Bochum. In Winternächten hilft der DRK-Kältebus Obdachlosen, wir haben eine Tour begleitet. Welche Schicksale die ehrenamtlichen Helfer nicht loslassen.
Ganz schön kalt draußen, oder? Vor allem nachts. Wie schön ist es da, nach Hause zu kommen, einen heißen Kakao zu trinken. Doch nicht alle Menschen haben diese Möglichkeit. Allein in Bochum sind 342 Menschen (Stand Oktober 2023) obdachlos und leben auf der Straße – auch jetzt. Das ehrenamtliche, nur von Spenden finanzierte Projekt „Kältebus“ des DRK Wattenscheid versucht, die Bedürftigen so gut es geht zu unterstützen.
Kältebus voll mit Hilfsmitteln, Ehrenamtliche voller Leidenschaft
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18 Uhr. Ein Sprinter des DRK ist bis oben hin voll mit durchsichtigen Kisten, in denen sich Schlafsäcke, Socken, lange Unterhosen, Hygieneartikel, Pullover und Mützen befinden. Vorne lagern Süßigkeiten, Teebeutel, Instant-Kaffee, Milchpulver, Zucker, Becher, Besteck und Suppenterrinen zum Anrühren mit Wasser. „Okay, der Bus ist gepackt, jetzt noch schnell das Wasser und die Kartoffelsuppe warm machen und dann geht es los“, ertönt die aufmunternde Stimme der hochmotivierten, ehrenamtlichen Leiterin des Projektes, Kim Piske, und sie klopft ihrem – heute vierköpfigen – Team auf die Schulter. Man merkt: Sie will endlich auf die Straße. Alle wollen das.
„Haltet durch!“ als Mantra fürs Team des Kältebusses in Bochum
„Ich wünsche uns eine gute Tour. Und: Haltet durch!“ Zwei Worte, eine Parole, die sich durch den ganzen Abend ziehen wird. Nicht nur, dass jeder einzelnen der bedürftigen Menschen nach mal längeren und mal kürzeren Gesprächen dieses Mantra zum Abschied mitgegeben wird – auch das Team baut sich mit diesen Worten auf.
„Man sieht so viel Leid hier auf den Straßen“, sagt Kai Ditges, der regelmäßig mit dem Kältebus unterwegs ist. „Am Anfang fiel es mir schwer, mich zu Hause abzugrenzen. Aber das muss man lernen, sonst ist man hier falsch.“ Aber das ist er nicht. Im Gegenteil. „Nachdem ich das erste Mal mitgefahren bin, war es, als wäre ich infiziert. Ich brenne für diese Sache, es ist mein Herzensprojekt.“
Und wie er brennt. Immer einen witzigen Spruch auf den Lippen, immer ein freundliches Wort und immer bereit zu helfen und zu organisieren. Notfalls auch privat. „Kürzlich erzählte mir einer unserer Jungs, er hätte so gerne einen Rollator, da er kaum mehr gehen könne“. Und so zog Kai Ditges los, in ein Sanitätsgeschäft, in dem er einst ein Praktikum absolvierte, und fragte nach einem ausrangierten Modell. Er könne nicht anders und sei einfach so, sagt der 40-Jährige.
Es kann jeden treffen: Bochumer nach Trennung wohnungs- und obdachlos
Beim ersten Stopp des Kältebusses in der Wattenscheider City treffen wir Didi. Didi ist 58 Jahre alt, lebt seit letztem August auf der Straße. „Meine Freundin und ich“, erzählt er, während er die heiße Kartoffelsuppe und das frische, knackige Brötchen dazu genießt, „haben uns letzten Sommer getrennt. Wir haben zusammengewohnt. In ihrer Wohnung. Ich stand nicht mit im Mietvertrag. Und jetzt…“ Er bricht mitten im Satz ab und zeigt mit einer Geste auf die offene Straße. Er habe es versucht, er habe eine Wohnung gesucht. Suche noch immer. Bislang aber erfolglos.
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„Das wird schon, Didi“, sagt Kai Ditges, „du bist ein toller Typ. Halte durch!“ Später wieder im Bus gesteht Kim Piske: „Gestern habe ich mich dabei erwischt, wie ich auf einem Kleinanzeigen-Portal nach Wohnungen gesucht habe.“
Gewalt gegen Obdachlose auch in Bochum keine Seltenheit
Der nächste Klient, Sebastian, seit neun Monaten obdachlos, ist viel verschlossener als Didi. Er freut sich zwar, als Kim Piske ihn sanft fragt, ob er etwas brauche, Kleidung, einen Tee, etwas zu essen vielleicht? Behält die leitende Helferin aber während seines „Habt ihr `n Kaffee und was mit Nudeln?“ mit Argusaugen im Blick. „Das ist nicht ungewöhnlich“, erklärt die 28-Jährige, während sie eine Instant-Terrine mit Spaghetti und einen Kaffee vorbereitet. „Diesen Menschen ist schon so häufig etwas Schlimmes passiert, wie oft hört man, dass Obdachlose gewalttätig angegriffen, ja sogar im Schlaf angezündet wurden?!“ Das alles und ihre persönliche Vorgeschichte lasse die meisten „einfach das Vertrauen in die Menschen verlieren“.
Kältebus findet Bedürftige an bekannten Plätzen und durch Hinweise der Bochumer Bürger
Während Kim Piske und Kai Ditges Sebastian versorgten, ging bei Christoph Ridder und Gina Klyszcz – den beiden Helfern, die das Team an diesem Abend komplettierten - ein Hinweis per Kältebus-Handy-Hotline ein. Ein Passant habe in der Bochumer Innenstadt jemanden in einem Hauseingang liegen sehen.
Der Bus fährt nicht nur seine festgelegte Route zu bekannten Aufenthaltsorten für Obdachlose, sondern ist dankbar für jeden Hinweis und steuert auch die „Zuruf-Punkte“ an. Dort gab es aber nicht viel zu tun; das einzige, das der einsame Mann dort im Hauseingang brauchte, war „nur“ ein Gespräch. „Aber auch das kann manchmal die Seele erwärmen“, sagt Kai Ditges.
„Wenn die Stadt Bochum nicht langsam etwas tut, haben wir ein ernstes Problem“
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Wenn Sie eine bedürftige Person sehen: Unter der Nummer 0163 -3375402 nimmt der Kältebus Ihre Hinweise mit der Adresse des Liegeplatzes entgegen.
Wenn Sie unverderbliche Lebensmittel, Tee, Instant-Kaffee, warme Kleidung, Decken, Hygieneartikel (auch Menstruationsprodukte), Mützen, Handschuhe und Schlafsäcke spenden wollen, können Sie diese mit dem Verweis auf den Kältebus in der Kreisgeschäftsstelle in der Voedestraße 53 in Wattenscheid abgeben.
Am letzten regulären Halt des Kältebusses – Hauptbahnhof – geht es in den Endspurt. Es ist 22 Uhr. Alle Helfenden haben alle Hände voll zu tun, geben Handschuhe, Mützen und Decken, Suppe, Bötchen und Tee aus, durchsuchen die U-Bahn-Schächte nach Bedürftigen, begrüßen bekannte und neue Gesichter.
„Es ist bereits mein dritter Winter mit dem Kältebus und ich merke: Es werden immer mehr Bedürftige und die gesundheitlichen und körperlichen Zustände immer schlimmer“, sagt Kim Piske: „Wenn die Stadt nicht bald etwas unternimmt wegen der Versorgung und Unterbringung der Obdachlosen während der kalten Jahreszeit, dann haben wir auf den Straßen bald ein ganz anderes Problem.“ Und bei dem helfe vermutlich dann auch kein „Haltet durch!“