Bochum. Mit „Die Brüder Karamasow“ zeigt Intendant Johan Simons am Schauspielhaus Bochum sein bislang größtes Projekt. Wir waren bei den Proben dabei.
Eines der größten Projekte der jüngeren Bochumer Theatergeschichte bringt gerade das komplette Schauspielhaus an seine Belastungsgrenze: „Die Brüder Karamasow“ verspricht ein Theaterabend von nahezu epischem Ausmaß zu werden. Die Aufführung dauert etwa sieben Stunden mitsamt mehrerer Pausen – und spielt auf beiden Bühnen des Hauses. Rund zwei Wochen vor der mit Spannung erwarteten Premiere am 14. Oktober laufen die Proben auf Hochtouren.
Um kurz vor 18 Uhr fehlt am Schauspielhaus von Feierabend noch jede Spur. Geprobt wird gerade in den Kammerspielen, dem zweiten Spielort von „Die Brüder Karamasow“. Das Bühnenbild, das eine schief in den Raum gebaute Küche zeigt, ist erst zur Hälfte fertig, auch die Kostüme der Schauspieler sind noch nicht komplett.
Intendant Johan Simons bringt riesigen Roman ins Schauspielhaus Bochum
Konzentriert, aber auch sichtlich erschöpft stehen Steven Scharf, Jele Brückner und Dominik Dos-Reis auf der Bühne und denken nach. „Was wäre, wenn ich einfach mal von oben runter komme?“, schlägt Jele Brückner vor und zeigt auf die schmale Holztreppe hinter sich. Intendant Johan Simons scheint von der Idee nicht abgeneigt zu sein: „Okay, probieren wir aus.“
- Sieben Stunden ins Theater? Aufführungen mit solch opulenter Spiellänge gab es am Schauspielhaus Bochum immer mal wieder. Lesen Sie hier, welche Aufführung den Längenrekord hält.
„Die Brüder Karamasow“ ist Simons bislang wohl ehrgeizigste und mit Abstand aufwendigste Produktion am Schauspielhaus. Die Romanvorlage stammt von Fjodor Dostojewski, einem der Lieblingsautoren des Intendanten, und zählt fast 1200 Seiten. Chefdramaturgin Angela Obst verbrachte den Großteil der Sommerferien damit, aus dem voluminösen Werk eine Theaterfassung zu stricken, die jetzt Szene für Szene geprobt wird: „Dabei können wir höchstens die Hälfte von dem zeigen, was in dem Roman steht“, sagt sie. Trotz sieben Stunden!
Solch lange Theaterabende hat es in der Geschichte des Schauspielhauses immer mal wieder gegeben, doch sie sind selten. Der größte Trick: Simons lässt das komplette Haus bespielen. Der erste Teil findet auf der großen Bühne statt, die in eine riesige weiße Kathedrale zeigt. Im Anschluss gehen die Zuschauer für den zweiten Teil mitten durchs Bühnenbild (!) hinüber in die Kammerspiele.
Gemeinsames Abendessen im Foyer und Oval Office
Nach einem gemeinsamen Abendessen im mittleren und oberen Foyer sowie im Oval Office findet der abschließende Teil erneut im großen Saal statt. Weil logischerweise nicht mehr Zuschauer dabei sein können, als Plätze in den Kammerspiele vorhanden sind, finden pro Vorstellung nicht mehr als 400 Theatergänger Einlass.
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Schon einmal gab es in Bochum den reizvollen Versuch, beide Bühnen des Hauses zu bespielen: „Haus und Garten“ fand im Jahr 2002 gleichzeitig im großen Haus und in der Kammer statt. Die Zuschauer mussten damals also zweimal kommen, um das komplette Stück zu sehen.
Die Zuschauer sollen sich „im Sessel zurückfallen lassen“
Diesmal sind die Bühnen nacheinander an der Reihe, und der Schauplatzwechsel habe großen Reiz: „Das war meine Idee“, erzählt Johan Simons. „Auf der großen Bühne in der abgerissenen Kirche sieht man die Figuren aus der Ferne, der Raum ist riesig. Dagegen kommt man ihnen in den Kammerspielen ganz nah, man beobachtet sie wie durch ein Brennglas. Dieser Perspektivwechsel ist total spannend.“
Der Intendant hofft, dass er die Zuschauer mit der epischen Spiellänge nicht überfordert. Denn bei einem siebenstündigen Abend (unterbrochen von vermutlich drei Pausen) braucht man vor allem eins: Sitzfleisch. „Ich würde mich freuen, wenn bei den Zuschauern diesmal ein anderer Rhythmus, ein anderes Atmen herrscht“, sagt Simons. Man solle sich einfach im Sessel zurückfallen lassen, die Geschichte verfolgen und dabei die Zeit vergessen: „Das ist wie bei einer Netflix-Serie. Wenn sie gut ist, schaut irgendwann keiner mehr so genau auf die Uhr.“
Die Proben in den Kammerspielen gehen weiter. Johan Simons lässt eine kurze Szene mittlerweile zum vierten Mal wiederholen. Steven Scharf tritt als mittlerer der drei Brüder Karamasow erneut von links auf und hadert mit sich und der Welt: „Es ist nicht Gott, den ich nicht hinnehme“, sagt er. „Es ist die Welt, die er erschaffen hat.“
In der Pause gibt es ein Drei-Gänge-Menü
Die öffentliche Probe von „Die Brüder Karamasow“ am Donnerstag, 12. Oktober, um 14 Uhr, sowie die Premiere am Samstag, 14. Oktober um 15 Uhr sind ausverkauft. Karten gibt es für die Vorstellungen am 15. Oktober, 4./5. November und 9./10. Dezember.
Im Kartenpreis (28 bis 56 Euro) ist ein vegetarisches Drei-Gänge-Menü inklusive Mineralwasser enthalten. Als Vorspeise gibt es Borschtsch mit Brot, zum Hauptgang wird Gemüsequiche mit Dip serviert. Als Dessert gibt es Panna Cotta. Karten und Info: 0234 3333 5555
Simons beobachtet die Szene nicht vom Regiepult aus, sondern meistens sitzend aus der fünften Reihe, im dauernden Gespräch mit der Dramaturgin. Überhaupt wird bei seinen Proben viel geredet und diskutiert. Einen Großteil der Proben verbringt Simons auf der Bühne mitten unter seinen Leuten: „Ich bin kein lauter Regisseur, der nur von oben die Kommandos gibt“, sagt er. „Jeder kann seine Ideen mit einbringen. Welche davon die beste ist, entscheide dann aber ich.“
Schauspieler Victor IJdens wählt die Songs aus
Für den Schauspieler Victor IJdens ist es die dritte Bochumer Arbeit mit dem Intendanten, auf die er sich sehr freut. „Die Proben mit Johan sind ein großer Gemeinschaftsprozess“, sagt er. „Man muss ihm beim Spielen allerdings immer etwas anbieten, sonst wird es schwierig.“ IJdens wählt übrigens auch die Songs aus, die während der Aufführung erklingen werden. Während der Szenen in der Küche hört man leichte Western-Klänge. „Vielleicht bringe ich noch einen Songs von Pink Floyd unter, mal schauen.“