Bochum. Johan Simons will das Schauspielhaus Bochum von „Kopf bis Fuß“ umkrempeln. Der Intendant reagiert auch auf seine Kritiker. Das sind seine Pläne.
Kurz, ganz kurz hat Johan Simons im März darüber nachgedacht hinzuschmeißen. Bochum Bochum sein zu lassen. Sein Renommee hätte dem Holländer sicher Türen andernorts geöffnet. Im Gespräch mit den WAZ-Redakteuren Thomas Schmitt und Sven Westernströer äußert sich der Intendant des Schauspielhauses Bochum zur anonymen Mail, die von einem Klima der Angst am Theater handelte. „Es war wie ein Messer im Rücken“, sagt der 75-Jährige. Simons spricht außerdem vom Zustand des Hauses, von seiner Vertragsverlängerung und kündigt an, sein Versprechen vom „Theater für alle“ wahr machen zu wollen.
Schauspielhaus Bochum: Simons’ Vertragsverlängerung wackelte
Mit 75 Jahren haben Sie Ihren Vertrag soeben um drei Jahre verlängert. Wenn er Mitte 2026 ausläuft, werden Sie fast 80 sein. Da sind andere seit Ewigkeiten im Ruhestand. Was treibt Sie an?
Johan Simons: Ich bin Künstler bis zum Tode. Da kann man nicht einfach sagen, man hört auf. Jedenfalls kann ich das nicht. Ich bin gut darin, Ensembles aufzubauen, es sind im Laufe der Jahre einige gewesen. Gerade das Bochumer Ensemble mit seinen vielen Kulturen und Nationalitäten liebe ich besonders. Ich habe aber auch verlängert, weil ich mir fest vorgenommen habe, das ganze Theater gesund zu machen, von Kopf bis Fuß.
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Wie krank ist das Schauspielhaus denn?
Jetzt nehmen sie meine Redewendung etwas zu wörtlich. Aber es ist so: Es gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sind seit 30 oder 40 Jahren sehr treu in diesem Betrieb, sie haben einige Intendanten kommen und gehen sehen und mussten sich immer wieder auf neue Theaterleitungen einstellen. Das ist natürlich eine Herausforderung. Letztlich ist das Schauspielhaus ein Institut wie jedes andere auch. Ich habe mir fest vorgenommen, eine Menge an Strukturen zu hinterfragen und vieles zu ändern. Aber dafür braucht es Zeit. Sehen Sie, ich kenne dieses Haus, seit ich mit 24 Jahren auf der Schauspielschule war. Die Architektur mitten in der Stadt und seine regionale, nationale und internationale Ausstrahlung ist fantastisch. Das Image dieses Theaters beschäftigt mich seit bald 50 Jahren.
Trotzdem wurden unlängst schwere Vorwürfe gegen Sie laut. In einer anonymen Mail, die angeblich von Mitarbeitern des Hauses stammt, wurde ein „Klima der Angst“ beschrieben. Wie stehen Sie dazu?
Anonym auf diese Weise beschuldigt zu werden, ist furchtbar und schmerzt mich sehr. Der Urheber des Briefes ist nach wie vor unbekannt. Umso mehr habe ich mich über das Statement der Belegschaft gefreut, die sich nach unserer Vollversammlung ausdrücklich von diesem Versuch der anonymen Einflussnahme distanziert hat.
Haben Sie überlegt, alles hinzuwerfen?
Ja, aber nur ganz kurz. Dieser Vorwurf war für mich zuerst wie ein Messer in den Rücken.
„Man muss wissen, was woanders passiert“
Gab es denn Anzeichen dafür, dass in Ihrem Betrieb etwas nicht stimmt?
Ich habe schon gespürt, dass ich etwas ändern muss. In Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war manchmal Unzufriedenheit zu spüren. Deshalb habe ich eine Beraterfirma beauftragt, die aktuell mit einigen Abteilungen Gespräche führt.
Müssen Sie nicht selbst was ändern?
Ich selbst bin in jeder Abteilung unterwegs, führe Gespräche mit vielen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Ich werde nun auch ein eigenes Büro nehmen, das ich vorher gar nicht hatte. Bislang habe ich gedacht, ich mache „Walking Management“ und bekomme so am meisten mit. Als ich künstlerischer Direktor am NT Gent war, hat das gut funktioniert. Aber hier brauche ich ein eigenes Büro, wo die Leute anklopfen und sich in einem geschützten Rahmen mit mir unterhalten können. Ich möchte für jeden ansprechbar sein und jeder soll sich einbringen dürfen. Wenn die beste Idee von der Pforte kommt, ist mir das genauso recht wie von der Dramaturgie.
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Dabei heißt es in der Mail aber auch, Sie seien „nie da“ und viel an anderen Theatern unterwegs.
Ich möchte noch mal anmerken, dass Sie eine anonyme Mail zitieren, von der wir nicht wissen, wer die Quelle ist.
Wir haben Gespräche mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern geführt, die sehr gut vernetzt sind. Der Vorwurf ist unserer Recherche nach nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Zur Frage: Ich schätze, dass ich etwa zu 70 Prozent in Bochum bin. Ich finde es aber auch wichtig für den Intendanten eines solch großen Theaters, sich auch an anderen Häusern umzuschauen und dort zu arbeiten. Man muss wissen, was woanders passiert, das kann dem kulturellen Anspruch des eigenen Theaters nur nützen.
„Corona ermöglichte noch keine einzige normale Saison“
Umso wichtiger ist es, dass während Ihrer Abwesenheit im Schauspielhaus alles gut geregelt ist. Der Umgang mit Ihrer Stellvertreterin wird von Mitarbeitern aber als schwierig empfunden. Stimmt das?
Auf diese Behauptung werde ich nicht eingehen, es liegt mir fern, mich öffentlich zu einzelnen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern zu äußern.
Daneben spüren wir eine Unzufriedenheit von Teilen des Publikums mit Ihrem Programm, das oft als zu kopflastig und zu schwierig beschrieben wird. Viele wenden sich ab, die Besucher- und die Abo-Zahlen sinken. Wie stehen Sie dazu?
Ich habe zum einen einen künstlerischen Auftrag, den ich hoffentlich erfülle, wie etwa die beiden Einladungen zum Berliner Theatertreffen zeigen. Zudem sind „Hamlet“, „Penthesilea“ und „Die Jüdin von Toledo“ die Aufführungen mit dem meisten Publikum, und das sind alles keine einfachen Stoffe. Es ist aber nie schlimm, mit dem Spielplan mehr in die Breite zu gehen, was wir auch tun. Wer sich etwa „Mit anderen Augen“ oder „Die Hermannsschlacht“ anschaut, wird dies spüren. Ich bin gespannt, wie diese Stücke ankommen, wenn sie mal endlich vor einem vollen Saal gespielt werden können. Denn wegen der Corona-Pandemie, des Wasserschadens und Renovierungsarbeiten zu Beginn meiner Intendanz haben wir bislang noch keine einzige normale Saison gehabt.
„Ich denke über jeden Cent nach, der hier ausgegeben wird“
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Wird aus dem Schauspielhaus unter Ihrer Leitung also doch noch ein „Theater für alle“, wie viele es fordern?
Man muss immer dran denken, dass das Schauspielhaus in dieser Stadt eine der wichtigsten Kulturinstitutionen ist. Deswegen sind wir immer bemüht, die Menschen zu erreichen. Mit dem Stück „Nicht wie ihr“ gehen wir gerade zu den Fußballclubs, für „Hoffen und Sehnen“ gehen wir raus auf den Vorplatz und auch den Kontakt zur Ruhr-Uni wollen wir noch weiter ausbauen. Eine Theater-Flatrate für Studierende gibt es schon. Wir haben eine Verantwortung der Stadt gegenüber, denn es geht auch um Steuergelder. Ich denke über jeden Cent nach, der hier ausgegeben wird.