Bochum. Familie Lange wohnt in einer Villa in Bochum-Dahlhausen. Ungewöhnlich: Auch ein alter Stollen gehört ihnen. Ein Blick in die Unterwelt.
Ein imposantes Haus in bester Lage hatten Astride und Michael Lange schon: die Direktorenvilla der ehemaligen Zeche Vereinigte Dahlhauser Tiefbau an der Lewackerstraße in Bochum-Dahlhausen. Mit einem herrlichen Blick über das Ruhrtal. Doch ihr Souterrain ist fast noch spektakulärer, denn das Ehepaar besitzt den alten Bergbaustollen, der unter dem Grundstück verläuft. Was die Langes bis vor kurzem allerdings gar nicht wussten...
„Irre“: Ehepaar aus Bochum besitzt plötzlich einen Bergbaustollen
„Wir haben keine Hobbys, wir haben Projekte“, sagt Astride Lange lachend. Damit meint sie vor allem das Elternhaus, das sie und ihr Mann seit Jahren renovieren. Zugleich versuche man, 6000 Quadratmeter Grundstück in Schuss zu halten. So schön die Aussicht auch sei, „das ist schon richtig viel Arbeit“. Und zu all dem kam nun noch ein weiteres Projekt hinzu: Der alte Bergbaustollen, der unter ihrem Grundstück beginnt.
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Auch nachdem ihr Vater damals die alte Bergwerksvilla gekauft hatte, sei sie der festen Überzeugung gewesen, „dass dieser Ort zur Zeche gehöre und von ehemaligen Bergleuten gepflegt würde“. Und somit auch der Stollen. „Diese Annahme wurde dann Mitte 2019 mit einem Schreiben der Denkmalbehörde zerschlagen. Hier stand nun schwarz auf weiß, dass wir Eigentümer des unter Denkmalschutz stehenden Stollenmundloches sind“, berichtet die 61-Jährige mit Verweis auf den offiziellen Eingang, den der Bergmannstisch Bochum-Süd seit vielen Jahren pflegt. „Wir fielen zunächst aus allen Wolken.“
Doch es sollte noch besser kommen. Die Langes wurden neugierig und wollten mehr über diesen Stollen erfahren. Nach langen Recherchen habe man herausgefunden, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Koblenz als Rechtsnachfolger des Naziregimes verantwortlich für die Instandhaltung des Stollens sei – weil dieser im Krieg von den Bürgern als Luftschutzraum genutzt wurde. „Uns fiel ein Stein vom Herzen, als wir die Nachricht erhielten, dass wir finanziell nicht mit im Boot sitzen.“
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Doch dann fand im März 2023 der erste Einbruch statt. „Wir informierten umgehend den Sachverständigen“, erzählt Astride Lange. „Anlässlich dieser Angelegenheit erfuhren wir dann, dass uns der ganze Stollen gehört und dass wir für die Sicherung zuständig sind.“
Dieser Pflicht kommen die Langes nun nach. Nach einem zweiten Einbruch ließen sie ein schweres Gitter hinter der Eingangsluke einbauen, dazu Kameras installieren und außen Warnschilder anbringen. Das gehe ins Geld, sagen sie. „Allein auch die Instandhaltung der Mauer.“
Während anfangs die Alarmsirenen losgingen und sie Sorge „vor einem Fass ohne Boden hatten“, ist die Skepsis aber inzwischen der Freude über dieses „coole“ und „irre“ Erbe gewichen. Wer kann schon von sich behaupten, so einen außergewöhnlichen „Keller“ zu haben? Der halbe Freundeskreis habe sich bereits angemeldet für eine Führung durch den Bergbaustollen, sagt Astride Lange, die von ihrem Mann inzwischen gerne „Stollen-Fräulein“ genannt wird.
Auch zu zweit zieht es die Langes immer wieder in das Gewölbe. 340 Meter lang ist der Stollen, in dem „wir jedes Mal etwas Neues entdecken“. Alte Stahlträger, die aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit mehr und mehr verrosten, hunderte Meter alter Stromkabel und die einzelnen Räume, in denen die Menschen im Krieg Schutz suchten.
Einer von ihnen war Astride Langes Onkel Rolf Dieter, der berichtet, dass man in Dahlhausen sofort mit dem Aufheulen der Sirenen zum Stollen geeilt sei, „einige Hundert Mal“. Er bestätigt, dass es damals Strom gegeben habe, „Wasser jedoch nicht“. Er findet toll, dass der Stollen erhalten bleibt. „Es lohnt sich, ein paar Pfennig dafür auszugeben.“ Das findet inzwischen auch seine Nichte.
Der Stollen Glückssonne entstand 1770
Seit 1982 befreien Mitglieder des Volkshochschulkurs „Zur Geschichte von Linden und Dahlhausen“ und des Bergmannstisches Bochum-Süd das Stollenmundloch und Leitung von Engelbert Wührl mehrmals im Jahr ehrenamtlich vom Wildwuchs befreit haben. Zusätzlich hat der Bergmannstisch eine Grubenlok mit Wagen vor dem Mundloch aufgestellt.
Neben der Pflege hat der Bergmannstisch auch die Bergbaugeschichte aufgearbeitet und in dem Buch mit dem Titel publiziert „Vom Kohlengraben zum Tiefbau. Der Wander- und Lehrpfad zur Bergbaugeschichte und zur Geologie im Stadtbezirk Bochum-Südwest. Die Befahrung der Dahlhauser Stollenzechen durch den Freiherrn vom Stein im Juni 1784“ von Walter E. Gantenberg und Engelbert Wührl (172 Seiten, 15 Euro, erhältlich bei der Mayerschen Buchhandel oder privat unter 0177 85 88 555).
Der Stollen ist demnach unter dem Namen Glücksonne um 1770 entstanden. Zehn Meter über dem Ruhrpegel gelegen, gingen ihm sehr schnell die oberflächennahen Kohlevorräte aus, so dass er bereits um 1802 stillgelegt wurde. Für eine neue Nutzung, diesmal als Transportstollen der Zeche Friedlicher Nachbar, wurde der Stollen Glücksonne 1873 wieder aktiviert. Die Zeche Friedlicher Nachbar, die 1870 an der Deimkestraße zum Tiefbau übergegangen war, benötigte für ihre sprunghaft angestiegene Fördermengen einen entsprechenden Transportweg zur Ruhr bzw. zum Güterbahnhof Dahlhausen.
Dazu wurde eine Pferdebahn vom in Linden liegenden Förderschacht nach Dahlhausen angelegt. Sie führte am Hang oberhalb der damals noch nicht existierenden Ferdinand-Krüger-Straße entlang und gelangte über einen Bremsberg (schiefe Ebene) auf das Stollenniveau.
Der Stollen wurde im Zweiten Weltkrieg für den Luftschutz ausgebaut. Zugänge bestanden am heutigen Stollenmundloch und direkt vom Zechengelände. Ein dritter Zugang wurde zugemauert, da die Tür immer wieder aufgebrochen wurde.