Bochum/Herne/Witten. 20 Ermittler befassen sich in Bochum fast nur mit Kinderpornografie. Man müsse viel aushalten können, sagen sie. Einblick in den Arbeitsalltag.

Ein Schreibtisch im Gemeinschaftsbüro ist mit bunten Luftballons geschmückt. Die Kollegin, heute nicht am Platz, hat Geburtstag und soll am nächsten Arbeitstag überrascht werden. Ein fröhlicher Kontrast zu dem, womit sich die Ermittler in diesem Teil des Präsidiums ansonsten Tag für Tag beschäftigen: Kinder- und Jugendpornografie, sexueller Missbrauch. 34 Männer und Frauen aus unterschiedlichen Direktionen sind Teil der „Besonderen Aufbau-Organisation (BAO) Tera“. In diesem Schwerpunktteam hat das Polizeipräsidium Bochum seit 2022 den Kampf gegen Kinderpornografie in Bochum, Herne und Witten gebündelt.

Nachdem mehrere Jahre lang das Augenmerk auf Wohnungseinbrüchen lag und eine Ermittlungsgruppe für sinkende Fallzahlen sowie steigende Aufklärungsraten sorgte, sei klar geworden, dass inzwischen der „Schuh anderswo drückt“, wie Polizeipräsident Jörg Lukat bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik im Februar sagte. Der Kampf gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch wurde 2022 als „behördenstrategisches Ziel“ in den Fokus gerückt. Allein rund 20 Ermittlerinnen und Ermittler befassen sich seitdem ausschließlich mit diesem Thema.

  • Kinderpornografie wird nicht nur von erwachsenen Straftätern verbreitet, sondern auch von Jugendlichen. Ermittler und Gerichte sind zunehmend mit den Folgen dessen beschäftigt, was sie „Digitale Naivität“ nennen. Was tun, wenn man solche Inhalte bekommt? Das erklären die Fachleute von der BAO hier.

Kinderpornografie: Konsumenten aus allen Schichten

Martin Ehlers ist Erster Kriminalhauptkommissar und leitet als Einsatzabschnittsführer den Bereich Ermittlungen in der BAO. Als langjähriger Kripo-Beamter im KK12, dem Kommissariat für Sexualdelikte, war dem 60-Jährigen die Thematik nicht unbekannt. Das Ausmaß hat den erfahrenen Ermittler dann aber doch überrascht. „Ich hätte nie geglaubt, wie viele Menschen sich dafür begeistern können.“ Konsumenten von Kinderpornografie kämen „aus allen Schichten, da ist alles vorhanden, ein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt Ehlers.

Ermittler bei der Arbeit: Polizeioberkommissar Björn Witt an seinem Büro-Arbeitsplatz im Polizeipräsidium Bochum. Mit der „BAO Tera“ hat die Behörde eine Schwerpunkteinheit gegen Kinderpornografie eingerichtet.
Ermittler bei der Arbeit: Polizeioberkommissar Björn Witt an seinem Büro-Arbeitsplatz im Polizeipräsidium Bochum. Mit der „BAO Tera“ hat die Behörde eine Schwerpunkteinheit gegen Kinderpornografie eingerichtet. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Wenn ein Fall bei der BAO Tera landet, bereiten Forensiker bereits vorhandene Daten auf, und die Ermittler beginnen, die Dateien auszuwerten. Sie schauen: Wie eilig ist ein Zugriff, gibt es Hinweise auf andauernden Missbrauch? Kaum ein Arbeitstag vergeht ohne Durchsuchung bei einem Verdächtigen, die Fallzahlen sind hoch. „Im vergangenen Jahr“, erzählt Ehlers, „haben wir 235 Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt.“

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Durchsuchungen: Smartphones als „alles entscheidendes Medium“

Die Strafprozessordnung erlaubt Durchsuchungen ab 6 Uhr morgens, und wann immer möglich rücken die Teams auch genau dann an. „Zu dieser Zeit hat man große Chancen, die Beschuldigten auch anzutreffen.“ Das „alles entscheidende Medium“ sei heutzutage das Smartphone, bei jeder Durchsuchung werde „mindestens ein Mobiltelefon sichergestellt“, erzählt der Ermittler. Manchmal auch mehrere, hinzu kämen oftmals USB-Sticks und Festplatten, Tablets, Notebooks und PCs. Mal werden zwei oder drei Datenträger aus der Wohnung geschafft. Mal aber auch 50.

Ins Darknet abtauchen müssen die Ermittler in Bochum nicht; dafür sind die Experten bei LKA und BKA zuständig. „Wir bekommen’s in erster Linie mit dem Schlichtgebraucher zu tun“, sagt Martin Ehlers. „Ich habe mir früher auch nicht vorstellen können, dass man über Whatsapp Hardcore-Kinderpornografie verbreitet oder dass man zum Beispiel seinen Bestand an Fotos bei Google Drive hochlädt.“

Kriminaldirektorin Dr. Antje Wippermann mit einigen Asservaten – Laptops, PCs, Festplatten: Mal werden bei Durchsuchungen nur zwei oder drei Datenträger sichergestellt – manchmal aber auch 50.
Kriminaldirektorin Dr. Antje Wippermann mit einigen Asservaten – Laptops, PCs, Festplatten: Mal werden bei Durchsuchungen nur zwei oder drei Datenträger sichergestellt – manchmal aber auch 50. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Schwerpunktteam gegen Kinderpornografie: Miteinander Reden hilft

Überrascht hätten sie die Dimensionen des Problems nicht, sagt Kriminaldirektorin Dr. Antje Wippermann, die die BAO seit Juni 2023 leitet. Das Thema beschäftige nicht erst seit dem Fall Lügde alle Polizeibehörden. Das Präsidium in Bochum allerdings sei mit dem Schwerpunktteam in besonderer Weise aufgestellt. Dass Personal über Abteilungsgrenzen hinweg gebündelte wurde, helfe dabei, die steigenden Fallzahlen konzentriert zu bewältigen.

Was aber macht es mit den Menschen, wenn sie sich tagein, tagaus mit diesen menschlichen Abgründen beschäftigen? „Wenn einer sagt, er nimmt es nicht mit nach Hause, dann behaupte ich: Das stimmt nicht“, sagt Martin Ehlers. Jeder und jede verarbeite es anders. Alle, die in der BAO Tera arbeiten, tun dies auf ausdrücklichen Wunsch. Die Mannschaft passe aufeinander auf, „unsere Bürotüren bleiben immer auf, wir reden viel“. Man müsse einiges aushalten können, trotzdem empathisch sein. In der BAO gebe es auch psychosoziale Unterstützung.

Sein Antrieb, sagt Ehlers, sei es, Missbrauch zu verhindern, missbrauchten Kindern zu helfen, Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Jede Sicherstellung berge die Gefahr neuer Vorgänge – ein sichergestellter Rechner könne Hinweise auf zahlreiche Kontakte und weiteren Datenaustausch geben. Martin Ehlers ist überzeugt: „Ein Ende ist nicht in Sicht.“

Ein Terabyte entspricht rund 250.000 Bildern

„Tera“ im Namen der Schwerpunkteinheit spielt auf die unfassbaren Datenmengen an, die im Kampf gegen Kinderpornografie ausgewertet werden müssen. 1 Terabyte (TB) entsprechen rund 250.000 Fotos – im vergangenen Jahr wertete die BAO Tera allein rund 74 TB Daten aus.

Was landet bei der BAO Tera in Bochum? Viele Fälle kommen über das „National Center for Missing & Exploited Children“ (NCMEC). Das ist eine Nichtregierungsorganisation aus den USA, die Meldungen von Internetplattformen wie beispielsweise Meta – also Facebook, Instagram, Whatsapp – sammelt. Wenn die Dateien Hinweise auf einen Ursprung in Deutschland bieten, gibt das NCMEC sie ans Bundeskriminalamt weiter, das wiederum an die Landeskriminalämter (LKA) weiter verteilt. In NRW werden dann eine Stabsstelle beim LKA in Düsseldorf sowie die bei der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelte Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime aktiv.

Ergeben die Begleitdaten von Bildern oder Chats Hinweise auf Tatverdächtige in Bochum, Witten oder Herne, kommen die Staatsanwaltschaft Bochum und die BAO Tera ins Spiel: Dann landet der Ermittlungsvorgang in Bochum, und die Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter übernehmen.