Bochum. Die Ärztin Ainura Rasheed folgte dem gutem Ruf der deutschen Medizin und kam nach Bochum. Nicht alle Klischees zu Deutschland bestätigt sie aber.
Zwischen Bischkek und Bochum liegen mehr als 6000 Kilometer. Ainura Rasheed legte diesen Weg von der Hauptstadt Kirgistans bis ins Ruhrgebiet vor gut 15 Jahren zurück, um ihr medizinisches Wissen zu vertiefen. Seit Juli dieses Jahres arbeitet die ursprünglich aus Kasachstan stammende Fachärztin für Allgemeinmedizin im Medizinischen Versorgungszentrum Augusta in Bochum-Linden.
Hinter ihr liegen nicht nur der weite Weg von Zentralasien nach Europa, sondern auch außergewöhnlich viele Jahre des Lernens. „Bei uns war das Medizinstudium schon gut, aber es gab viele alte Bücher und auch die technische Ausstattung war damals nicht fortschrittlich. Ich habe dann gedacht, ich versuche mein Glück in Deutschland. Pünktlichkeit und Qualität sind die berühmtesten Charakteristiken der Deutschen. Und es gibt hier eine sehr gute Medizin. Das hat mich interessiert“, sagt die junge Ärztin und fügt schmunzelnd hinzu: „wobei ich den Eindruck habe, dass sich das mit der Pünktlichkeit ein wenig geändert hat.“
„Unsere Tür ist immer offen und du wirst uns fehlen“
Rasheeds Eltern, die ebenfalls gut gebildet sind und berufsbedingt in verschiedenen Ländern gelebt haben, fiel der Abschied schwer, dennoch ließen sie los. „Du musst niemanden etwas beweisen, es geht nur um dein Interesse. Unsere Tür ist immer offen und du wirst uns fehlen“, waren einige Worte zum Abschied.
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Ainura Rasheed bewarb sich an der Universität in Essen und bekam die Zusage für einen Studienplatz. Voraussetzung für den Start des Medizinstudiums war allerdings die „Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang“ (DSH), die das Sprachvermögen eines Abiturienten erfordert.
Angehende Ärztin lernte ein Jahr ausschließlich die deutsche Sprache
Also flog Rasheed 2005 in das völlig fremde Land und bezog ein Zimmer im Studentenwohnheim. Zunächst lernte sie etwa ein Jahr ausschließlich die deutsche Sprache und bestand die Sprachprüfung an den Universitäten in Essen und Düsseldorf. Ihre Heimatsprachen Kirgisisch bzw. Kasachisch ähneln übrigens stark dem Türkischen, das Ainura Rasheed demzufolge ebenfalls problemlos versteht. Jetzt spricht sie auch ein klares, differenziertes und fast akzentfreies Deutsch.
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Obwohl Ainura Rasheed das Medizinstudium in Kirgistan abgeschlossen hatte, wurde ihr Abschluss in Deutschland nicht anerkannt. Ab Sommer 2007 startete sie den klinischen Teil des Studiums (sechs Semester) in Deutschland, beendete das Staatsexamen innerhalb der Regelstudienzeit und verfügt nun über einen doppelten Hochschulabschluss.
Bochumer Ärztin begegnet Patienten mit Respekt: „Zuhören und ausreden lassen“
Anschließend sammelte sie viele praktische Erfahrungen und begann 2014 die fünf Weiterbildungsjahre zur Fachärztin für Allgemeinmedizin unter anderem am Universitätsklinikum Essen mit Stationen in verschiedenen Fachrichtungen wie: Onkologie, Pneumologie, Kardiologie, Gastroenterologie und Chirurgie.
In Kirgistan herrschen politische Unruhen
In der parlamentarischen Republik Kirgistan herrschen aktuell politische Unruhen: Nach den annullierten Parlamentswahlen vom 4. Oktober 2020 führten anfangs friedliche Proteste in der Nacht auf den 6. Oktober 2020 in der Hauptstadt Bischkek und anderen größeren Städten zu Auseinandersetzungen von Demonstranten und Sicherheitskräften mit zahlreichen Verletzten.
Auch wenn die Sicherheitslage seither weitestgehend ruhig geblieben ist, kann es im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen, die am 10. Januar 2021 stattfinden sollen, sporadisch zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen kommen. (Quelle: Auswärtiges Amt)
Aber nicht nur der lange und beeindruckende Ausbildungsweg qualifiziert die feinfühlig wirkende Ärztin für ihren Beruf. Auch ihre ursprüngliche Herkunft aus Kasachstan prägt das Wirken der Medizinerin in Deutschland. Ein großer Wert sei es, so Rasheed, ihrem Gegenüber und vor allem älteren Menschen mit Respekt zu begegnen. „Zuhören und ausreden lassen“, sagt Rasheed, seien für sie Verhaltensweisen, die sie kulturell tief geprägt hätten.
Mittlerweile hat die Ärztin aus Bochum die deutsche Staatsbürgerschaft
Die Zugewandtheit der Kasachen wird ebenso deutlich in der ausgeprägten Gastfreundschaft. „Wenn sich bei uns Verwandte, Freunde oder Bekannte besuchen, kündigt das niemand an. Es ist eigentlich egal, ob das jetzt passend ist oder nicht. Es wird ein gutes, warmes Gericht gemacht. Für mich war es hier am Anfang etwas unverständlich, wenn die Mama die Tochter anruft und fragt: Darf ich zu dir kommen? Jetzt verstehe ich das aber“, so Rasheed, die mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat. Auch persönlich konnte sie mit einer eigenen Familie ihr Zuhause und Glück im Ruhrgebiet finden.