Bochum. Immer mehr Erinnerungen an das einstige Opel-Werk in Bochum verschwinden. Opelaner Errol Faßbender erinnert sich – an gute und schlechte Zeiten.
„Etas“ steht an dem neuen Gebäude, „Zess“ an einem anderen und immer so weiter: „Keysight Technologies“, „Accolade“, „orca“, „humaine“, „ceit“ . . ., Firmennamen, erkennbar auf Zukunft getrimmt, bis der nächste Strukturwandel sie dann hinwegraffen wird eines schlechten Tages. Man kennt das ja schon. Gerade hier. Hier war früher Opel Bochum.
Diese vielen unfertigen Gebäude stehen auf dem Beton, auf den Steinen von Opel, Werk 1. 18 Meter Gefälle auf dem unbar großen Gelände im Vorort Laer wurden mit dem Bauschutt der Autofabrik ausgeglichen. Und zwar mühelos. So groß war die.
Man muss sich das ganz klarmachen: Opel hat zehntausenden Menschen im mittleren Ruhrgebiet länger als ein halbes Jahrhundert Arbeit gegeben, für viele Beschäftigte war es das Lebens-Werk. Und Opel war ein äußerst beliebter Arbeitgeber, bis die letzten Jahre in Arbeitskampf und Stilllegungsgerüchten versanken, in Stellenabbau und Teil-Schließungen, in einem nicht mehr aufhörenden „Ihr seid zu viele und ihr seid zu teuer“. Ein Mythos überlebt nicht, wenn er als Transfer-Gesellschaft endet.
Ex-Opelaner erinnert sich an gute Zeiten in Bochum
Errol Faßbender hat vor allem die guten Jahre erlebt, die 70er, die 80er, die 90er; er war „im Auspuff“ und dort zuständig dafür, Ersatzteile zu beschaffen und zu verteilen. „Wenn die Gedanken so zurückgehen“, sagt der 67-Jährige: „Ich habe nicht einen Tag auf mein Geld gewartet, man ist ärztlich versorgt worden, es wurde immer auf die Arbeitssicherheit geachtet, das hatte Priorität. Das war eine gute Sache, auch der Zusammenhalt unter den Kollegen. Wir haben einmal im Jahr als Abteilung zusammen einen Ausflug gemacht, etwa an den Rhein. Sowas hört man heute gar nicht mehr aus Firmen.“
Als Faßbender für die Organisation der aufwändigen Opel-Fußballturniere Urlaub nehmen wollte, hat der Vorstand ihm erklärt: Dafür brauche er doch keinen Urlaub zu nehmen. Das war das alte Opel. Als er 20 Jahre später fragte, ob die Firma ein jährliches, großes Treffen alter Opelaner finanziell unterstützen würde, „da haben sie das nicht gemacht“. Das war dann das neue Opel.
Errol Faßbender ist derjenige, der nach der Schließung des Werkes im Dezember 2014 diese Opelaner-Treffen anstößt. Das erste an einem herrlichen Sonnentag im August 2015 im Stadtpark. Schon damals zeigt sich aber deutlich: Opel ist umso schöner, je länger es her ist.
Die den Krampf der letzten Jahre nicht erlebt haben, die liegen sich in den Armen und versinken in goldenen Erinnerungen. „Das war ein wunderbares Arbeiten“, sagen sie. Die Generation Schließung ist schon an jenem Samstag deutlich stiller und hat ganz andere Dinge abgespeichert: „Die letzten Jahre waren Hauen und Stechen.“
2016 legt Faßbender das Treffen neu auf. Schon da ist es nicht mehr dasselbe. „Im ersten Jahr war die Euphorie sehr groß“, erinnert sich seine Frau Renate Faßbender heute. Sie hat woanders gearbeitet, gehörte aber selbstverständlich – in den guten Jahren – in die große Opel-Familie. „Im zweiten Jahr sind einige in so eine Depri-Phase geraten, sie sagten: Alles Kacke!“
Der Niedergang vom Opel-Werk in Bochum wurde prophezeit
Ein drittes Treffen im großen Kreis hat es dann nicht mehr gegeben. Neuauflage denkbar? „Ich bin heute 67“, sagt Errol Faßbender. Pause, dann: „Ich habe meine Erinnerungen, das war ein Lebensabschnitt, ein sehr angenehmer, aber er ist abgeschlossen.“
Die Faßbenders gehörten auch nie zu den Ex-Opelanern, die den spektakulären Abrissarbeiten von den Absperrzäunen an der Straße aus zusahen. „Man ist da oft vorbeigefahren, aber hat nie angehalten.“ Der Opel-Stadt Bochum ist 2014 von Journalisten der Niedergang prophezeit worden.
Man muss das nie zu ernst nehmen, sie leben davon, Apokalypsen heraufzubeschwören. In Bochum ist dann auch das Gegenteil passiert – „Etas“, „Zess“, „Accolade“ . . . – aber richtig ist: Spuren von Opel muss man kennen. Oder intensiv suchen. Erfolg zweifelhaft. Opel ist äußerst gründlich entsorgt worden.
Dass der größte Teil der Stadtautobahn, der heutigen A448, für Opel gebaut wurde, kann man wissen, aber nicht sehen. Auch dem roten Verwaltungsgebäude sieht man Opel nicht mehr an, dort steht heute „O-Werk“, der weiße Opel-Schriftzug und der Blitz sind abgehängt und eingelagert in Rüsselsheim. Sie sollen anderswo in Bochum irgendwann wieder aufgestellt werden – wetten, dass nicht . . .?
Die autobahnähnliche „Opel-Spange“ ist aufgegangen in der Autobahn 44. Den „Opel-Ring“ hat die Stadt umgetauft, er heißt nun „Tsukuba-Ring“ nach einer japanischen Partnerstadt, die in Bochum niemand kennt. Nun gut, eine neue Stichstraße heißt nach der früheren Firmenchefin und Witwe von Adam Opel: Sophie-Opel-Straße. Sie liegt auf dem „Opel-Gelände“, ach nein, es heißt ja jetzt „Mark 51/7“. Eine Erinnerung wird getilgt. Wie man das tut, wenn man so enttäuscht, so verletzt ist. Opel war das „Etas“, das „Zess“ der 1960er-Jahre. Nur in viel größer.
Ex-Opelaner aus Bochum treffen sich noch heute
Natürlich gibt es Treffen im kleinen Kreis. Die Runde in einer Gaststätte in Langendreer, jeden Mittwoch sitzt sie zusammen, sieben, acht, bis zu zwölf Männer, die ersten kommen in die Jahre, fahren nicht mehr selbst, müssen gebracht werden. Solche informellen Kreise gibt es noch viele, und auch Faßbender hat solche Kontakte: „Da hat man noch richtig alte Freunde und telefoniert, denn leider wohnen die nicht hier in der Waldstraße.“
Und dann gibt es diese Todesfälle, die herumgehen. „Manchmal liest man das auf Facebook“, sagt Renate Faßbender, zitiert: „Habt ihr schon gehört? Der alte Kollege X ist gestorben, der hat bei uns da und da gearbeitet.“ Meldungen wie diese wird es noch viele Jahre geben. Denn so groß war das.
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