Wattenscheid. Der Konsum von Ecstasy hat Lara (15) aus Wattenscheid fast umgebracht. „Es war Gruppenzwang“, sagt sie und möchte mit ihrer Geschichte warnen.
Im Drogenrausch versunken ringt Lara (15) in dieser Nacht auf dem Boden der Sparkassen-Filiale in der Wattenscheider Fußgängerzone nach Luft. Eine Freundin (13) schluckt die übrigen vier Ecstasy-Pillen herunter, bevor sie den Krankenwagen ruft. Lara stirbt jetzt, da sind sich die Jugendlichen sicher.
In der Februarnacht kommt die Polizei vor dem Krankenwagen an. Eine Polizistin hält Laras Beine hoch. Lara schaut der Frau in die Augen. „Sterbe ich jetzt?“
Arzt aus der Universitätskinderklinik warnt vor Ecstasy: „Menschen verkochen innerlich“
Knapp einen Monat später drückt sich Lara mit Freundin Nastasia am Brunnen auf dem August-Bebel-Platz herum. Passanten kennen die Jugendliche, die dem Tod an diesem Abend noch entronnen ist. Sie kennen die Wattenscheider Cliquen, die sich nun in der Corona-Zeit noch häufiger treffen und bei denen niemand so genau wissen möchte, womit sie ihre Zeit totschlagen. Lara aber möchte reden. Sie möchte ihre Geschichte erzählen und damit vor der gefährlichen Wirkung von Ecstasy warnen.
Die Gesamtschülerin erzählt, wie diese Februarnacht im Drogenrausch verschwimmt. Ein blendend grell-gleißendes Licht über der Krankentrage, das Piepen auf der Intensivstation. In der Universitätskinderklinik in Bochum versuchen die Ärzte, das Kind zu stabilisieren. Lara bekommt Flüssigkeit.
Ein Verfahren, um die Drogen aus dem Körper zu bekommen, gibt es nicht. „Die wissen gar nicht, was das Zeug bewirken kann. Der Kreislauf wird massiv angekurbelt, die Körpertemperatur steigt. Die Menschen verkochen innerlich“, sagt Kinderarzt Professor Thomas Lücke. Zwei Tage liegt Lara im Krankenhaus, dann wird sie entlassen. Sie hat überlebt.
Mädchen (14) aus Bochum stirbt nach dem Konsum
Anders als eine 14-Jährige aus Bochum, die nur zwei Wochen zuvor den Ecstasy-Konsum mit ihrem Leben bezahlt hatte. „Wir haben alle geweint“, sagt Lara nüchtern und lehnt sich locker an die Mauer des Brunnens auf dem August-Bebel-Platz. „Jeder kannte die.“ Doch der Tod ihrer Bekannten hält das Mädchen nicht davon ab, nur kurze Zeit später selber zu den Tabletten zu greifen. Auch Lara und ihre Freunde hätte der Konsum auf den Friedhof bringen können. Das wusste die Schülerin.
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„Gruppenzwang“, sagt die 15-Jährige, die die achte Klasse der Gesamtschule Ückendorf besucht und zuckt gelassen mit den Schultern. Es wird die einzige Erklärung für ihren Drogenkonsum sein. Wenige Wochen nach ihrem 15. Geburtstag hatte sie ihren ersten Joint geraucht. „Ich wurde da reingezogen.“ Erst seit Kurzem lebt sie bei ihrem Vater in Wattenscheid, in ihrer Klasse zuvor in Bayern ist das Mädchen Außenseiter. Lara möchte dazugehören. Sucht nach den bunten Pillen, von denen die Schulkameraden im Internet erzählen. „Das sah alles so harmlos aus. Wie Bonbons.“
Beratungsangebot bei Drogenproblemen
Die Beratungsstelle der Krisenhilfe und der Präventionseinrichtung „In Echtzeit“ steht auch in Corona-Zeiten für Fragen – auch von besorgten Eltern – zur Verfügung. Der Kontakt ist telefonisch, montags bis freitags, 9 bis 16 Uhr, 0234/96 47 80, oder übers Internet info@krisenhilfe-bochum.de möglich.
Beim letzten vorliegenden Bericht der Bochumer Drogenberatungsstelle für 2019 spielte bei den betreuten Männern und Frauen Ecstasy nur eine untergeordnete Rolle. Von den insgesamt 910 betreuten Personen gab es lediglich zwei Frauen, die aufgrund ihres Ecstasy-Konsums beraten wurden. Der Blick auf die Altersgruppe der unter 15-Jährigen bei allen Klienten zeigt, dass deren Anteil bei gerade einmal einem Prozent liegt. Aussagen über die tatsächliche Zahl der Konsumenten dieses Stoffes lassen sich dadurch natürlich nur begrenzt tätigen.
Lara gewöhnt sich an die Drogen, rattert einen Erfahrungsbericht herunter wie eine Einkaufsliste: „Joints, Kokain, Ecstasy, Chrystal Meth. Wenn man in Wattenscheid Ecstasy nimmt, dann gleich drei auf einmal.“ Es gebe eine kleine Szene von Jugendlichen, die sich regelmäßig zum Drogenkonsum treffen würden. Man schlendert durch die Fußgängerzone, „chillt“ auf dem August-Bebel-Platz.
Die Polizei sieht weder in Bochum, noch in Wattenscheid einen Schwerpunkt für Rauschgiftkriminalität, wie es auf Nachfrage heißt. 1661 Rauschgiftdelikte habe es noch 2019 gegeben, im vergangenen Jahr waren es 1507. Drei Menschen sind 2020 nach Drogenkonsum in Bochum gestorben, 2019 waren es noch sieben Drogen-Tote.
Vater schreibt noch eine SMS, da ist die Tochter schon im Drogenrausch
Auf dem August-Bebel-Platz aber beginnt auch im Februar Laras Abend, der sie beinah das Leben kosten wird. Sie ist mit Freunden verabredet. Mit einer 13-Jährigen, die den Dealer am Bochumer Hauptbahnhof gut kennt, der den Mädchen die Ecstasy-Pillen verkaufte. Die erste Hälfte der Ecstasy-Pille spült Lara mit einem Energy-Drink hinunter.
Ihrem Vater hatte sie erzählt, dass sie bei einem Freund schlafe. Als der Vater seine Tochter nicht erreicht, schreibt er ihr gegen Mitternacht noch eine SMS. „Glaubst du, ich kann ein Auge zu machen, wenn ich nicht weiß, wo du bist?“ Als die SMS auf Laras Handy auftaucht, ist die längst im Rausch verschwunden. Der Fußweg zurück nach Wattenscheid kommt ihr vor wie Minuten.
Aufgedreht hüpft sie über den Bordstein, lässt beinahe das Handy im Schnee liegen. Ihren Freundinnen ist klar: „Wir müssen aufpassen.“ Lara wird schwindelig – normal nach dem Schlucken der Pille, weiß die 15-Jährige. Doch dieses Mal ist es noch schlimmer. Sie kann nicht mehr stehen, legt sich auf den Boden der Sparkassen-Filiale.
Drogentherapie und geplatzte Träume
Stunden später besucht sie der Vater im Krankenhaus. „Er war enttäuscht“, sagt Lara. Er selber spricht von „einem Schock“. Dass seine Tochter Drogen nimmt, das habe er nie geahnt. Lara erzählt von Flashbacks. Davon, dass sie nicht einschlafen kann, ohne an die Drogen zu denken. Davon, wie sie am Tag der Entlassung nicht nach Hause, sondern mit Freunden nach Düsseldorf fährt und dort im Hauptbahnhof zusammenbricht.
Ecstasy möchte die 15-Jährige nicht mehr nehmen, deshalb wird sie bald eine Therapie beginnen. Auch das Jugendamt ist im Kontakt mit der 15-Jährigen. Die wollte eigentlich mal Astrophysik studieren. Den Traum hat sie aufgegeben. Und nun? „Ich wäre gerne Aushilfe in einer Drogerie. So Regale einräumen.“
Die Beratungsstelle der Krisenhilfe und der Präventionseinrichtung „In Echtzeit“ steht auch in Corona-Zeiten für Fragen – auch von besorgten Eltern – zur Verfügung. Der Kontakt ist telefonisch, montags bis freitags, 9 bis 16 Uhr, 0234/96 47 80, oder übers Internet info@krisenhilfe-bochum.de möglich.