Bochum. PCB ist ein Problem an der Ruhr-Uni Bochum. Nun wird ein weiteres Gebäude abgerissen. Der Bauschutt dient einer neuen Denkfabrik in der Nähe.
„Vorsicht, da kommt ein Balkon.“ So absurd die Warnung klingt. Sie stimmt. Hoch über dem Gebäude „NA“ der Ruhr-Universität Bochum schwebt eine tonnenschwere Last am Haken eines mächtigen Krans. Es ist eines von Tausenden Beton-Elementen, in die das 13-geschossige Gebäude geteilt, zerkleinert und abtransportiert wird. Ende des Jahres wird das naturwissenschaftliche Gebäude A gut 60 Jahre nach seinem Bau verschwunden sein. Ein Baustellenbesuch.
Schadstoffsanierung am Gebäude NA ist zu 85 Prozent erledigt
Der Blick vom NA-Dach hinunter ins Lottental, das an diesem diesigen, windigen Morgen wegen der leichten Schneeschicht auf Bäumen und Wiesen noch idyllischer wirkt als sonst, lässt fast vergessen, dass in den Etagen darunter bis zu 100 Abbruchspezialisten mit gefräßigen Maschinen einer geordneten Zerstörung nachgehen. Stück für Stück wird das an dieser Stelle noch mehr als 50 Meter hohe Gebäude abgetragen. Und das in einem ziemlich flotten Tempo. „In drei Wochen wird das hier nicht mehr zu sehen sein“, sagt Bauleiter Mario Jörges und zeigt auf den massigen Kern im Zentrum des Abschnitts, auf dem wir stehen. Eine Trutzburg aus Beton, hinter der sich Treppenhaus und Aufzugschächte des südlichen Gebäudeteils verstecken.
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Erst im November hat der tatsächliche Abriss begonnen, nachdem NA erst entkernt wurde und mittlerweile auch zu 85 Prozent schadstoffsaniert ist. Und schon jetzt ist das Hochhaus zur Hälfte verschwunden – jedenfalls bis auf Bodenniveau. Ganz unten wartet später noch die bis zu 2,20 Meter dicke Betonsohle, auf der das Gebäude steht. „Die wird tiefenzertrümmert“, erfahre ich. Wie genau, das stehe noch nicht fest.
Bis zu 100 Heitkamp-Mitarbeiter reißen Betongiganten ab
Aber: „Ende des Jahres werden wir fertig sein“, verspricht Ina Geisensetter, die stellvertretende Projektleiterin des Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB) Nordrhein-Westfalen mit Blick auf Robert Lamsal, Projektleiter der Firma Heitkamp aus Herne, die im Auftrag des BLB den Abriss erledigt, und auf die beiden Heitkamp-Bauleiter Jörg Rohrka und Mario Jörges. Von den Abrissexperten kommt kein Widerspruch.
GC – der nächste Betonriese fällt
Polychlorierte Biphenyle, besser bekannt als PCB, sind der Grund für das millionenschwere Sanierungsprogramm an der Ruhr-Uni. Viele Gebäude dort sind PCB-belastet. Sie werden saniert oder 1:1 ausgetauscht, um das Gesicht des seit 2015 unter Denkmalschutz stehenden Uni-Ensemble zu erhalten.
Der Abriss und Wiederaufbau des Gebäudes NA ist der dritte Komplettumtausch, den der Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) NRW an der Ruhr-Uni vornimmt. Schon die ingenieurwissenschaftlichen Gebäude IA und IB mussten wegen einer zu hohen PCB-Belastung abgerissen und neu aufgebaut werden.
Ende 2025 soll das neue NA-Gebäude fertig sein. Äußerlich soll es dem Originalbau entsprechen, im Inneren aber allen modernen Ansprüchen an ein Wissenschaftsgebäude genügen. Und: NA wird nicht das letzte Uni-Gebäude sein, das ausgetauscht wird. Noch in diesem Jahr soll mit dem Abriss von GC in der geisteswissenschaftlichen Reihe begonnen werden, einem ebenfalls 13-geschossigen Betongiganten.
80 bis 100 Mitarbeiter machen dem Betongiganten „NA“ den Garaus. „So schonend wie möglich“, wie es heißt. Schließlich soll der Wissenschaftsbetrieb mit seinen 50.000 Lehrenden, Studierenden und Beschäftigten rundherum nicht über Gebühr gestört werden. Außerdem wird gar nicht alles abgerissen. „Evolution bleibt“, sagt Jörg Rohrka und zeigte mit einem verschmitzten Lächeln ein Bild auf seinem Smartphone. Es zeigt Beton – als Kunst.
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180 Tonnen schweres Kunstwerk ist vorübergehend eingelagert
Tatsächlich ist das eine der vielen Besonderheiten im Zusammenhang mit diesem Rückbau. Da, wo jetzt der 800-Tonnen-Kran zwischen Mensa und den NA-Resten thront, stand ein riesiges Kunstwerk: Evolution genannt, entworfen von Hanns Holtwiesche. Es wurde Ende der 60er Jahre beim Bau des Gebäudes installiert und ist, so Projektleiter Robert Lamsal, „eine Stützwand, die Erdreich abfängt, ausgebildet als Kunstwerk“. 180 Tonnen schwer ist die Wand, die unter Anleitung des Restaurators zersägt wurde, derzeit in bis zu 30 Tonnen schweren Einzelteilen in Bochum gelagert wird und beim NA-Neubau an gleicher Stelle wieder eingebaut werden soll.
Überhaupt ist hier wenig von der Stange: Materialwissenschaftler der Ruhr-Uni haben tonnenschwere Deckenunterzüge bekommen. Sie untersuchen, ob die Betonteile nach dem Ausbau aus einem alten Gebäude wieder verwendet werden können. „Das Interesse an der Baustelle ist immens“, sagt Mario Jörges. Studierende der Technischen Hochschule Georg Agricola aus Bochum und der Bauhaus-Uni Weimar haben sie schon besichtigt, andere aus weiteren Uni-Städten haben sich angekündigt. Es sind angehende Ingenieure, Materialwissenschaftler und Studenten, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen.
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Abbruchunternehmen nutzt Abbruchroboter und Kräne im XXXL-Format
Und natürlich interessieren sie sich auch für die Technik. Heitkamp setzt in Querenburg zum Beispiel drei ferngesteuerte Abbruchroboter ein, die der Mannschaft die Arbeit erleichtern und den Abriss beschleunigen. Ein großer Bagger steht neben dem Gebäude und zerteilt mit einem Meißel die Betonelemente in Puzzleteile. Aufgebaut wurden außerdem zwei Kräne im XXXL-Format. Für den einen wurden extra Schienen verlegt, damit der gesamte Baustellenbereich erfasst werden kann. Mit dem anderen, 800 Tonnen schwer, 70 Meter hoch und mit einem 60 Meter langen Ausleger versehen, werden die Betonsegmente zu Boden befördert, wo sie zerkleinert und abtransportiert werden.
Und das in die unmittelbare Nachbarschaft. 100.000 Tonnen Uni-Schutt werden im ehemaligen Opel-Werk in Laer in den Boden eingebaut. „Sauberer Schutt“, wie Mario Jörges mit Verweis auf die Schadstoffsanierung betont. Wenn das keine Symbolik besitzt: Die Reste der einen Denkfabrik landen dort, wo die neuen Denkfabriken auf Mark 51/7, eben dem früheren Opel-Werk, entstehen.
Bis zu 1000 Tonnen PCB werden aus dem Gebäude entfernt
Das alles ist ein Geflecht präziser Arbeitsabläufe. „So eine Baustelle funktioniert nur miteinander“, sagt Ina Geisensetter vom BLB. „Was allein vor dem Abbruch beachtet werden muss, ist für Außenstehende kaum vorstellbar; wenn ich einen Betrieb mit 50.000 Beschäftigten aufrecht halten muss, ich aber eine Straße komplett aus dem Verkehr herausnehme – und das Ganze aber funktionieren muss inklusive Studenten, Mitarbeitern, Zulieferung, Kita, Radfahrern, Feuerwehr, Stadtverwaltung .... “
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Sie denkt daran, dass es trotz der Voruntersuchungen noch Überraschungen bei den Schadstoffen gegeben hat – allein 1000 Tonnen PCB werden hier gesichert und abtransportiert, dass die Baustraße unter dem sogenannten Verkehrsbauwerk, der Tiefgarage, um 20 Zentimeter tiefer gelegt werden musste, damit die Lkw dort hindurch fahren können. Und sie erzählt davon, dass an der Nordstraße ganz sensibles Vorgehen gefragt ist. Denn: Dort steht der Forschungsbau Zemos, in dessen Keller ein schwingungsempfindliches Mikroskop steht. Geisensetter: „Wir haben einen ganzen Nachmittag Fahrten mit Lastwagen durchgeführt, um zu testen, wie schwer, wie schnell, mit wie vielen Achsen, ob voll oder leer wir dort vorbeifahren dürfen.“ An dem Weg selbst führt buchstäblich kein Weg vorbei. „Wir müssen daher fahren.“ Jede Menge Herausforderungen.
BLB betreut an der Ruhr-Uni vier Projekte gleichzeitig
Und die sind noch lange nicht vorbei. „Es gibt ja viele Projekte des BLB hier an der Ruhr-Uni“, sagt Theresa Hinterwälder, die Abteilungsleiterin für Baumanagement beim BLB NRW: „Abriss NA, dann der Abriss von GC, der noch in diesem Jahr beginnt, die Sanierung des Verkehrsbauwerks und der Bau eines neuen Parkhauses.“ Und dann ist da noch die Frage, welche der Altgebäude noch abgerissen und wieder neu aufgebaut werden müssen. Aber das ist eine andere Geschichte.