Bochum. Familie Nissen aus Bochum hat ihr altes Haus modernisiert. Der Energieverbrauch ist rapide gesunken, die Investitionen sind allerdings hoch.
Altes Haus, alte Heizung. Viele Bochumerinnen und Bochumer machen sich Gedanken darüber, ob sie wegen des neuen Gebäudeenergiegesetzes ihre Heizanlage erneuern müssen. Und sie fürchten, dass das nicht einmal reicht, weil ihre in die Jahre gekommenen Immobilien nur unzureichend gedämmt sind. Fünf-, gar sechsstellige Kosten stehen im Raum. Jörg Nissen und seine Familie in Bochum-Linden haben das schon hinter sich. Und mit welchen Erfahrungen?
Doppelhaushälfte von 1951 war energetisch „ein Albtraum“
Ein Hausbesuch. Jörg Nissen öffnet die Tür einer 1951 erbauten Doppelhaushälfte, in die er 1999 mit Frau und Kind eingezogen ist. „Die Kunststofffenster stammten aus den späten 70ern, Fassade und Dach waren ungedämmt, die Gasheizung aus den frühen 80ern mit einem 170 Liter Brauchwasserspeicher. Energetisch aus heutiger Sicht ein Albtraum“, sagt der 57-Jährige. Und: „Die Heizungsanlage war so dimensioniert, dass im Winter die Räume kalt wurden, wenn der Brauchwasserspeicher nachgeheizt wurde. Der Gasverbrauch lag damals bei etwa 33.000 Kilowattstunden im Jahr (kWh/a).“
Schnell war den Nissens klar, dass es so nicht bleiben könne. Weil Heizen auf die Dauer viel zu teuer sein würde. Und weil die Rahmenbedingungen aus ökologischer Sicht gelinde gesagt bedenklich waren.
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Erstes großes Projekt: neue Heizung und gedämmte Fassade
Und dann haben sie losgelegt: Erst in Eigenarbeit eine Dämmung aus kaschierter Glaswolle zwischen den Dachbalken eingebaut und 2006, längst war das zweite Kind da, die Heizungsanlage erneuert und die Fassade dämmen lassen. „Wir haben uns für eine Gas-Brennwertheizung entschieden, eine 11-qm-Solarthermieanlage auf dem Dach und einen 750-Liter-Pufferspeicher, der als Durchlauferhitzer das Brauchwasser erwärmt“, erklärt Jörg Nissen. Für den Heizungsbauer sei das damals noch eine selten bis nie angefragte Kombination gewesen. „Und es hat mich am Ende Jahre gekostet, um die komplette Anlage zu optimieren.“ Überhaupt erzählt er im Laufe des Gesprächs, den Eindruck gewonnen zu haben, dass es für eine notwendige individuelle, stimmige Energielösung, die für jedes Haus einzeln erarbeitet werden müsse, an kompetenten Ansprechpartnern fehle.
Schnell hat sich der Erfolg der ersten großen Investition von etwa 35.000 Euro eingestellt: Der jährliche Gasverbrauch sank auf 16.000 bis 19.000 kWh. Angesichts steigender Energiepreise haben sich die Nissens dann vor drei Jahren entschieden, sich und ihr Haus noch besser aufzustellen. Die Fenster wurden ausgetauscht und mit Rollläden ausgestattet, eine Photovoltaikanlage (PV-Anlage) mit Batteriespeicher installiert, eine Ladestation für Elektroautos, eine sogenannte Wallbox, und ein Batteriespeicher angebracht. „Abzüglich aller Förderungen beliefen sich die Kosten auf etwa 55.000 Euro, da auch noch einige Nebenarbeiten wie das Neudecken des Garagendachs ausgeführt werden mussten“, so Jörg Nissen.
Investitionen in das Haus machen sich zum Teil bezahlt
Viel Aufwand, der sich aber ausgezahlt hatt, finden die Bochumer. Wenn auch nicht unbedingt in Euro und Cent. Der Heizungstausch und die PV-Anlage amortisieren sich – je nach Entwicklung der Energiepreise – nach zehn bis 20 Jahren. Die energetische Sanierung der Gebäudehülle, da macht sich der zahlenaffine IT-Experte keine Illusionen, wird sich auch mittelfristig nicht rechnen. Aber: Sie hilft insgesamt, die Energiekosten deutlich zu senken. Und: „Wenn jeder nur sein eigenes Haus sieht, machen Investitionen in energetische Sanierung eines Gebäudes überhaupt keinen Sinn, weil es im Verhältnis zum deutschen oder sogar weltweiten CO2-Ausstoß keine Auswirkung hat“, sagt Jörg Nissen. „Erst in der Masse zeigt sich, dass es auf jeden Einzelnen ankommt. Und dafür sind pragmatische und keine bürokratischen Lösungen der Weg, der zum Ziel führt.“ Bedacht werden sollte auch, dass alle Investitionen den Wert und damit den möglichen Verkaufspreises eines Hauses erhöhen. Der Hausbesitzer schätzt, dass die Preisdifferenz zwischen energetisch sanierten und unsanierten Häusern bei 50.000 bis 80.000 Euro liegen wird.
Ein Tipp für Hausbesitzer: mit einer PV-Anlage anfangen
Beflügelt haben den IT-Experten die ersten Erfahrungen mit der PV-Anlage. „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, zum ersten Mal zu sehen, dass man selbst Strom erzeugt. Das ruft eine gewisse Euphorie hervor und den Drang, diesen selbst produzierten Strom auch selbst zu nutzen.“
Daher rät er auch jedem, der jetzt vor der Entscheidung steht, ob und was er unternimmt, um seine Immobilie energetisch besser aufzustellen, mit einer PV-Anlage anzufangen. „Das ist noch eine überschaubare Investition und man sieht sofort den Ertrag.“ Als Zweites sollte dann das Thema Heizung angegangen werden.
Gasverbrauch von 33.000 unter 10.000 Kilowattstunden gedrückt
Der Fenstertausch hat den Gasverbrauch im ersten Jahr zwar nur um 1500 kWh reduziert („Das war schon etwas enttäuschend“). Aber die PV-Anlage hat den Stromverbrauch von 7000 kWh auf 2800 kWh jährlich verringert. „Von Mai bis September nutzen wir mittlerweile ausschließlich selbst produzierten Strom“, so Nissen. Unter anderem werden damit die beiden E-Autos geladen. März, April und Oktober seien sie weitestgehend autark mit Zukäufen in der Nacht. Lediglich von November bis Februar werden nur 20 Prozent des benötigen Stroms selbst produziert.
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Damit nicht genug. Im vergangenen Jahr hat die Familie noch zwei Multisplit-Klimageräte zur Heizung und Kühlung der Wohn- und Schlafräume angeschafft. „Hier befinden wir uns noch auf der Odyssee im Förderdschungel und hoffen, die Investition von 20.000 Euro am Ende durch die Förderung auf 13.000 € drücken zu können.“ Energetisch haben die Geräte dazu geführt, die Vorlauftemperaturen der Gasheizung deutlich zu senken und den Gasverbrauch knapp unter 10.000 kWh zu drücken. Zum Vergleich. Vor fast 25 Jahren waren es noch mehr als dreimal so viel.
Investitionen von 110.000 Euro binnen 17 Jahren
Eine lange Reise, ein großer Wurf, aber auch erhebliche Kosten. „Alles in allem haben wir in den letzten 17 Jahren 110.000 Euro in die energetische Sanierung unseres Hauses investiert“, sagt Nissen. Möglich gewesen sei das nur, weil zwischenzeitlich eine Lebensversicherung ausbezahlt wurde und die gut angelegt werden sollte. „Ich bin jemand, der gerne langfristig plant“, sagt der IT-Fachmann und zeigt nebenbei mit fast diebischer Freude auf den Bildschirm eines I-Pads, auf dem in Diagrammen sämtliche Energiedaten des Hauses abgerufen werden können und das nur so vor grünen Kreisen und Säulen strotzt. Will sagen: Alles im optimalen Bereich.
Trotzdem ist noch nicht Schluss. „Im Moment überlegen wir, die PV-Anlage zu erweitern und eine Brauchwasserwärmepumpe zu installieren, um noch unabhängiger vom Gas zu werden.“ Kostenpunkt: 8000 bis 10.000 Euro – „sofern sich Handwerker finden lassen, die die Pläne umsetzen können und wollen“, sagt Jörg Nissen. So viel ist sicher: Ein altes Haus energetisch zu sanieren und die Heizanlage fit zu machen für die Zukunft ist ein Marathon, kein Sprint.