Bochum. Weniger neue Kontakte, dafür mehr Zeit daheim: Die Pandemie hat einen Einfluss auf das Sexleben der Bochumer. Welchen, erklärt die WIR-Beratung.
Homeoffice, geschlossene Bars und weniger neue Kontakte – die Pandemie wirkt auf vielerlei Weisen auf Sexualität ein. Bei den Beratungen im Bochumer Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin, „Walk in Ruhr“ (WIR), kommen einige Auswirkungen auf das Sexleben der Bochumerinnen und Bochumer zu Sprache.
WIR: So leben Bochumer Sexualität in der Corona-Pandemie
„Sexualität wird auch in Ausnahmezeiten gelebt und ausgelebt“, sagt Adriane Skaletz-Rorowski, geschäftsführende Leiterin von WIR. Zwar sei die Anzahl der Sexualpartner in der Pandemie gesunken, auch aufgrund der Corona-Beschränkungen – nicht aber sexuell übertragbare Infektionen (STI), wie die Leiterin der Test- und Beratungsstelle am St. Elisabeth-Hospital feststellt. „Wir haben 2021 einen Anstieg von sexuell übertragbaren Infektionen festgestellt, beispielsweise bei Chlamydien und Gonokokken.“
WIR veranstaltet Fachtag
Das „Walk In Ruhr“ hat am Freitag und Samstag, 4. und 5. Februar den 11. Fachtag Sexualität und Psyche veranstaltet, unter anderem zu Sexualität und Sexarbeit in Zeiten von Corona oder Transgendergesundheit.
„Die Kirche steht ja aktuell in der berechtigten Kritik“, so WIR-Leiterin Adriane Skaletz-Rorowski, „da ist es gut, dass das Bistum Essen auch heiße Eisen anfasst und wir mit einer lebensbejahenden Einrichtung der katholischen Kirche, die Wolfsburg, in der Fachtagung zusammenarbeiten – und dass das Katholische Klinikum Bochum offen für unsere Themen ist.“
Vielerorts seien Teststellen für sexuell übertragbare Krankheiten in den Gesundheitsämtern geschlossen worden, da für die Pandemie die Ressourcen benötigt wurden. „Nicht so in Bochum“, sagt die Leiterin. Im WIR könne sich jede und jeder beraten und auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen, „in der Beratungsstelle des Gesundheitsamtes im WIR, auch anonym und kostenlos“.
Deutlich mehr offene Beziehungen, als angenommen wird
Eine weitere Auswirkung der Corona-Pandemie sei, dass sich Sex-Treffen mehr in den privaten Bereich verlagern. Dort würde dann eher auf ein Kondom verzichtet, sagt Anja Potthoff, die ärztliche Leiterin des WIR.
Potthoff betont, es gebe in der Gesellschaft deutlich mehr offene Beziehungsformen, als angenommen wird – also Menschen, die mit mehr als mit einem Menschen Sex haben. Daher laute ihre wichtigste Botschaft: „Man sollte sich dringend auf STI testen lassen – die gibt es auch noch, nicht nur Corona.“
Sexarbeit in Bochum: „Der Schutzraum Bordell fiel weg“
Während bei Singles in der Pandemie Einsamkeit ein großes Thema sei, da es schwieriger ist, neue Kontakte zu knüpfen, sei die Lage bei Vergebenen eine andere. „Auf der einen Seite steigt die Geburtenrate im Katholischen Klinikum Bochum“, sagt Potthoff. Und funktionierende Familienstrukturen seien für viele eine Ressource in der Pandemie. Wenn aber eine Familie nicht funktioniere, kristallisiere sich das aktuell mehr heraus.
Infolge der Beratungen von Sexarbeiterinnen kommt die ärztliche Leiterin zum Schluss: „Es gab weniger Sexarbeit, aber sie hat trotzdem stattgefunden – in gefährlicherer Form für die Sexarbeiterinnen. Der Schutzraum Bordell fiel für sie weg.“ Viele Sexarbeiterinnen hätten mittellos auf der Straße gestanden.
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Grundsätzlich stellen die Leiterinnen des WIR fest, dass Präventionsarbeit bezüglich HIV und Aids fest verankert sei, nicht aber Aufklärung zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Dabei komme es viel häufiger vor, dass sich Menschen mit Chlamydien oder „Tripper“ (Gonorrhoe) infizieren, sagt Adriane Skaletz-Rorowski.
WIR-Leitung fordert mehr Aufklärung für Bochumer Jugendliche
Insbesondere für die Jugend müssten mehr Angebote entstehen, sagt die ärztliche Leiterin Anja Potthoff: „Jugendliche haben kaum Ansprechpartner, die ihre Fragen zu Sexualität seriös beantworten.“ Die Arbeit sogenannter „Health Adviser“ sei aktuell stark eingeschränkt. „In der Pandemie finden unsere Themen an den Schulen häufig keinen Platz mehr.“