Bochum/Witten. Für ihre spannenden Dokus über das Ruhrgebiet wurden Ulrike Franke und Michael Loeken vielfach ausgezeichnet. Jetzt laufen sie im Kino in Bochum.
Geschichten nah am Puls der Zeit erzählen die in Witten lebenden Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken. Seit fast 30 Jahren widmen sie sich als Kollektiv „Loekenfranke“ dem herausfordernden Genre des Dokumentarfilms: Sie porträtieren junge Azubis kurz vor dem Opel-Aus in Bochum oder machen den Strukturwandel anhand des vieldiskutierten Phoenix-Sees in Dortmund beinahe schmerzhaft spürbar.
Filmemacher erzählen in Bochum vom Strukturwandel im Ruhrgebiet
Für ihre Arbeiten wurden Loeken und Franke vielfach ausgezeichnet, darunter zweimal mit dem Grimme-Preis. Jetzt gibt es die Chance, tiefergehende Einblicke in ihr filmisches Schaffen zu bekommen: Im Rahmen der Ruhrtriennale sind sechs Dokus, die zwischen 1998 und 2021 entstanden, im Metropolis-Kino zu sehen. Vor jeder Vorstellung gibt es eine Einführung, auch die Filmemacher stehen für Gespräche zur Verfügung.
Was alle Filme eint: Hinter der Kamera stehen zwei, die ganz genau hinschauen und dabei ein großes Herz für ihre Protagonisten haben. „Die Realität bietet einen unglaublichen Fundus an guten Geschichten und interessanten Personen“, erzählt Michael Loeken. Daher kam es den beiden auch nie in den Sinn, fiktionale Stoffe oder Spielfilme zu drehen, denn das „echte“ Leben sei im Zweifel immer interessanter: „Das Leben schreibt die besten Geschichten.“
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Tragischer Absturz einer Schlagersängerin
In einem ihrer frühen Werke widmeten sie sich dem tragischen Absturz der Schlagersängerin Renate Kern, die sich 1991 im Alter von nur 46 Jahren das Leben nahm. „Und vor mir die Sterne“ ist auch ein Stück über das Leben in der BRD, über die Suche nach Identität und dem dauernden Streben nach Karriere.
Als einer ihrer größten Erfolge gilt der 100-minütige Dokumentarstreifen „Losers and Winners“, eine spannende Geschichte aus der globalisierten Wirtschaft. Erzählt wird von der Dortmunder Kokerei Kaiserstuhl, die im Jahr 2000 stillgelegt wurde. 400 chinesische Arbeiter machten sich daraufhin daran, das riesige Werk zu demontieren, um es in China wieder aufzubauen.
Loeken und Franke begleiteten diesen historischen Prozess über eineinhalb Jahre und aus mehreren Perspektiven. Sie erzählten von den deutschen und chinesischen Arbeitern – und von den vielen erstaunten Dortmundern im Schrebergarten nebenan. Und immer steht der Abbau der Kokerei stellvertretend für den gesamten Strukturwandel im Ruhrgebiet: „Solch ein Thema interessiert nicht nur die Menschen in Dortmund und Bottrop“, sagt Ulrike Franke. „Die Kraft unserer Filme besteht darin, dass sie eine Allgemeingültigkeit haben und über die Zeit hinausweisen.“
Wie in Dortmund-Hörde ein künstlicher See entstand
Auch „Göttliche Lage“ ist ein schillerndes Stück Ruhrgebiet: Hier beobachteten Loeken und Franke, wie auf einem ehemaligen Stahlwerksgelände in Dortmund-Hörde ein komplett neuer Stadtteil entstand – mit schicken Villen, Booten und Eiscafés am künstlich aufgestauten Phoenix-See. „Alles ist im Wandel. Was verschwindet und was bleibt, ist oft kaum vorherzusehen“, sagt Loeken.
Sechs ausgezeichnete Dokus im Metropolis-Kino
Sechs Dokumentarfilme von Loekenfranke werden im Rahmen der Ruhrtriennale im Metropolis-Kino (Hauptbahnhof) gezeigt. Gemeinsam bilden sie einen guten Querschnitt durch das umfangreiche Schaffen der beiden Wittener Filmemacher.
Den Auftakt macht „Und vor mir die Sterne“ über die Schlagersängerin Renate Kern am Samstag, 12. August, um 17 Uhr. „Herr Schmidt und Herr Friedrich“ folgt am Samstag, 19. August, um 17 Uhr. Ruhrtriennale-Intendantin Barbara Frey hält die Einführung.
Es folgen: „Losers and Winners“ (am 26. August, 17 Uhr), „Arbeit, Heimat, Opel“ (2. September, 17 Uhr), „Göttliche Lage“ (16. September, 17 Uhr) und „We are all Detroit“ (23. September, 17 Uhr). Die Filmemacher sind anwesend. Karten (zwölf Euro, 42 Euro für die ganze Reihe): 0221 280 210 und ruhrtriennale.de
Für viele ihrer Filme braucht es bei der Recherche und beim Drehen einen langen Atem: Nicht selten sind Loeken und Franke mehrere Jahre mit einem Langzeitprojekt beschäftigt, teilweise laufen zwei Projekte parallel. „Wir brauchen einfach die Zeit dafür, um das Vertrauen mit unseren Protagonisten herzustellen. Ohne ein großes Vertrauen geht es nicht“, sagt Ulrike Franke.
Kein Schauspieler auf der Welt könnte das so spielen
Dazu zählt etwa das Porträt von sechs Auszubildenden im Opel-Werk Bochum, die noch ganz am Anfang ihres Berufslebens standen, als das Werk 2014 schloss. Von ihren Sorgen und Träumen erzählt „Arbeit, Heimat, Opel“ eindrucksvoll. Und beim Zuschauen wird klar: Kein Schauspieler auf der Welt könnte das so gut spielen wie diese jungen Leute. „Die Menschen schenken uns ein Stück ihrer Seele“, sagt Franke. „Auf diese Weise bekommen unsere Arbeiten im besten Fall eine große Wahrhaftigkeit.“ In ihrem jüngsten Werk „We are all Detroit“ beleuchten sie das Ende der Autoindustrie zwischen Bochum und Detroit.
Dass ihre Filme nun im Metropolis gezeigt werden, einem der letzten Bahnhofskinos Deutschlands, bezeichnen Loeken und Franke als ein großes Geschenk. Denn klar laufen ihre Dokus auch im Fernsehen und sind teilweise als Stream im Internet verfügbar: „Aber eigentlich sind sie fürs Kino gemacht, für den dunklen Raum.“