Bochum. Seit drei Jahren gehört Anne Rietmeijer zum Ensemble des Schauspielhauses Bochum. Viele starke Rollen spielt sie hier – jetzt auch preisgekrönt.

Aufmerksame Theatergänger haben es immer gewusst, jetzt ist es auch offiziell: Die Schauspielerin Anne Rietmeijer gehört zu den eindrucksvollsten jungen Kräften auf deutschsprachigen Bühnen. Bei einer Umfrage unter Theaterkritikern der Fachzeitschrift „Theater heute“ wurde die 27-jährige Niederländerin soeben zur „Nachwuchsschauspielerin des Jahres“ gekürt.

Damit wird diese Ehre zum zweiten Mal in Folge einem Ensemblemitglied des Schauspielhauses Bochum zuteil: Im letzten Jahr wurde Gina Haller für ihre Ophelia in „Hamlet“ geehrt.

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Weil es für diese Auszeichnung weder Preis noch Preisverleihung gibt, wurde Anne Rietmeijer von der frohen Kunde völlig überrascht: „Die Maskenbildnerin gratulierte mir am Morgen plötzlich, dabei hatte ich gar nicht Geburtstag“, erzählt sie bei einem Treffen in ihrem Lieblingscafé, dem „Konkret“ im Bermuda-Dreieck. Da sie vorher nicht wissen konnte, dass sie überhaupt nominiert war, war die Freude umso größer.

Anne Rietmeijer fügte „Peer Gynt“ in Bochum ein eigenes Ende an

Kurios zudem: Rietmeijer wird für eine Rolle geehrt, die sie bislang nur weniger Male vor Publikum zeigen konnte. Die Solveig in „Peer Gynt“ ist laut ihres Autors Henrik Ibsen vier Akte lang nur dazu da, um auf die Rückkehr ihres geliebten Peer nach dessen großer Abenteuerreise zu hoffen. „Dies ist so ein altes, blödes Narrativ von der Frau, die ihr Leben lang auf den einen Kerl wartet“, sagt sie. „Das wollten wir nicht spielen.“ Also fügte Anne Rietmeijer dem Drama ein eigenes Ende an, das sie selbst schrieb. Dieser besondere „Peer Gynt“ (mit Anna Drexler in der Titelrolle) ist wieder am 1., 2. und 22. Oktober im Schauspielhaus zu sehen.

Premiere zum Spielzeitauftakt

Nächste Gelegenheit, Anne Rietmeijer auf der Bühne zu erleben, ist bei der Premiere von „Das neue Leben“ am 10. September im Schauspielhaus. Regie führt Christopher Rüping, dessen „Einfach das Ende der Welt“ in Zürich von „Theater heute“ kürzlich zur „Inszenierung des Jahres“ gewählt wurde.

Den Trickfilm „Empty Seats“ findet man bei Youtube (Stichwort: Empty Seats Bochum).

Rietmeijer stammt aus Amsterdam. In einem Vorort leben ihre Familie und viele ihrer Freunde. Früh wusste sie, dass es sie zur Bühne zieht: „Schon in der Grundschule habe ich bei kleinen Aufführungen mitgemacht, das zieht sich durch mein ganzes Leben.“ Von 2013 bis 2017 studierte sie Schauspiel in Arnheim, während eines Aufenthalts in Graz begann sie Deutsch zu lernen: „Einfach aus Interesse.“

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In Bochum direkt verliebt

Nach Bochum kam sie 2018 für ihr erstes festes Engagement. „In die Stadt habe ich mich direkt verliebt“, sagt sie und strahlt. Ihre freie Zeit nutzt sie oft, um zu Fuß durch die Straßen zu schlendern oder in Cafés zu sitzen. Ins Stadion würde sie gern mal gehen, erzählt sie. „Da war ich noch nie.“

Szene aus der Komödie „Samstag, Sonntag, Montag“ mit Anne Rietmeijer in der Zeche Eins. Das turbulente Spiel konnte wegen der Corona-Pandemie nur wenige Male gezeigt werden.
Szene aus der Komödie „Samstag, Sonntag, Montag“ mit Anne Rietmeijer in der Zeche Eins. Das turbulente Spiel konnte wegen der Corona-Pandemie nur wenige Male gezeigt werden. © Schauspielhaus Bochum | Martin Steffen

Welch große darstellerische Kraft zwischen ihren vergleichsweise schmalen Schultern steckt, davon konnten sich die Bochumer Theatergänger in den letzten Jahren öfter überzeugen. Teilweise war Rietmeijer kaum wiederzuerkennen: In dem Marquis-de-Sade-Aufreger „Die Philosophie im Boudoir“ verschwand sie beinahe unter den riesigen Kostümen. In „Iphigenie“ tobte sie als kraftstrotzender Achill ausgelassen über die Bühne – mit Glatze und Baseballschläger.

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Wundervoller Trickfilm über leere Theatersessel

Dabei ist Anne Rietmeijer eine junge Frau mit vielen Talenten. Sie macht bisweilen Musik: Ihre umwerfende Fassung von „Ich will keine Schokolade“ von Trude Herr entstand im Rahmen der „Homestories“ des Schauspielhauses und ist bei Youtube abrufbar.

Unbedingt sehenswert ist auch ihr selbst gedrehter Trickfilm „Empty Seats“, der während des Lockdowns entstand. Darin machen sich zwei leere Theatersessel selbstständig, weil sie ihr Publikum so sehr vermissen. Mit wundervoller Liebe zum Detail drehte sie den etwas über zwei Minuten langen Film im „Stop Motion“-Verfahren innerhalb weniger Tage. „Das Schauspielhaus habe ich während einer Nacht aus einer Pappschachtel gebastelt“, erzählt sie. „Hat echt Spaß gemacht!“