Bochum Mite. Julia Gutjahr spielte Jahre lang am Theater in Castrop-Rauxel, bis sich ihr die Chance auf ein Medizinstudium bot. Heute arbeitet sie im St.Josephs-Hospital.

Schon als kleines Mädchen schrieb Julia Gutjahr bei "Berufswunsch" ins Freundebuch: "Schauspielerin oder Ärztin". Kaum hätte sie wohl damals geahnt, dass sich einmal beide Berufswünsche erfüllen sollten. Erst ging's ans Theater, später ins Krankenhaus. 

"Nach der Schule habe ich zunächst eine private Schauspielausbildung gemacht", erzählt die in Hannover geborene und in Berlin aufgewachsene Gutjahr. Weil es mit einer Schauspielschule nicht klappte, riet ihr ihre damalige Schauspiellehrerin, den Weg direkt ans Theater zu wagen.

Von Berlin ins Ruhrgebiet 

"Ich wollte immer weg aus Berlin, nach Westdeutschland, weil es da so viele Theater gibt", erinnert sich die heute 45-Jährige. Ihre Prämisse: "Egal, wohin ich komme - und wenn es Castrop-Rauxel ist". Mit 23 Jahren sprach Gutjahr an Theatern vor. Und wie das Schicksal eben so spielt -sie landete am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel. 

"Erst habe ich dort im Kindertheater gespielt, dann im Abendtheater", erzählt Gutjahr. Jahre lang war das genau ihr Ding: Schiller, Goethe, Kleist oder auch Loriot und Shakespeare. "Am liebsten habe ich immer lustige Rollen oder Krimis gespielt", sagt Gutjahr. Zu ihren Lieblingsstücken zählten "Der nackte Wahnsinn", "Mein Freund Harvey", "Tannöd" und "Kassandra". 

Eine entscheidende Frage

"Ich habe besonders geliebt, einfach in eine Rolle hereinzufallen und wochenlang intensiv an einem Stück zu arbeiten", sagt sie. Doch dann kamen mehrere Ereignisse zusammen. Das war zum einen das Gefühl, sich "ausgespielt" zu haben. Weniger Hauptrollen, mehr Nebenrollen. "Es ist aber natürlich schwierig mit 35 noch irgendwie zu wechseln, gerade, weil ich keine Ausbildung an einer Schauspielschule hatte", sagt sie rückblickend. 

Aber der Wunsch, etwas "Sinnvolleres" zu tun, wuchs. Dann ging sie mit Onkel und Tante in der Eifel wandern und beim Abendessen kam die Frage auf: "Was würdest du tun, wenn du noch mal 20 wärst?" Gutjahr erinnert sich noch genau an ihre Antwort. "Ohne zu Zögern habe ich gesagt: Medizin studieren". 

Studium nach 31 Wartesemestern

Als ihre Angehörigen erfuhren, dass Gutjahr im Prinzip nur das fehlende Geld für ein Studium von ihrem Traum abhielt, sagten sie ihr: "Wir unterstützen dich". Dann ging trotz einem 3er-Abiturschnitt und mit 31 Wartesemestern plötzlich alles doch ganz schnell: "Ich habe mich für das folgende Jahr an der Ruhr-Universität in Bochum eingeschrieben und mit dem Studium begonnen", sagt Gutjahr, die zweifache Mutter ist.

Dass sie deutlich älter war als die meisten ihrer Kommilitonen, störte Gutjahr nicht. Auf Studentenparties war sie zwar eher weniger vertreten, fühlte sich aber dennoch willkommen. Seit Jahresbeginn arbeitet Gutjahr nun in der Kardiologie des St. Josephs-Hospital in Bochum und macht ihre internistische Ausbildung.

Bauchgefühl zu Kopfarbeit

"Das sind natürlich zwei ganz unterschiedliche Bereiche", sagt die 45-Jährige. Während es bei der Schauspielerei um Bauchgefühl gegangen sei, stehe nun die Kopfarbeit im Vordergrund. Gutjahr ist sich sicher, beide Facetten in ihrer Persönlichkeit zu haben. "Besonders der Patientenkontakt macht mir Spaß und die Herausforderung, neue Dinge zu lernen", sagt sie.

Ganz abgerissen ist der Kontakt in die Theaterwelt nicht. "Mein Mann ist Bühnenbildner, ich bin noch regelmäßige Theatergängerin", sagt Gutjahr, die sich auf lange Sicht in einer Hausarztpraxis sieht.

Krankenschwestern gespielt

Wer von Gutjahrs Werdegang erfährt, ist in der Regel interessiert. "Die meisten finden das total spannend, manche sind auch irritiert und sagen: Du hattest doch einen totalen Traumberuf", erzählt sie. Ihren Kindern (16 und 19) gibt sie heute folgenden Tipp bei der Berufswahl: "Wenn man etwas von Herzen aus will, ist es viel einfacher". 

Auch allen anderen gibt sie denn Rat: "Man kann sein Leben ändern und das muss nicht auf dem klassischen Weg sein." Lange Jahre hat Gutjahr nur Krankenschwestern auf der Bühne gespielt, heute steht sie im Arztkittel im Krankenhaus. "Das war der richtige Weg", sagt sie.

>>> INFO: Schauspiel studieren

In Deutschland gibt es 13 staatliche Schauspielschulen, dazu zahlreiche private Schulen. Zu den staatlichen Schulen zählt die Folkwang Hochschule in Bochum. 

Den Studiengang Schauspiel sollte man nicht mit der Theaterwissenschaft verwechseln, die man auch in Bochum studieren kann. Im Studium geht es um Theatergeschichte, Schauspielkunst, Musik, Dramaturgie, Bühnentechnik, Theaterbau und Publikum.