Bochum. 3716 Menschen in Bochum weniger als noch im Vorjahr sind verschuldet. Dieser positive Trend ist aber wohl nur eine Momentaufnahmen.

Ein Blick auf den Schuldneratlas ist für viele Bochumerinnen und Bochumer in der Regel ein Blick des Grauens. Fast 40.000 Einwohner der Stadt über 18 waren im Vorjahr überschuldet. Umso verblüffender ist der Rückgang im laufenden Jahr. 3716 Menschen weniger als noch im Vorjahr sind pleite. Ein erstaunlich großer Rückgang – zumal in Zeiten der Pandemie.

Schuldnerquote in Bochum geht deutlich zurück

Erstmals seit zehn Jahren ist die Zahl der Überschuldeten in der Stadt deutlich zurückgegangen. Die Schuldnerquote ist von 12,69 auf 11,49 Prozent gesunken (Grafik) und geht damit im Gleichschritt zur Entwicklung in ganz NRW.

„Offensichtlich haben die immensen staatlichen Stützungs- und Hilfsmaßnahmen geholfen, die Wirtschaft zu stabilisieren und Unternehmen und Verbraucher vor einer befürchteten Zahlungsunfähigkeit zu bewahren“, heißt es beim Inkassounternehmen Creditreform, das jährlich den Schuldneratlas für Deutschland erstellt. „Die Menschen haben angesichts der Corona-Pandemie weniger verbraucht und mehr gespart. Ein Teil des Ersparten sei „erkennbar auch zur Abtragung bestehender Schulden genutzt worden“, heißt es bei Creditreform. Gute Nachrichten.

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Positiver Trend ist nur eine Momentaufnahme

Die allerdings bald, so die Experten, von einem Negativtrend abgelöst werden dürften. Nicht mehr als eine Momentaufnahme sei die positive Entwicklung. Es sei davon auszugehen, „dass sich die wirtschaftliche Lage für viele Verbraucher im nächsten und übernächsten Jahr verschlechtern wird“, da immer noch ein Drittel der Haushalte mit weniger Geld auskommen, die Kosten gerade für für Miete und Energie deutlich steigen und die Langzeitarbeitslosigkeit steigt. Creditreform geht daher von einem „deutlichen Anstieg von Überschuldungsfällen und Verbraucherinsolvenzen“ aus.

So sehen es auch Verbraucherschützer und Insolvenzberater. „Zeitversetzt werden die Zahlen wieder ansteigen“, ist Christoph Zerhusen, Überschuldungsexperte der Verbraucherzentrale NRW überzeugt. Vor allem die Lage bei Senioren, Kleinselbstständigen und Geringverdienern sei besorgniserregend.

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Restschuldbefreiung sinkt auf drei Jahre

Denn: „Schon jetzt schießen die Insolvenzzahlen nach oben“, so Ingrid Meiswinkel-Koch vom Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer (SKFM) Wattenscheid. Während es in den vergangenen Jahren in Bochum jährlich etwa 1000 Verbraucherinsolvenzen gegeben habe, seien es jetzt schon 1400. „Und das Gros kommt erst noch“, befürchtet die Insolvenzberaterin.

Den starken Anstieg in den ersten Monaten des Jahres führt sie allerdings ebenso wie andere Experten nicht auf die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zurück, sondern auf die neue Gesetzeslage. Da seit Januar die Privatinsolvenz nach drei Jahren beendet ist, und nicht mehr nach fünf wie bis dato, haben viel verschuldete Bochumerinnen und Bochumer mit ihrem Insolvenzantrag gewartet. Von Januar bis Juni hat sich die Zahl der Verbraucherinsolvenzen fast verdoppelt, so die Landesstatistik.

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Nachfrage nach Schuldenberatungen ist groß

Und: Der Andrang bei den Schuldnerberatungen ebbt nicht ab – genauso wie bei Energie- Existenzberatungen. „Die Nachfrage ist groß, größer als unsere Beratungskapazitäten“, so Andrea Thume, Leiterin der Verbraucherzentrale Bochum; und die Wartezeiten seien mitunter lang. Sie wie auch SKFM-Insolvenzberaterin Meiswinkel-Koch ist sie denn auch verblüfft über die von Creditreform festgestellte Entwicklung bei den Überschuldungen: „Das ist ein Bild, das überhaupt nicht zu dem passt, was wir hier erleben.“