Ruhrgebiet. Luca Ballmann ist Deutscher Meister und Nationalspieler im Gehörlosen-Fußball. Er spielt aber auch in der regulären Bezirksliga. Wie kommt er da zurecht?
Alles ist laut, hektisch, Stimmen wirren durcheinander. Der Bezirksligist Mülheimer SV 07 spielt in der ersten Runde des Niederrheinpokals zu Hause gegen die Sportfreunde Baumberg aus Monheim - einen Oberligisten. Der Klassenunterschied ist von Minute eins an auch hörbar. Die Baumberger reden im Sekundentakt miteinander, die Mülheimer versuchen erstmal kleinlaut mit dem schnellen Spiel des Gegners klarzukommen.
Nur für MSV‘ler Luca Ballmann macht zumindest das Verbale keinen Unterschied. Er hört weder Gegner, noch Mitspieler. Luca Ballmann ist gehörlos. „Jemand müsste schon sehr nah an meinem Ohr sein und reinschreien, damit ich überhaupt irgendwas höre“, schreibt Ballmann mit einem lachenden Emoji per WhatsApp. Ein „Gespräch“ aus der Ferne ist für ihn so am einfachsten möglich. Telefonieren geht nicht, ein eventuell hängender Videocall wäre auch suboptimal.
Ohne Hörgerat im Spiel
Der 28-Jährige – mit dem für einen leidenschaftlichen Fußballer perfekten Nachnamen – ist von Geburt an gehörlos. Im Alter von zehn Wochen bekam er seine ersten Hörgeräte. „Man stelle sich den kleinen Kopf mit den damals üblichen großen Hörgeräten vor.“ Seit dem 17. Lebensjahr kam ein chronischer Tinnitus auf dem rechten Ohr dazu, so dass er heute nur noch links ein Gerät tragen kann. Dafür ein kleines modernes. Mit dem als Unterstützung, vor allem aber mit Lippenlesen, kann er Menschen, die zu ihm sprechen, verstehen.
„Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, mit Hörgerät zu spielen.““
Während des Fußballspielens ist das alles aber wieder anders. Auf dem Platz trägt der Verteidiger sein Hörgerät nicht, zu schnell könnte es alleine durch Schweiß kaputtgehen. „ Ich kann mir jetzt auch gar nicht mehr vorstellen, mit Gerät zu spielen, da ich mich daran gewöhnt habe, beim Spiel nichts zu hören.“ Und so spielt er in fast allen Fällen als einziger Gehörloser unter Hörenden.
Gehörlosen-Fußball: „Ich muss den Mund meiner Mitspieler sehen“
Die Kommunikation mit den Mitspielern und das „Lesen“ des Gegners sind seine größten Herausforderungen. „Was die anderen hören können, gleiche ich durch das Sehen wieder aus“, beschreibt Ballmann seine persönliche Taktik auf dem Feld. „Ich mache mehr Schulterblicke, analysiere das Laufverhalten des Gegners und versuche ihm einen Schritt voraus zu sein. Bei meinen Mitspielern hingegen ist es wichtig, dass sie mit dem Gesicht zu mir sprechen, damit ich ihr Mundbild sehen kann.“
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Solche Situationen bietet auch das Pokalspiel gegen Baumberg. Ballmann steht in der Startelf, hat wie seine Teamkollegen mit dem übermächtigen Gegner zu kämpfen, was die Situation für ihn zusätzlich erschwert. Zwischen ihm und seinen Mitspielern läuft viel übers Gestikulieren. Hin und wieder muss ihn ein Mitspieler auch antippen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Das Spiel gegen den um drei Klassen besseren Kontrahenten wird 0:8 gegen die Mülheimer ausgehen. Kein Maßstab, um zu bewerten, wie gut das Zusammenspiel zwischen ihm und seinen neuen Kollegen wirklich schon funktioniert.
Luca Ballmann: Nationalspieler und Deutscher Meister beim Mülheimer SV
„Für uns ist das eine neue Situation“, sagt Oliver Vössing, Trainer der 1. Mannschaft des Mülheimer SV 07. „Noch haben wir da keine Ideen entwickelt, wie eine Kommunikation mit Luca im Spiel besser oder einfacher gelingen kann, aber wir werden lernen und sehen.“ Fußballerisch sei der Neuzugang für ihn und das Team definitiv eine Bereicherung.
Wie andere gehörlose Fußballer auch, spielt Luca Ballmann schon immer in Mannschaften mit Hörenden. Er kann auch in ganz normaler Lautsprache reden. Auf dem Platz gegen Baumberg gibt er ein paar Anweisungen, wenn auch leise und zurückhaltend. Einfacher, das gibt er zu, wäre die Kommunikation mit Mitspielern für ihn in Gebärdensprache. Die kann er nur im Gehörlosenfußball selbst anwenden, in dem Luca Ballmann mittlerweile eine Größe in Deutschland ist.
Der Verwaltungsfachangestellte ist einmal im Monat auch bei der Gehörlosen-Mannschaft des GTSV Essen in der Gehörlosen-Liga aktiv. Vor kurzem wurde das Team Deutscher Meister, für Luca Ballmann war es sogar schon der zweite Titel. Und: Er ist bereits 16-facher Nationalspieler der deutschen Gehörlosen-Mannschaft.
Mit der Nationalmannschaft bei den „Deaflympics“ in Brasilien
„Gehörlosen-Fußball selbst liebe ich auch. Nicht nur, weil ich dann unter Spielern bin, mit denen ich in gleicher Weise kommunizieren kann. Ich habe dort die Chance auf Teilnahmen bei nationalen und internationalen Wettbewerben, und komme viel in der Welt herum“, erklärt Ballmann.
Zu seinen Höhepunkten mit der Nationalmannschaft zählten die Europameisterschaft 2019 auf Kreta, inklusive dem Vize-Europameistertitel, oder 2022 die Deaflympics („Olympische Spiele“ und weltweit größter Sportwettbewerb für Gehörlose) in Caxias do Sul in Brasilien, wo die deutsche Auswahl Vierter wurde. Das internationale Niveau im Gehörlosen-Fußball reicht, seiner Ansicht nach, durchaus an die deutschen Oberligen heran.
„Manchmal höre ich den Schiri-Pfiff nicht“
Zurück im „Hörenden“-Spielbetrieb der Bezirksliga Niederrhein. Hier gibt es für Luca Ballmann, im Vergleich zum Fußball unter Gehörlosen, aber auch immer wieder Hürden. „Es kommt schon mal vor, dass ich so fokussiert auf eine Spielsituation bin, dass ich gar nicht mitbekomme, dass das Spiel unterbrochen ist“, erzählt er. „Vor ein paar Jahren habe ich einen Sprint in den gegnerischen Strafraum bis zum Abschluss durchgezogen, obwohl vorher abegpfiffen wurde. Der Schiedsrichter wollte mir gelb wegen Zeitspiel geben, bis unser Kapitän ihm erklärt hat, dass ich nichts höre.“
Mittlerweile seien viele Schiedsrichter aber vor dem Spiel informiert und gingen sensibler mit solchen Vorkommnissen um. Eine Fahne statt Pfeife als Signal für Spielunterbrechungen, wie im Gehörlosen-Fußball, werden die Unparteiischen aber nie haben. „Mir fällt mir auch nichts ein, was man sonst machen kann“, überlegt Ballmann und schickt zum Abschluss des Interview-Chats wieder mit lachendem Emoji; „Außer, die Schiedsrichter lernen Gebärdensprache. Aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit.“
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