Bochum. Deutlich mehr Anträge auf Privatinsolvenz werden in Bochum registriert. Eine Schuldnerberaterin sagt gar eine “riesige Welle“ von Anträge voraus.
Ausgerechnet in einem Jahr mit einer weltweiten Krise, der Corona-Pandemie, ist in Bochum die private Verschuldung erstmals nach acht Jahren wieder leicht gesunken. Dieser positive Trend aus 2020 könnte indes schon wieder vorbei sein. In den ersten Monaten dieses Jahres ist die Zahl der Privatverschuldungen dramatisch gestiegen.
Restschuldbefreiung schon nach drei Jahren
125 Bochumerinnen und Bochumer, so der Statistikdienstleister IT.NRW, haben allein zwischen Januar und März Privatinsolvenz angemeldet. Das sind 76,1 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres und auch deutlich mehr als die Entwicklung im Landesdurchschnitt (43,7 Prozent). Nach Einschätzung von Experten zeigen sich nun die ersten Auswirkungen der Pandemie. Und: Es werde noch schlimmer kommen.
Auch interessant
Schuldnerberaterin Kim Redtka von der Verbraucherzentrale Bochum hat eigentlich zu Beginn des Jahres schon „mit einem Riesenansturm gerechnet“, wie sie sagt. Denn: Durch die Ende 2020 beschlossene weitere Verkürzung der Restschuldbefreiung können verschuldete Verbraucher schon nach drei statt bislang fünf oder sechs Jahren einen wirtschaftlichen Neuanfang starten. Schuldner könnten im Vorjahr ihre Insolvenzanträge zurückgestellt haben, um in den Genuss der neuen Regelung zu kommen. Redtka: „Einige Leute haben davon Gebrauch gemacht.“ Der sprunghafte Anstieg der Insolvenzmeldung und die größere Nachfrage nach Beratungen sei auch darauf zurückzuführen“. Allerdings nicht ausschließlich.
Noch mehr Insolvenzanträge befürchtet
Die Pandemie habe nämlich viele Menschen in Nöte gebracht: Geringverdiener, die aufstocken; Studenten, denen der Minijob weggebrochen ist; Selbstständige, denen die Aufträge fehlen; und Berufstätige, die arbeitslos geworden sind. „Viele hoffen erst einmal so über die Runden zu kommen“, sagt Kim Redtka. Und vielfach gelinge dies auch. Aber: Wenn geduldige Vermieter oder Gläubiger auf die Rückzahlung ausstehender Beträge pochen, „dann bricht das Kartenhaus zusammen“. Die Schuldnerberaterin rechnet daher „mit einer riesigen Welle von Insolvenzanträgen, wenn sich die Lage normalisiert.“
Auch interessant
Die Höhe der Verbindlichkeiten, die Verbraucher in die Insolvenz treiben, ist dabei höchst unterschiedlich.
Konstante Zahlen bei Unternehmen
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in NRW ist rückläufig, in Bochum immerhin nahezu konstant. 28 Firmen in der Stadt haben im ersten Quartal 2021 einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt: eine mehr als im Vergleichszeitraum 2020.
Allerdings sind die Zahlen stark branchenabhängig. So liegen die Insolvenzzahlen vom ersten Quartal 2021 landesweit in der Beherbergung (Hotels, Ferienwohnungen, Campingplätze) über Vorkrisenniveau. Bei Reisebüros und Reiseveranstaltern sind sie auf dem Niveau von 2019 und beim Einzelhandel unter dem Niveau des Jahres 2019, so IT.NRW.
Sie können bei tiefen vierstelligen Summen liegen, aber ebenso gut in die Hunderttausende Euro gehen. „Das kann ganz schnell gehen“, so Redtka, „zum Beispiel durch eine schiefgelaufene Baufinanzierung.“
Krise löst Hoffnung Verschuldung aus
Diese Erfahrung hat auch Schuldnerberater Carl-D. A. Lewerenz gemacht: Mit neun Millionen DM habe mal ein Klient in der Kreide gestanden, den er beraten habe. Auch dabei ging es um Immobilien. Auch aus seiner Sicht sind die neuen Regelungen bei der Restschuldbefreiung mit verantwortlich für den Anstieg der Insolvenzanmeldungen. Gleichwohl gelte immer noch. „Die Leute scheuen zunächst ein Insolvenzverfahren.“ Es gebe zum Teil erhebliche Bedenken.
Auch interessant
Gerade, wenn die prekäre Lage noch eher frisch ist. „Die meisten Schuldner sind Krisenschuldner“, sagt Kim Redtka; d. h. plötzliche Umstände verändern die Lebenssituation dramatisch. Arbeitsplatzverlust, Krankheit, Trennung und andere Ereignisse spielen dabei eine Rolle. Und eben eine Pandemie, die unter Umständen gleich mehrere dieser Faktoren mit sich bringt.