtlingsunterkunft in Langendreer angeboten. Doch da ich einen Immun-Defekt habe, kam das nicht infrage.“ Sie fühlen sich mit ihrem Problem alleingelassen.
Man könne in Fällen wie dem der Familie Lill vorübergehend für zwei bis drei Tage eine Unterkunft zur Verfügung stellen, entgegnet die Verwaltung. Sie weist aber darauf hin, dass bei eigenem Verschulden private Eigentümer und Vermieter selbst dafür verantwortlich seien, Abhilfe zu schaffen.
Die Vermieterin der Lills wollte sich auf zweimalige Anfrage dieser Redaktion nicht äußern.
Suche nach einer neuen Bleibe
Familie Lill sucht nun nach einer neuen Bleibe. „Am liebsten im Raum Bochum, Essen, Hattingen, EN“, sagen sie. Nach Möglichkeit eine Wohnung oder ein Haus mit vier Zimmern. Aktuell benötige man auch Lagermöglichkeiten, „für den Fall, dass wir irgendwann doch ins Haus und unsere Möbel holen können“.
Kontakt zu Stefan Lill: 0177/ 666 11 21 und mail@stefanlill.de .