Bochum Mitte. Franz Cremerius (60) war lange obdachlos, lebte auch in Bochum auf der Straße. Doch er schaffte den Absprung und feiert nun wieder Weihnachten.

Lange Zeit hat Franz Cremerius das Weihnachtsfest einfach verdrängt. Hat in der Zeit, in der überall Lichterketten leuchten, Geschenke gekauft und Tannenbäume geschmückt werden, einfach noch mehr Alkohol getrunken. "Ich war an Weihnachten vor allem einsam", erinnert sich der 60-Jährige.

Heute ist das anders. Cremerius ist nicht mehr obdachlos, sein Hausflur ist weihnachtlich dekoriert und am Heiligabend hat er eine Heizung, die ihn wärmt. Ein kleines Weihnachtswunder, könnte man sagen. Denn: Dass Cremerius, der jahrelang auf den Straßen in Düsseldorf, Duisburg und Bochum lebte, den Absprung schaffte, ist nicht selbstverständlich.

Ex-Obdachloser hat in Bochumer eine Festanstellung für fünf Jahre

"Ich habe viele Rückschläge erlitten, mehrere Therapien gemacht und viel Elend erlebt", sagt der 60-Jährige. Mit Betteln, Flaschensammeln und Gelegenheitsjobs hat er sich über Wasser gehalten. Aufgestanden ist Cremerius immer wieder. "2017 habe ich in Bochum Langendreer mit Unterstützung eine Wohnung gefunden", so Cremerius. Langsam fand er in die Gesellschaft, der er den Rücken gekehrt hatte, wieder zurück.

"Es geht nur mit Hilfe", ist sich der ehemalige Hüttenbauer sicher. Eine solche Handreichung ist seine Festanstellung bei "Bodo", die über fünf Jahre im Rahmen des Sozialen Arbeitsmarktes durch das Jobcenter Bochum gefördert wird. Seit dem 1. Dezember ist der Ex-Obdachlose Stadtführer bei "Bodo" und nimmt Bochumer mit an verborgene Orte unserer Stadt.

Anekdoten aus Straßenleben

"Wo bekommt man an Frühstück, wo kann man sich waschen, wo sind Schlafplätze? So etwas zeige ich", sagt Cremerius. Ein völlig anderer Blick auf die Stadt lässt sich nach der 1,5-stündigen Stadtführung kaum vermeiden. Zum Beispiel beim Tana-Schanzara-Platz direkt vor dem Bochumer Schauspielhaus: "Hier kann man windgeschützt schlafen", sagt Cremerius und zeigt auf ein paar Steinbänke.

Auch kleine Anekdoten aus seinem Leben hat Cremerius parat: Wie er in der Ferienzeit auf einem Kindergartengelände nächtigte und einen Polizeieinsatz in Boxershorts auslöste und wie er den Schlüssel zu einem Klohaus geschenkt bekam. "Das ist heute mein Maskottchen", sagt Cremerius und präsentiert den kleinen goldenen Schlüssel.

Stadtführer bei Bodo

Stadtführer bei "Bodo" zu werden, davor hat Cremerius "ein bisschen Schiss" gehabt, wie er zugibt. "Zeitungen habe ich für Bodo schon vorher verkauft", sagt er. Mit dem Re-Launch der Bodo-Stadtführungen ist Cremerius nun der Bochumer Experte für Obdachlosigkeit auf der sozialen Tour.

"Die Touren sind lange wegen Corona ausgefallen", sagt Bodo-Vertriebsleiter Oliver Philipp. Nun habe man mit festen Gruppenbuchungen gestartet, ab 2022 sollen auch einzelne Interessierte wieder die Chance haben, an der Führung teilzunehmen.

"Kann jeden treffen"

Seine Festanstellung macht Cremerius mächtig stolz. Das sei ein "super geiles" Gefühl, sagt der Bochumer. "Ich habe nicht damit gerechnet, in meinem Alter noch eine Festanstellung zu bekommen", sagt er. Sogar auf ein Seminar in der Schweiz, bei dem soziale Straßenmagazine aus aller Welt zusammenkamen, ist Cremerius für "Bodo" schon gereist.

Bei den Führungen will er vor allem vermitteln: "Obdachlosigkeit kann jeden treffen. Auf der Straße habe ich selbst wohnungslose Ärzte, Richter und Anwälte kennengelernt", sagt er. Auch sehe man den Menschen ihre Obdachlosigkeit nicht unbedingt an: "Bei Kleiderspenden sind oft Markenanziehsachen dabei", sagt er. Trotzdem könne ein Schicksal dahinterstecken.

Schlafsäcke verschenkt

Am meisten habe ihm in seiner Zeit in der Obdachlosigkeit von Passanten die Frage "Was brauchst du, wie kann man dir unter die Arme greifen?" geholfen und im Anschluss vielleicht das gekaufte Brötchen.

Wenn Cremerius heute Obdachlose auf der Straße sieht, dann macht ihn das traurig. "Ich habe natürlich Mitleid", sagt der 60-Jährige. Seine beiden Schlafsäcke hat er vor kurzem an Wohnungslose verschenkt. "Die brauche ich nicht mehr", sagt er. Ein gutes Gefühl sei das gewesen.

Förderung durch Jobcenter

Im Rahmen des Teilhabechancengesetzes fördert das Jobcenter Arbeitsverhältnisse für Langzeitarbeitslose. Die Lohnkosten werden für maximal fünf Jahre bezuschusst. In den ersten zwei Jahren werden bis zu 100 Prozent übernommen, in jedem weiteren Jahr erfolgt eine Senkung um 10 Prozent.

Arbeitnehmer und Betrieb werden durch einen Jobcoach betreut, Weiterbildungen und Praktika bei anderen Arbeitgebern mit bis zu 3000 Euro bezuschusst.