Bochum/Dortmund. Die Schuldnerberatungsstellen im Ruhrgebiet sind schon lange überlastet. In den kommenden Monaten aber wird der Ansturm wohl noch größer.

Die Schuldnerberatungen im Ruhrgebiet erleben seit Monaten einen Ansturm wie nie zuvor. Und es wird wohl noch schlimmer, denn: „Die Folgen der Pandemie“, warnen viele Berater, „beginnen wir jetzt erst zu spüren.“

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Barbara Kremkau macht den Job als Schuldnerberaterin bei der Diakonie in Dortmund bereits seit zehn Jahren. Schon in normalen Zeiten, sagt sie „brennt bei uns meist der Baum“. „In diesem Jahr aber haben die Anfragen in Sachen Verbraucherinsolvenz noch einmal zugenommen.“ Nicht nur bei Kremkau. Während in der Pandemie die Insolvenzen von Unternehmen schon wegen der bis 1. Mai 2021 ausgesetzten Antragspflicht erst einmal deutlich rückläufig sind, zeigt sich bei den Verbraucherinsolvenzen ein markanter Anstieg.

Bundesweit in diesem Jahr bisher 46000 Anträge

Im ersten Halbjahr 2021 legten die Insolvenzanträge von Konsumenten bundesweit um fast 63 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu, meldet die Auskunftei Creditreform. In Zahlen ausgedrückt: Rund 46.000 Betroffene haben sich an das Amtsgericht gewendet, um auf diesem Weg aus ihren Schulden herauszufinden. Allein im Mai 2021 stieg nach Angaben des Statistischen Landesamtes in NRW die Zahl der Insolvenzverfahren von Verbrauchern gegenüber Mai 2020 um 34,2 Prozent auf 1.510 Anträge. Das bekommen erwartungsgemäß auch die Beratungsstellen der Freien Wohlfahrtsverbände zu spüren. Verbandsübergreifend sprechen erste Schätzungen von 10 bis 30 Prozent mehr Anfragen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres.

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Der Ansturm der letzten Wochen hängt allerdings nur zu einem kleinen Teil mit Corona zusammen. Er ist vielmehr Folge einer neuen Rechtslage. Seit Ende vergangenen Jahres nämlich ist das lange angekündigte „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens“ in Kraft.

Viele haben auf Verkürzung des Verfahrens gewartet

„Darauf haben viele gewartet“, sagt Roman Schlag, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände. Und Schlag weiß auch warum: „Dadurch halbiert sich die Dauer eines privaten Insolvenzverfahrens von bislang sechs auf nur noch drei Jahre.“ Nach Ablauf dieses Zeitraums sind Verbraucherinnen und Verbraucher von nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern befreit.

Manchmal geht es schneller, als man denkt und dann stapeln sich die Rechnungen
Manchmal geht es schneller, als man denkt und dann stapeln sich die Rechnungen © Getty Images | Anchiy

„Ganz viele Betroffene haben sich wegen dieser neuen Regelung erst in diesem Jahr gemeldet“, bestätigt Petra Kerlin, Schuldnerberaterin der Caritas in Bochum. „Privatinsolvenzen wegen Corona haben bisher noch keine große Rolle gespielt.“ Das dürfte sich nun ändern. „Es wäre blauäugig zu glauben, dass die Zahl der Nachfragen wegen Corona nicht steigt“, sagt Schlag. Denn zwei der Hauptursachen für eine Verschuldung seien Arbeitslosigkeit, beziehungsweise Kurzarbeit und Krankheit. „Davon hat es in den vergangenen Monaten reichlich gegeben.“

Verschuldung kann sehr schnell passieren

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Dann kann es schnell gehen. „Wenn sie auf einmal für mehrere Monate 40 Prozent weniger Nettogehalt bekommen, dann brechen schon bald Finanzierungsmodelle zusammen, die in normalen Zeiten wunderbar funktioniert hätten“, sagt Schlag. Schon eine Rate für den Kleinwagen vor der Tür oder eine defekte Waschmaschine kann dann zum Problem werden.

Kerlin rechnet dann teilweise auch mit ganz neuer Kundschaft. „Es werden sich Leute melden, die nie damit gerechnet hätten, tief in die Schulden zu geraten. Die werden erst einmal gar nicht wissen, wie sie mit so einer Situation umgehen sollen.“

Und manche, fürchtet Kremkau, werden sich erst sehr spät melden. „Der Weg zu Schuldnerberatung ist für viele der letzte Schritt, wenn sie alles andere erfolglos versucht haben.“ Dabei ist es nicht meist nicht gut, so lange zu warten. „Die Schulden werden ja nicht weniger.“

Beratung rät allen Betroffenen, sich zu melden

Auch wenn ein Termin bei einer Beratungsstelle in den meisten Städten eher eine Frage von Monaten als von Wochen ist, raten sowohl Kremkau als auch Kerlin allen Betroffenen deshalb: „Melden Sie sich.“ Und wenn es nur darum geht, am Telefon erst einmal Hilfe zur Selbsthilfe zu bekommen. Gibt es Verträge, die sich sofort kündigen lassen? Muss man vielleicht doch zum Rechtsanwalt? Lässt die Bank noch mit sich reden? „Ich versuche erst mal eine kurzfristige Notfallberatung“, sagt Kerlin.

Langfristig hoffen alle Verbände auf eine „bedarfsgerechte Finanzierung“ durch Land oder Kommunen, um ihre Kapazitäten zu erhöhen. Denn selbst wenn die Corona-Lage sich entspannen sollte, werde die Arbeit nicht weniger, ist Barbara Kremkau überzeugt. „Die Folgen der Pandemie“, glaubt sie, „werden uns in den Beratungsstellen noch zehn Jahre beschäftigen.“