Bochum-Dahlhausen. An der Hasenwinkeler Straße in Bochum flattern saftige Rechnungen ins Haus: Bis zu 14.000 Euro sollen Anwohner für Bergbauschäden bezahlen.

Das dürfte ein in Bochum bislang einmaliger Vorgang sein – und die Folgen sind für viele Hauseigentümer überall in der Stadt nicht abzusehen: An der Hasenwinkeler Straße in Oberdahlhausen sollen einige Anwohner dafür zahlen, dass die Straße vor ihren Häusern von Bergschäden befreit wurde.

Zwischen rund 6000 bis 14.000 Euro stellt die Stadtverwaltung jedem Eigentümer in dem entsprechenden Bauabschnitt in Rechnung, weil hier in den vergangenen Jahren eine „bergbauliche Sanierung“ stattfand. Sprich: Für Schäden, die während der aktiven Zeit der Zeche Hasenwinkel um 1900 verursacht wurden, müssen heutige Eigentümer aufkommen. „Wir halten das für absoluten Irrsinn“, sagt Anwohner Leo Herrig.

Ärger um Sanierung der Hasenwinkeler Straße in Bochum

Die Stimmung beim BSV Blau-Weiß Oberdahlhausen ist angespannt. Etwa zehn Anwohner, die hier teils seit Jahrzehnten ihre eigenen Häuschen pflegen, sind zusammengekommen, jedem stehen die Sorgenfalten ins Gesicht geschrieben.

Bezirksbürgermeister kann den Ärger verstehen

Bezirksbürgermeister Marc Gräf (SPD) beobachtet die Entwicklung mit Sorge: „Ich kann den Ärger verstehen“, sagt er. „Dort wohnen auch viele ältere Leute. Von denen haben manche keine Tausende Euro über. Das ist deren Rente.“

Gräf fragt sich, warum der Landesgesetzgeber nicht längst entschieden habe, dass solche Schäden vom Staat übernommen werden. „Eine entsprechende Gesetzesänderung fand im Landesparlament keine Mehrheit.“

Was ist passiert? Zwischen 2016 und 2018 wurde die Hasenwinkeler Straße zwischen Scharpenseelstraße und der Brücke Am Sattelgut komplett saniert. Insbesondere der Schwerlastverkehr hatte der kurvigen Straße enorm zugesetzt, eine Grundsanierung war auch nach Meinung der Anwohner unumgänglich.

Als Kosten für die geplante Baumaßnahme sei ihnen bereits 2014 der Betrag von etwa 800.000 Euro genannt worden. „Die meisten von uns gingen daher zunächst davon aus, dass für uns keine oder nur sehr geringe Straßenbaubeiträge entstehen würden“, sagt Anwohner Peter Engelhardt.

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Große Hohlräume im Untergrund

Während der Bauarbeiten seien dann bei Bohrungen große Hohlräume im Untergrund festgestellt worden. „Das wussten die bei der Stadt natürlich längst vorher“, meint Herrig. „Die haben einfach nur abgewartet, bis man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: die Straßensanierung und die Beseitigung der Bergschäden.“ Die Folge: Die Kosten wuchsen erheblich auf insgesamt über 1,9 Millionen Euro. Diese komplette Summe wird nun zu einem Anteil von 20 Prozent als „beitragsfähige Kosten“ auf die Eigentümer umgelegt.

Niemand fühlt sich zuständig

Die Nachbarn schlossen sich zusammen und machten sich schlau: Bei der Bezirksregierung in Arnsberg sei ihnen gesagt worden, dass man dort für die Hasenwinkeler Straße nicht zuständig sei. „Diese sei nur zuständig für Flächen, die nicht mehr einer Altbergbaugesellschaft zugeordnet werden könnten“, so Herrig. Auch die E.ON SE als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Bergwerksgesellschaft könne man dafür nicht mehr haftbar machen, weil die Ansprüche längst verjährt seien. Das bestätigt auch die Stadtverwaltung auf Nachfrage: „Aufgrund der Verjährung ist ein möglicher Anspruch nicht durchsetzbar.“

Wegen bergbaulicher Sanierungsarbeiten war die Hasenwinkeler Straße in Oberdahlhausen lange gesperrt. Hier ein Bild aus dem Jahr 2017.
Wegen bergbaulicher Sanierungsarbeiten war die Hasenwinkeler Straße in Oberdahlhausen lange gesperrt. Hier ein Bild aus dem Jahr 2017. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Berg von Kosten aus der Bergbauzeit

Und so sehen sich die Eigentümer jetzt einem Berg von Kosten gegenüber, den das Erbe der Bergbauzeit für sie bereithält. Ein schwacher Trost für sie: Eine Ratenzahlung ist möglich. Einig sind sich die Anwohner darüber, gegen den Zahlungsbescheid Widerspruch einlegen zu wollen. Auch mögliche rechtliche Schritte werden geprüft. Leo Herrig ist sich sicher: „Bei uns will die Stadt ausprobieren, ob wir auf die Barrikaden gehen oder nicht, und das dann auch auf andere Straßen ausweiten. Bergschäden gibt es in Bochum schließlich genug.“

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Die Stadtverwaltung verteidigt auf Nachfrage ihr Vorgehen. „Die Kosten für Maßnahmen, welche der Sicherung der zu erneuernden Straße dienen, müssen grundsätzlich auf die Anlieger umgelegt werden“, sagt Stadtsprecher Peter van Dyk. „Grundsätzlich ist jeder Bauherr verpflichtet, für die Standsicherheit seines Vorhabens zu sorgen.“ Diese gelte auch für Schäden aus der Bergbauzeit: „Maßnahmen zur bergbaulichen Sicherung gehören ebenfalls zum beitragsfähigen Aufwand, da ein unmittelbarer straßenbautechnischer Zusammenhang besteht. Diese Maßnahmen sind notwendig, um die Straße in einen voll funktionsfähigen Zustand zu versetzen.“

Auch an der Wiemelhauser Straße wappnen sich die Eigentümer

Dass demnächst auch Eigentümer in anderen Stadtteilen für die Kosten von bergbaulichen Sicherungsmaßnahmen aufkommen müssen, daraus macht die Stadtverwaltung kein Geheimnis. An der Wiemelhauser Straße, die in den letzten zwei Jahren ausgebaut wurde, wappnet man sich bereits vor unangenehmer Post aus dem Rathaus: „Wir gehen davon aus, dass uns der Bescheid im Jahr 2024 erreichen wird“, sagt ein Anwohner, der unerkannt bleiben möchte.

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Er kann nicht verstehen, warum die Stadt das Spannungsfeld nicht „geschmeidiger“ aufzulösen vermochte. „Mittels einer Sondersatzung wäre es möglich gewesen, die Kosten für solche Maßnahmen auf den allgemeinen Haushalt abzuwälzen.“ Dass der Rat der Stadt diesen Weg nicht gewählt hat, sei ihm unerklärlich. „Die Stadt Bochum dürfte die erste Gemeinde in Deutschland sein, die so agiert.“