Gelsenkirchen/Gladbeck. Jörg Blum spielt Walking Football beim FC Schalke 04, hilft bei der EM in Gelsenkirchen. Was er bei der WM vor 50 Jahren als Balljunge erlebt hat.

Jörg Blum wollte trösten. Aber er erntete böse Blicke. Damals, am 18. Juni 1974, während des Gruppenspiels der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Jugoslawien und Zaire im Gelsenkirchener Parkstadion. Als Mwamba Kazadi, der Torhüter der Mannschaft aus Zaire, in der 68. Minute nach dem achten von insgesamt neun Gegentoren von seinem Trainer Blagoje Vidinić aus dem Spiel genommen wurde, klopfte ihm der damals als Balljunge eingesetzte 14 Jahre alte Jörg Blum tröstend auf die Schulter. Aber der Mann aus Afrika reagierte sauer und würdigte den Teenager keines freundlichen Blickes.

Die fehlende Anerkennung für seine trostspendende Geste als Balljunge hielt den inzwischen 64 Jahre alten und in Gladbeck wohnenden Jörg Blum nicht davon ab, seine Dienste ein halbes Jahrhundert danach erneut ehrenamtlich bei einem sportlichen Großereignis in Gelsenkirchen zur Verfügung zu stellen. Er wird während der Fußball-Europameisterschaft, die vom 14. Juni bis zum 14. Juli in Deutschland stattfindet, einer von rund 1600 Volunteers in Gelsenkirchen sein.

Jörg Blum ist wie 1974 beim großen Turnier in Gelsenkirchen im Einsatz

Er kennt bereits seinen Einsatzbereich. „Ich werde in der Veltins-Arena bei den Drehkreuzen im Eingangsbereich zu finden sein“, erzählt Jörg Blum, den alle nur „Flower“ nennen. Er freut sich auf diese Aufgabe und auch auf die Europameisterschaft im Allgemeinen. „Ich habe Spaß daran, anderen Menschen zu begegnen“, sagt er. „An den Tagen, an denen ich nicht im Einsatz bin, werde ich auch mal zum Nordsternpark fahren, um mir dort die Spiele im Public Viewing anzuschauen. Das ist doch toll.“

Die WM 1974 und die EM 2024, man kann sie im Grunde gar nicht miteinander vergleichen. Damals war es in der Regel recht einfach, an Eintrittskarten zu kommen. Die meisten Spiele waren bei weitem nicht ausverkauft, auch zum Spiel zwischen Jugoslawien und Zaire kamen gerade einmal 31.700 Zuschauer in das 70.000 Zuschauer fassende Parkstadion.

Erinnerungen: Jörg Blum auf der Sitztribüne des Parkstadions, WM-Spielort 1974.
Erinnerungen: Jörg Blum auf der Sitztribüne des Parkstadions, WM-Spielort 1974. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

WM 1974: „Man kam recht einfach in Kontakt mit den Spielern“

Früher war alles auch viel lockerer. „Man kam recht einfach in Kontakt mit den Spielern oder mit so tollen Typen wie Mário Américo, den legendären brasilianischen Physiotherapeuten“, erinnert sich Jörg Blum. Es war für ihn kein Problem, sein Fußball-Sammelalbum mit Autogrammen zu füllen.

Ihm ist nicht nur die Begegnung mit Mwamba Kazadi als besonderes Ereignis im Gedächtnis geblieben, sondern auch eine weitere mit Johan Cruyff, dem genialem Spielmacher und Spielführer der niederländischen Nationalmannschaft und von Ajax Amsterdam. „Ich war zwar damals schon Fan des FC Schalke 04, habe aber auch die Spielweise von Ajax und von Johan Cruyff bewundert“, bekennt er.

Jörg Blum war Balljunge im Parkstadion

Nach dem Spiel der Niederlande gegen Argentinien erhielt er zunächst ein Autogramm seines Idols. Danach fasste sich der 14-Jährige ein Herz und bat den großen Johan Cruyff um dessen Trikot. „Nein, das darf ich nicht machen“, so lautete die kurze Antwort des Niederländers. Etwas enttäuscht schaute Jörg Blum drein, als der Kapitän der Elftal das Leibchen kurze Zeit später in die Menge der niederländischen Fans warf.

Dass Jörg „Flower“ Blum vor 50 Jahren als Balljunge mit dabei sein durfte, hatte er seinem fußballerischen Talent zu verdanken. Die Crew der Balljungen bei den insgesamt fünf WM-Spielen im Parkstadion rekrutierte sich aus Spielern der Kreisauswahl, vornehmlich aus Nachwuchsspielern des FC Schalke 04. Jörg Blum gehörte der Schülermannschaft der Königsblauen an, gemeinsam mit Thomas Kruse, Uwe Höfer, Jürgen Faltin und Helmut Gorka.

Beim FC Schalke 04 im Walking-Football-Team am Ball

Zuvor spielte er als Horster Junge für die Schülermannschaft der inzwischen untergegangenen STV, mit der er im Herbst 1973 das Vorspiel vor dem Auftritt der Schalker Bundesliga-Mannschaft gegen den Wuppertaler SV bestreiten durfte. „Wir haben die damals als unschlagbar geltenden Schalker mit 3:0 besiegt“, erinnert sich Jörg Blum. „Anschließend ist Schalkes Trainer Camillo Forstkamp auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich nicht den Verein wechseln wollte. Am Mittwoch darauf war ich bereits beim Training in der Glückauf-Kampfbahn.“

Er wurde nicht nur in die Kreis-, sondern auch in die Westfalenauswahl berufen, aber auf Schalke setzte er sich letztlich nicht durch. Nach seiner Zeit als B-Junioren-Spieler ging er zurück nach Horst, aber sein Herz hat auch danach immer blau und weiß geschlagen. Er ist regelmäßig als Volunteer bei den Heimspielen des FC Schalke 04 im Einsatz und als Mitglied der königsblauen Walking-Football-Truppe tritt er auch mit seinen 64 Jahren immer noch gegen den Ball.

Bei der Europameisterschaft drückt er natürlich der deutschen Fußball-Nationalmannschaft die Daumen, obwohl ihr kein aktueller Schalker angehört. Jörg Blum traut den Jungs von Bundestrainer Julian Nagelsmann eine Menge zu. „Sie können den Titel gewinnen“, sagt er. Er setzt vor allem auf Toni Kroos, Manuel Neuer, Florian Wirtz und Jamal Musiala. Da das DFB-Team nicht in Gelsenkirchen aufschlagen wird, bleibt nicht zu befürchten, dass Jörg Blum von einem der vier genannten Spieler ähnlich böse Blicke zugeworfen bekommt wie von Mwamba Kazadi vor einem halben Jahrhundert …

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