Riemke. Familie Naeder aus Bochum Riemke fühlt sich vom Amazon-Verteilzentrum belästigt: Lärm und Verkehrsaufkommen seien unerträglich. Sie fordert Hilfe.

Sandra Naeder kann nicht mehr schlafen. Schon seit zwei Jahren wacht sie jede Nacht auf: Geweckt von lauten Gesprächen, knallenden Schiebetüren, Lärm und Krach. Rufe wie „Schneller, schneller, noch eine Minute!“, oder „Los, los, runter, runter“ hört Naeder beinahe täglich, vielmehr: nächtlich. 

Der Grund dafür: Familie Naeder wohnt am Kopernikusweg in Riemke, kaum 100 Meter Luftlinie vom Amazon-Verteilzentrum entfernt. 2017 ist der weltweite Marktführer in Sachen Onlineversandhandel eingezogen, einst hatte Nokia hier seinen Sitz. 

Ehemaliges Nokia-Gelände

„Die Lärmbelästigung und das Verkehrsaufkommen sind seit 2017 auf ein unerträgliches Maß gestiegen“, klagt Naeder. Der Garten sei nicht mehr nutzbar, von Viertel nach acht morgens bis 22 Uhr abends herrsche Dauerbeschallung. „Nachts zwischen 1 und 4 Uhr, wenn die Amazon-Mitarbeiter eine Pause machen, geht der Lärm wieder los. Dann werden Stühle auf den Hof gezerrt und laut geredet“, sagt Naeder. Einen ganzen Aktenordner voll mit Dokumenten, Protokollen und Bildern hat sie mittlerweile angelegt. „1995 hat Nokia in Rücksprache mit der Siedlung und der Stadt Bochum unter Einhaltung einiger Voraussetzungen eine Lagerhalle für Ersatzteile errichten dürfen“, holt Naeder aus. Als das Werk 2008 geschlossen wurde, kaufte die Thelen Gruppe die Gebäude.

Zugeparkte Geh- und Radwege

„2016 starteten dann diverse Umbauarbeiten. Der einst begrünte Nokia-Parkplatz wich einer Asphaltfläche, der nun als Umschlagplatz für Fahrzeuge genutzt wird und die Hallenseite zur Wohnsiedlung wurde mit mehreren Toren bestückt“, sagt Naeder. All das sei ohne Information an die Anwohner erfolgt. 

Hunderte Fahrzeuge passieren täglich das Gelände in Bochum. Das sorgt für Lärm und erhöhte Verkehrsbelastungen.
Hunderte Fahrzeuge passieren täglich das Gelände in Bochum. Das sorgt für Lärm und erhöhte Verkehrsbelastungen. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Nicht nur das Lärmaufkommen raubt der Familie die Nerven, auch die Verkehrssituation hat sich verschlimmert: „Die Lieferfahrzeuge parken die Rad- und Gehwege zu, Kinder müssen auf die Straße ausweichen“, so die Anwohnerin.

Hunderte Autos passierten täglich das Gebiet rund um das Verteilzentrum. Naeder ist sich sicher: Die zahlreichen Belastungen - von aggressivem Geschrei, Anweisungen über Megaphone und Hupen bis hin zu riesigem Fahrzeugaufkommen und zugeparkten Wegen in der Siedlung - machen krank. 

„Mehrere Versuche, Hilfe von der lokalen Politik oder der Stadt zu bekommen, liefen ins Leere. Teilweise haben wir noch nicht einmal eine Antwort erhalten“, ärgert sich Sandra Naeder.

Auch ihr Ehemann Michael Naeder hält die Situation für untragbar. „Die Amazon-Mitarbeiter scheinen unter Zuständen der modernen Sklaverei zu arbeiten“, meint er. Weil augenscheinlich kaum Zeit für Pausen bliebe, würden Geschäfte auf dem angrenzenden Grünstreifen verrichtet. Mit Urin gefüllte Plastikflaschen fänden sich dort.

Während im Corona-Lockdown viele Familien die Ruhe in ihren heimischen Gärten genossen, wurde die Situation für die Naeders noch schlimmer. „Alle haben ja in dieser Zeit bestellt, hier ging es noch hektischer zu und die nächtlichen Störungen begannen“, ist die Familie überzeugt.

Familie Naeder hat inzwischen einen Anwalt eingeschaltet. Doch große Hoffnungen macht sie sich nicht: „Nachbarn aus der Siedlung haben bereits 2017 das Umweltamt eingeschaltet und Schallpegelmessungen durchführen lassen“, berichtet Sandra Naeder. Während die erste Messung das Ergebnis brachte, dass es zu laut sei, fiel die zweite Messung angemessen aus. „Die zweite Messung wurde Amazon angekündigt, die Akte dann geschlossen. Wir fühlen uns getäuscht“, klagt Naeder. Seitdem seien noch mehr Fahrzeuge dazugekommen.

Schallschutzwand gefordert

Ende August wurde erneut eine Messung durchgeführt. „Da herrschte eine auffällige Stille, die Maßnahme war scheinheilig“, klagt Naeder. In dieser Zeit seien ungewöhnlich viele Privatfahrzeuge fürs Liefern zum Einsatz gekommen.

Eröffnung im März 2017

Das Amazon-Verteilzentrum wurde im März 2017 in Bochum-Riemke eröffnet. Heute arbeiten rund 150 Mitarbeiter im Verteilzentrum, hinzukommen etwa 280 Fahrer. In Deutschland gibt es insgesamt 17 Logistikzentren von Amazon, der Konzern zählt rund 19.000 Festangestellte. Zahlreiche Mitarbeiter sind aber bei Subunternehmen angestellt.

Ein Umzug käme für die Familie nur schweren Herzens in Frage: „Meine Familie wohnt seit 1965 hier“, sagt Naeder. Sie will weiterkämpfen: „Eine Schallschutzwand wäre das Mindeste. Wir hoffen, dass die Stadt endlich einen anderen, adäquaten Platz für Amazon sucht.“

Statement von Amazon

Für Amazon teilt ein Sprecher mit: „An allen unseren Standorten – so auch in Bochum – möchten wir ein guter Nachbar sein.“ Man habe bereits viel investiert. „Darunter beispielsweise für die Nutzung von Hubwagen mit leiseren Rollen, wir haben die Ausfahrt der Lieferfahrzeuge vom Verteilzentrum gestaffelt und den äußeren Pausenbereich verlagert“, führt man an. Die Ladezone vor dem Gebäude sei als Pausenbereich für die Nachtschicht gesperrt worden, außerdem arbeite man mit „geschlossenen Dock-Toren“, damit Geräusche durch Scanner oder Förderbänder nach außen deutlich reduziert würden.

Amazon lädt Anrainer außerdem zum Dialog ein: „Wir hören zu“, betont der Sprecher. Eine Nachbarschaftsveranstaltung im Herbst sei geplant. Ein Statement der Bezirksregierung Arnsberg lag innerhalb der erbetenen Frist nicht vor.