Bochum. Bochumer bekam zwei Jahre Hartz IV, hatte damit das Recht auf Erstattung der Nebenkosten. Doch er fand Arbeit, bevor die Abrechnung kam.
Als Jürgen Dieckmann (63) Anfang Dezember den Artikel in der WAZ über den Ärger von Alfred Bocian mit dem Bochumer Jobcenter las, da dachte er sich gleich: "Das kommt mir irgendwie bekannt vor". Dieckmann war einst Kunde des Jobcenters, empfing Leistungen in den Jahren 2019 und 2020.
"Ich habe jahrzehntelang als kaufmännischer Angestellter bei Klaus Steilmann gearbeitet, aber das Textilunternehmen ist pleite gegangen", sagt Dieckmann. Der heute 63-Jährige verlor seinen Job, fand nicht sofort neue Arbeit. "Deutschland ist eben ein Scheinland und ich hatte keine Ausbildung vorzuweisen", gibt Dieckmann zu.
Nebenkosten übernommen
2019 und 2020 war er finanziell auf Hartz IV angewiesen. Die Nebenkosten der Unterkunft werden im Hartz-IV-Bezug vom Jobcenter übernommen. "Dafür muss man die Betriebskostenabrechnung des Vermieters einreichen", erklärt Dieckmann den Ablauf. Möglich sei das Einreichen natürlich erst, sobald die Abrechnung vom Vermieter vorliege.
Als Dieckmann im Oktober 2020 Arbeit als "Office Manager" in einer Rechtsanwaltskanzlei fand, lag ihm die Abrechnung noch nicht vor. Der Vermieter hat das Recht, diese bis Ende des Folgejahres zu erstellen. Die Abrechnung für 2019 konnte Dieckmann deshalb noch nicht einreichen.
Streit mit Jobcenter
"Mir sollten die Nebenkosten am Jahresende erstattet werden. Jetzt, wo ich eine Beschäftigung gefunden habe, soll ich selbst für die entstandenen Nebenkosten aufkommen", klagt Dieckmann. Für das Jahr 2019, in dem Dieckmann komplett Leistungsempfänger war, belaufen sich die Kosten auf rund 580 Euro.
Beglichen hat er die Rechnung mit Mühe und Not und Unterstützung aus dem familiären Umfeld bereits, auf sich sitzen lassen will er das aber nicht. Für 2020 steht die Abrechnung noch aus. "Pech, wenn man Arbeit hat", ärgert sich Dieckmann. Er liegt mit dem Jobcenter nun im Streit, überlegt, bei Ablehnung Klage einzureichen.
Schlechte Erfahrungen gemacht
Seine einzig negative Erfahrung mit dem Jobcenter ist das allerdings nicht. Schon der Start als Kunde im Jobcenter lief für Dieckmann nicht rund. "Nach meinem Jobverlust musste ich als Leistungsempfänger zwangsweise in eine kleinere Wohnung umziehen", erinnert sich Dieckmann.
Er erkundigte sich beim Jobcenter nach Unterstützung durch eine Spedition für den Umzug. "Ich sollte dann mehrere Kostenvoranschläge einreichen", sagt Dieckmann. Nach langen Wartezeiten und verlorenen Unterlagen habe es geheißen: "Das ist zu teuer, legen sie Kostenvoranschläge von Autovermietern für einen Lieferwagen vor", sagt Dieckmann.
Heute kein Kunde mehr
Irgendwann habe es ihm gereicht. "Ich sollte, damit ich drei Hilfskräfte bewilligt bekomme, ein gesundheitliches Attest vorlegen, dass ich nicht schwer heben darf", sagt er. Am Ende habe er den Umzug dann irgendwie doch selbst gestemmt, habe sich zuvor gegängelt gefühlt.
"Die Mitarbeiter sind größtenteils unfreundlich", findet Dieckmann. Mehrfach habe er erlebt, wie Kundinnen und Kunden angeherrscht worden seien. "Ich bin jedenfalls froh, kein solcher Kunde mehr zu sein", sagt Dieckmann. Derzeit hat Bochum eine Arbeitslosenquote von 9,5 Prozent (Stand September 2021), knapp 20.400 Menschen beziehen HartzIV.
Gegenwärtigkeitsprinzip gilt
Das Jobcenter sieht sich im Recht: "Im Sozialleistungsrecht gilt das Gegenwärtigkeitsprinzip", sagt Sprecher Johannes Rohleder. Bei der Bewilligung von Sozialleistungen sei immer der aktuelle Bedarf maßgeblich. "Als die Rechnung kam, war der Kunde nicht hilfebedürftig und hat damit keinen Anspruch auf Leistungen vom Jobcenter", so Rohleder.
Manchmal habe dieses Prinzip auch Vorteile: "Wenn es etwa ein Guthaben bei den Nebenkosten gegeben hätte, hätte der Kunde dies behalten können", erklärt der Sprecher. Es könne auch sein, dass ein Kunde durch eine Nachforderung in einem Monat wieder hilfebedürftig werde, weil die Belastung sein Einkommen zu sehr übersteige. "Dann kann man in diesem Monat auch wieder leistungsberechtigt sein. Das gilt natürlich nicht für eine Fernsehrechnung, sondern für Leistungen des Lebensunterhaltes", ergänzt Rohleder.
400.000 Kundengespräche
Das Jobcenter erreichen jährlich mehrere hundert Beschwerden. Im Jahr 2018 und 2019 gingen 780 und 600 Beschwerden beim Kundenreaktionsmanagement ein, 2020 nur 332.
Beschwerden, die direkt an Teamleitungen gerichtet werden. Etwa in der Hälfte der Fälle wird nach einer Beschwerde die Entscheidung angepasst. Das Jobcenter führt im Jahr etwa 400.000 Kundengespräche.