Bochum. Manuel Riemann steht kurz vor einem Wechsel zum SC Paderborn. Fast zehn Jahre hat er den VfL Bochum geprägt. Als Torwart und Typ, Held und Unruhestifter. Eine Einordnung.
Man hat die Bilder im Kopf. Wie Manuel Riemann auf den Zaun klettert, mit den euphorisierten Fans feiert als gäbe es kein Morgen. Riemann, der Held, der die Masse mitreißt.
Es war eine Szene nach dem Pokalfight gegen Augsburg im Oktober 2021. Trainer Thomas Reis hatte kurz vor Schluss Riemann eingewechselt - fürs Elfmeterschießen. Ein Augsburger schoss drüber, und Riemann, der Torwart, verwandelte den entscheidenden Strafstoß zum 5:4 im Elfmeterschießen. Das Volk lag ihm zu Füßen.
Riemann löst im Dezember 2015 Andi Luthe im Tor ab
Im Sommer 2015 kam Riemann, mittlerweile 36 Jahre alt, vom SV Sandhausen zum Zweitligisten. Am 18. Spieltag löste er unter Trainer Gertjan Verbeek Andreas Luthe beim Spiel gegen Heidenheim ab, es war ein schmuckloses 1:1. Er blieb die Nummer eins - nach Verbeek auch unter Jens Rasiejewski, Robin Dutt, Thomas Reis, Thomas Letsch, Heiko Butscher.
Riemann prägte fünfeinhalb Jahre 2. Liga und drei Jahre Bundesliga beim VfL. Er rettete Bochum vor dem Absturz in die 3. Liga, stieg mit Bochum auf, feierte den Klassenerhalt; gerne mit Getöse. Jetzt geht er vergleichsweise leise zum SC Paderborn, voraussichtlich am Dienstag wird der Wechsel offiziell.
Held oder Anti-Held? Riemann hat immer polarisiert
Bochum verliert wahlweise einen Helden oder Anti-Helden. Riemann hat immer polarisiert. Er prägte den VfL mit seinen Leistungen und als Typ, der den VfL-Malocher-Mann vorlebte und nach außen trug wie kein Zweiter. Arme weit ausgebreitet, Buckel hochgezogen, Kopf darin vergraben, Mund auf - und laut schreiend. So kannte man ihn.
Manche liebten ihn, manche lehnten ihn ab. Denn auch die Rolle des selbstverliebten Alleindarstellers und wütenden Egoisten, der Mitspieler nach Fehlern zusammenstaucht, füllte in Bochum keiner so konsequent aus wie Riemann.
290 Spiele für den VfL Bochum - 19 Elfmeter pariert
Unbestritten: sein Ehrgeiz. 290 Spiele, davon 98 in der Bundesliga, hat er für Bochum absolviert, bis zum Ende der Vorsaison nur 18 Ligaspiele verpasst wegen Gelb- oder Gelb-Rot-Sperren, Krankheit, Verletzungen. 19 Elfmeter hat er als Bochumer gehalten - ein Markenzeichen. In Leipzig parierte er sogar zwei Elfmeter in einem Spiel.
Sportlich war er bei allen Trainern lange unumstritten. Mit seinen Paraden hielt er Punkte fest, spielte 70 Mal zu Null, trotz seiner nur 1,86 Meter. Seine großen Fähigkeiten mit dem Fuß waren ein wesentliches taktisches Element. Riemann kann das Spiel mit zentimetergenauen langen Bällen eröffnen, scharf machen. Er war der erste An- und Aufbauspieler. Und erster Verteidiger, wenn er weit vor dem Tor Konter unterband. Nicht immer ging das gut.
Traum Bundesliga: Riemann spielt starke Saison
2021/22 erfüllte sich Riemanns Traum von der Bundesliga, nachdem er ausgerechnet in der Aufstiegssaison die letzten vier Spiele, das finale 3:1 gegen Sandhausen wegen eines Handbruchs verpasst hatte. Riemann war dann ein Garant des frühen Klassenerhalts, zeigte sich als Feierbiest mit Sonnenbrille, Hut und Fiege-Bier nach dem 4:3 in Dortmund.
Doch in der Saison darauf häuften sich die Patzer. Trainer Thomas Letsch erwog einen Wechsel, Konkurrent Michael Esser fiel erkrankt aus - und Riemann glänzte beim Schlüsselspiel in Köln, dem 2:0-Sieg. Riemann hatte nach dem Abpfiff Tränen in den Augen. Noch so eine Heldengeschichte vom langjährigen Liebling der Fans, die ihn zum Spieler der ersten Bundesliga-Saison nach dem Klassenerhalt kürten.
Coronakrise: „Radio Riemann“ in den Wohnzimmern
Für Schlagzeilen sorgte Riemann oft, im Guten, im Schlechten. In der Coronakrise schallte jedes Wort in die TV-Wohnzimmer, bei den Spielen vor leeren Rängen bekam Riemann den Vornamen „Radio“ verpasst. Ständig treibt er seine Mitspieler an, lobt und kritisiert - laut und oft scharf.
Und mitunter schoss er über das Erträgliche hinaus, mutmaßlich blieb vieles intern. Anders als bei einem Training, als er Mitspieler als „Missgeburten“ beleidigte, speziell mit Gerrit Holtmann aneinandergeriet.
Unvergessen auch sein Zoff mit einem Zuschauer, der ihn zuvor übelst beleidigt und beschimpft hatte beim Spiel gegen Stuttgart, Ostern 2023. Riemann stellte ihn nach dem Abpfiff auf den Rängen, das war menschlich nachvollziehbar. Ordner und Sicherheitskräfte schritten ein.
Riemann spaltet Team und Fans
Vor allem in den letzten zwei Jahren spaltete Riemann die Anhänger, die Teamkollegen, auch Medienvertreter. Interviews vor und nach den Spielen lehnte er fortan ab, fühlte sich zu oft missverstanden. Der Torwart wusste dabei in der Kabine stets wichtige Profis an seiner Seite; Führungsspieler wie sein VfL-Begleiter von Anfang an, Anthony Losilla, oder wie in Zweitliga-Zeiten Patrick Fabian. Ausgerechnet Fabian, der mit Riemann einst auswärts das Hotelzimmer teilte, war es, der ihn als verantwortlicher Geschäftsführer des VfL vor die Tür setzte im vergangenen Mai. Es fiel Fabian nicht leicht: Er handelte aus seiner Sicht zum Wohle des Klubs. Das sagte viel aus.
VfL schmeißt Riemann vor Relegation raus
Das 1:4 in Bremen war Riemanns letzter Pflichtspieleinsatz für den VfL. Riemann geriet in der Kabine mit Mitspielern aneinander, kehrte der Mannschaft den Rücken vor den entscheidenden Relegationsspielen in Düsseldorf. Das kam auch bei vielen Fans, die ihm trotz etlicher Aussetzer bis dahin die Treue hielten, nicht gut an. Bis heute gibt es zwei Lager: Die einen sehnten ihn im Tor zurück, die anderen entzogen ihm die Ehre, für Bochum spielen zu dürfen, weil er sich über den Verein gestellt habe - auch mit seiner Klage.
Nur die Nummer drei unter Dieter Hecking
Denn die Ausbootung blieb in der neuen Saison ja bestehen, Riemann klagte auf seine Teilnahme am Profitraining, verfolgte derweil Heimspiele im VIP-Bereich, und kurz vor dem öffentlichen Gerichtstermin lenkte der arbeitsrechtlich wohl chancenlose Klub ein. Seit Mitte November durfte Riemann wieder bei den Profis trainieren - unter Trainer Dieter Hecking aber blieb er nur die Nummer drei hinter Patrick Drewes und Timo Horn. Viel zu wenig für den Anspruch, das Selbstverständnis eines Manuel Riemann.
Jetzt zieht der Torwart die Konsequenz, die zu ihm passt. Ein Riemann will nicht spielen, ein Riemann muss spielen. Als Nummer eins. Diese Chance soll er nun wieder erhalten - in Paderborn.
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