Bochum. Christian Papies (46) ist neuer Leiter des Jugendamtes in Bochum. Er spricht von Zukunftszielen – und einem schweren Fall in seiner ersten Woche.
Generationswechsel im Jugendamt der Stadt Bochum: Seit zweieinhalb Monaten hat Christian Papies die Leitung von Jörg Klingenberg übernommen. Im Interview spricht er von Zielen und Herausforderungen, die die Zukunft mit sich bringt – sowie von den ersten Wochen in seiner neuen Position, in denen er sich bereits mit einem sehr schwierigen Fall beschäftigen musste.
Herr Papies, was hat Sie bewegt, die Leitung des Jugendamtes zu übernehmen?
Ich sehe das als einmalige Chance für die Zukunft, hier in Bochum die Jugendhilfe weiter zu gestalten. Deshalb habe ich mich auf die Stelle der Jugendamtsleitung beworben – auch mit Blick auf die Qualifikationen, die ich durch mein Master-Studium des Sozialen Managements zwischen 2018 und 2020 erworben habe. Ich habe mich dem Kinderschutz schon immer sehr verpflichtet gefühlt, den möchte ich als Jugendamtsleitung weiter ausbauen. Das ist ein Teil meiner Motivation.
Wofür wollen Sie sich außerdem einsetzen?
Wir müssen dem Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit entgegenwirken – ein ziemlich leidiges Thema. Es gibt unbesetzte Stellen, eine unglaubliche hohe Fluktuation in vielen Bereichen. Insbesondere in den Kitas und im Sozialen Dienst haben wir erhebliche Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen. Wir müssen schauen, wie wir als Jugendamt noch attraktiver werden und wie wir Rahmenbedingungen schaffen, damit Mitarbeitende gerne zu uns kommen und auch bleiben. Das müssen wir gemeinsam mit der Stadtverwaltung angehen.
Wie wollen Sie das angehen?
Die Attraktivitätssteigerung und Imageverbesserung war ein Schwerpunktthema meines Masterstudiums, das ich mir inhaltlich und wissenschaftlich angeeignet habe. Mich reizt es an der Stelle auch persönlich, dieses Thema mit Inhalten zu füllen. Wir sind stetig dabei, Kitaplätze auszubauen – sowohl im U 3- als auch im Ü 3-Bereich. Das wird zunehmend schwieriger, je mehr Personal uns fehlt.
Christian Papies: Zur Person
Christian Papies ist 46 Jahre alt und wohnt in Bochum. Er ist unverheiratet und hat keine Kinder. Geboren wurde Papies in Marl und wuchs in Wanne-Eickel auf.
Der neue Leiter des Bochumer Jugendamtes hat nach dem Abitur zuerst eine kaufmännische Ausbildung gemacht und bei der Deutschen Steinkohle AG in Herne gearbeitet. Es folgte ein Studium der Sozialen Arbeit in Essen, anschließend trat Papies beim Essener Jugendamt eine Stelle im Allgemeinen Sozialen Dienst an – u. a. als Leiter eines Stadtteilzentrums.
Seit 2009 arbeitet Papies beim Jugendamt der Stadt Bochum, war hier zuletzt Leiter der Abteilung Sozialer Dienst. Berufsbegleitend hat er im Master zwischen 2018 und 2020 Sozialmanagement in Münster studiert. Seit dem 1. November ist er Leiter des Jugendamtes.
Welches Ziel haben Sie außerdem?
Ein drittes Kernziel ist die Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes. Damit einher geht, dass das Jugendamt zu einem inklusiven Jugendamt werden muss und wird. Allen Kindern und Jugendlichen sollen alle Leistungen angeboten werden, unabhängig davon, ob sie von einer Behinderung betroffen sind oder nicht. Das passiert in drei Stufen, das inklusive Jugendamt nimmt in den nächsten fünf Jahren Gestalt an.
Jörg Klingenberg war drei Jahre Leiter des Jugendamtes, sein Vorgänger sogar 18. Was wird sich mit Ihnen als Leitung ändern?
Eine Änderung ist bereits in Kraft getreten: Zum 1. Januar 2022 haben wir beispielsweise das Ideen- und Beschwerdemanagement hier im Jugendamt neu ausgerichtet sowie einige Sachgebiete umorganisiert. Daran war aber auch mein Vorgänger Herr Klingenberg beteiligt. Ich bringe natürlich eine eigene Persönlichkeit mit eigenen Vorstellungen und eigenem Leitungsstil mit. Ganz wichtig ist es mir aber, weiterhin auf Kontinuität und Stabilität zu setzen. Mein Anspruch ist nicht, dass in Kürze alles anders wird. Wir haben gute Strukturen, die wir weiterentwickeln wollen. Ich möchte eine gute und zukunftsfähige Kinder- und Jugendhilfe auf den Weg bringen. Dazu gehört ein Wandel. Ich halte es da wie Richard Wagner: „Wandel und Wechsel liebt, wer lebt“. Das trifft auch auf die Kinder- und Jugendhilfe zu, die lebendig und vielfältig ist.
Auch interessant
Sie sind jetzt seit rund zweieinhalb Monaten Leiter des Jugendamtes – welche Themen haben Sie in den vergangenen Wochen beschäftigt?
Da waren zum Beispiel die Neuwahl des Stadtelternrates und der erste Jugendhilfeausschuss in meiner Eigenverantwortung am 10. Dezember. Zudem gab es im Sozialen Dienst zum Ende des Jahres einen schwierigen Fall im Stadtteil Wattenscheid. Es ging um jugendliche Mädchen, die mit vielen Straffälligkeiten und Auffälligkeiten in Erscheinung getreten sind. Die haben sich sowohl für Jugendhilfe als auch für Polizei als nicht mehr erreichbar herausgestellt, das hat uns sehr gefordert. Es handelt sich dabei um ein Schwerpunktthema des gesamten letzten Jahres und auch der Zukunft. Wir haben immer häufiger mit immer jünger werdenden Jugendlichen zu tun, die nicht mehr erreichbar sind.
Wie kann man diesen Jugendlichen helfen?
Wir müssen hier neue und passgenaue Angebote entwickeln, um die sogenannten Systemsprengerinnen und -sprenger erreichen zu können. Das wird immer schwieriger und fordert uns immer weiter heraus. Dafür brauchen wir intensive Betreuungsmöglichkeiten, die es den Jugendlichen möglich machen, in Beziehungen zu treten und diese zu halten. Es braucht Angebote, die sich an dem orientieren, wie die Kinder und Jugendliche unterwegs sind. Unabhängig vom Werdegang brauchen sie kontinuierlich verlässliche Bezugspersonen. Das müssen wir konzeptionell hier vor Ort entwickeln, in stationären und ambulanten Angeboten, die eng ineinandergreifen müssen.
Welchen Herausforderungen steht das Jugendamt in den kommenden Monaten zudem gegenüber?
Die Nachwirkungen der Pandemie werden bei Kindern und Jugendlichen lange zu spüren sein. Das Aufholen der Folgen ist eine Kernherausforderung. Wir haben vieles auf den Weg gebracht und öffentliche Fördermittel von mehr als 1,5 Millionen Euro für 2021 und 2022 beantragt und bewilligt bekommen. Die fließen in verschiedene Projekte: zusätzliche Trainee-Stellen an den Schulen, die Schulsozialarbeit, die offene Kinder- und Jugendarbeit, den Ferienpass, der dieses Jahr erneut kostenlos ist, oder die Gestaltung zusätzlicher Ferienfreizeiten.