Bochum. Anfang September ziehen 56 psychisch schwer gestörte Straftäter von Gelsenkirchen nach Bochum um. Dann geht ein neues Spezialgefängnis in Betrieb.

Anfang September werden schwer bewachte Busse mitten durchs Ruhrgebiet rollen. Die insgesamt 56 Fahrgäste sind allesamt Straftäter der ganz besonderen Art, vor allem Sexualverbrecher.

Die Fahrt geht von Gelsenkirchen-Mitte nach Bochum. Direkt gegenüber dem Ruhrstadion und direkt neben der altehrwürdigen JVA Krümmede mit mehr als 600 Gefangenen wird die nagelneue, 74 Millionen Euro teure „Sotha“ eröffnet - die „sozialtherapeutische Anstalt für Sexual- und Gewalttäter“. Die bisherige, uralte Sotha in Gelsenkirchen ist völlig marode, deshalb ziehen die Verbrecher jetzt nach Bochum um.

„Sie haben großen Schaden angerichtet, weniger materiellen als immateriellen“

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„Alle haben schlimme Sachen gemacht“, sagt Alwin Molitor, Leiter der Sotha. „Hier lebt kein Insasse, der harmlose Sachen gemacht hat. Das war richtig böse. Sie haben großen Schaden angerichtet, weniger materiellen als immateriellen.“ Einzelne Verbrechen, sadistische etwa, hatten beispielsweise eine halbe Stunde gedauert, dann war es vorbei. Die Opfer aber leiden ein Leben lang darunter.

Vorstellung der Sozialtherapeutischen Anstalt

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Bis zu 80 Insassen werden hier therapiert und auf ihre Entlassung vorbereitet.
Bis zu 80 Insassen werden hier therapiert und auf ihre Entlassung vorbereitet.
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Zwei Drittel der Häftlinge haben Sexualverbrechen auf dem Gewissen, die meisten von ihnen Kinder missbraucht, vor allem in der eigenen Familie. Das drittel Drittel bilden Gewaltverbrecher ohne sexuellen Bezug. Die meisten haben ein Menschenleben ausgelöscht. Fünf sind „Ell-Eller“, wie Häftlinge im Justiz-Jargon heißen, die „lebenslänglich“ bekommen haben. Einer sitzt schon 30 Jahre ein.

Insgesamt kommen 80 Häftlinge in die Sotha Bochum

So sieht eine der 80 Hafträume aus, gut zehn Quadratmeter groß. Eine Matratze kommt noch. Von 6 bis 21.30 Uhr dürfen die Häftlinge sich frei auf ihrer Abteilung bewegen.
So sieht eine der 80 Hafträume aus, gut zehn Quadratmeter groß. Eine Matratze kommt noch. Von 6 bis 21.30 Uhr dürfen die Häftlinge sich frei auf ihrer Abteilung bewegen. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Die meisten sind im mittleren Lebensalter. Bei einigen haben Gerichte auch die SV, die Sicherungsverwahrung, angeordnet, weil sie einen „Hang zu Straftaten“ haben und auch nach Ablauf ihrer zeitlich befristeten Haftstrafe als Gefahr für die Allgemeinheit eingeschätzt werden.

Weitere gut 20 Häftlinge dieser Kategorie kommen im Laufe eines Jahres noch hinzu – die Sotha hat 80 Plätze.

Alle Gefangenen sind voll schuldfähig

Alle Gefangenen eint dies: Sie haben eine massive „Persönlichkeitsstörung“: kein Mitgefühl, kein oder kaum Empfinden, Narzissmus, Sadismus, Borderline, Pädophilie, dissoziales und psychopathologisches Verhalten – „das komplette Spektrum“, sagt Molitor. Gleichzeitig sind sie – anders als in einer geschlossenen Forensik – voll schuldfähig für ihre Taten. Sie wussten, was sie taten.

Jahrelange Therapie soll die Häftlinge bestmöglich auf die Freiheit vorbereiten

Dass die Häftlinge ihre Veranlagung ablegen, erwartet die Justiz nicht; allerdings sollen sie bestmöglich auf ein Leben in Freiheit ohne Straftaten vorbereitet werden. In einer jahrelangen Therapie soll ihnen klar gemacht werden, welch großes Leid, welch äußeren und seelischen Schmerz sie bei ihren Opfer hinterlassen haben. Denn Ziel ist es, wie Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am Donnerstag in der neuen Sotha sagte, „das Rückfallrisiko zu mindern“. Er sprach von der „Verantwortung der Justiz, die Bevölkerung vor gefährlichen Gewalttätern zu schützen“.

Ein Innenhof ist mit einem Gitter „überdacht“.
Ein Innenhof ist mit einem Gitter „überdacht“. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Außer den Ell-Ellern und den Sicherungsverwahrten haben alle ein Recht, nach Verbüßung ihrer befristeten Haftstrafe wieder freigelassen zu werden. Aber ohne Behandlung, so Biesenbach, seien sie dann „eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit“. Je massiver die Störung und je schwerer die Tat gewesen sei, desto intensiver müsse therapiert werden. Die Sotha, sagt Anstaltsleiter Molitor, sei sozusagen „eine Forensik im Strafvollzug“.

Rund 100 JVA-Bedienstete, Psychologen, Sozialarbeiter und Lehrer arbeiten in der Sotha

Die Therapie ist Schwerstarbeit, an der rund 100 JVA-Bedienstete, Psychologen, Sozialarbeiter und Lehrer beteiligt sein werden. Alle Häftlinge müssen bereit zur Therapie sein, sonst werden sie in eine normale JVA verlegt.

Rückfallquote lag zuletzt bei elf Prozent

Die Rückfallquote nach der Entlassung aus der Sotha Gelsenkirchen lag seit 2014 bei elf Prozent. Als „Rückfall“ gilt allerdings auch bereits, wenn sich ein Pädophiler im Schwimmbad einem Kind auffällig nähert, nicht erst dann, wenn er wieder eine Straftat begangen hat.

Alle Häftlinge können in Werkstätten der Sotha eine Ausbildung als Tischler, Elektriker, Industriemechaniker und Metallarbeiter machen.

Mehr als zehn Jahre hat die Justiz an dem Projekt in Bochum geplant und seit 2017 gebaut. Es gab enorme Verzögerungen. Die neue Sotha-Pforte in Bochum wird bald auch der Eingang für die JVA Bochum sein. Von dort werden Besucher durch je einen unterirdischen Tunnel in die jeweilige Anstalt gelassen.

Die Sotha Bochum ist eine von nur sechs ihrer Art in Deutschland und ihre modernste. Allein die Sicherheitstechnik soll führend sein. Die weißen Mauern sind 5,5 Meter hoch, davor ist ein ebenso hoher Zaun mit Nato-Draht. Überall sind Videokameras, die über Sensoren auf jede Bewegung reagieren und die Ursache blitzschnell in den Fokus nehmen. Über dem Sportplatz sind kreuzartig zwei lange massive Stahlseile gespannt, damit nur ja kein Hubschrauber dort landen kann, um in einer blitzartigen Befreiungsaktion Häftlinge an Bord zu nehmen. Aus einem kleinen Innenhof ist der Himmel nur durch ein schweres Gitter zu sehen.

Auch in den insgesamt drei Gebäuden soll alles durchgesichert sein. „Alles, was wir gebaut haben, muss vandalismussicher sein“, sagt Marcus Hermes, Geschäftsführer des Bau- und Liegenschaftsamtes NRW. Hohlräume wurden ebenfalls vermieden, um keine Verstecke zu ermöglichen. Weitere Kniffe der Sicherheitstechnik verrät die Justiz nicht. Um sie zu testen, hat sie einen Ausbruchsversuch sogar extra simuliert.