Kirchhellen. Frisurenfiasko, ein leerer Benzintank und ein Blinddarm-Drama: Timo Kunert erzählt von Rückschlägen, Erfolgen und einem erfüllten Fußballleben.

Timo Kunert zählt zur Handvoll bester Bottroper Fußballspieler in diesem Jahrhundert. Die Karriere des Kirchhelleners startete steil, blieb nicht frei von Rückschlägen und endete im schmucken Stadion Hohenhorst in Recklinghausen-Hillerheide. Der Defensivmann war Deutscher Meister, hat in der Jugendnationalmannschaft und in der Bundesliga gespielt, aber auch reichlich Pech gehabt. „Letzten Endes war es, glaube ich, eine vernünftige Karrierelaufbahn“, sagt Kunert heute, wo er gerade in der Reha steckt nach einem im März 2024 erlittenen Kreuzbandriss.

Zwei frühe Höhepunkte hat seine Laufbahn. Zunächst steht er im Juni 2006 mit zwei späteren Weltmeistern von Schalke 04 im Finale um die Deutsche A-Jugendmeisterschaft und besiegt die Elf des FC Bayern München mit 2:1. Noch jetzt spricht er von diesem Tag mit riesiger Begeisterung: „Das war so geil!“

Deutscher Meister mit der U19 vom FC Schalke 04

Dieses furiose Finale hat für ihn einen großartigen Erinnerungswert und steht den Tagen, an denen er im Schalker Bundesligakader stand – Höhepunkt Nummer zwei, in nichts nach. Dann – 2007 – „war allerdings der Hype noch größer“.

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Als im Frühsommer 2006 ganz Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft feiert, begeistert auch ein Jugendspiel das Publikum. Das Stadion Lüttinghof in Gelsenkirchen-Hassel ist mit 6.500 Zuschauern brechend voll, Kunert macht dort sogar „Leute in den Bäumen“ aus. Die Stimmung ist großartig und das Ende glücklich für die Mannschaft von Trainer Norbert Elgert.

Oktober 2006: Timo Kunert (r.) im Trikot des FC Schalke 04 an der Seite von Alexander Baumjohann.
Oktober 2006: Timo Kunert (r.) im Trikot des FC Schalke 04 an der Seite von Alexander Baumjohann. © WAZ | Martin Möller

Ralf Fährmann hütet das Tor, in der Abwehr wirken Benedikt Höwedes und Sebastian Boenisch neben Kunert und im Mittelfeld zieht Mesut Özil die Fäden. Höwedes und Özil werden acht Jahre später wie Mats Hummels vom bayerischen Gegner Weltmeister.

Timo Kunert holt gegen Bayern München entscheidenden Strafstoß heraus

Giuseppe Pisano bringt Schalke in der 19. Minute mit 1:0 in Führung, Sebastian Boenisch erhöht in der 34. Minute mit einem Strafstoß. „Ich hab‘ den Elfmeter rausgeholt“, berichtet Timo Kunert stolz. Der Mittelfeld- und Abwehrspieler, 1987 in Gladbeck geboren, ist „Ur-Kirchhellener“, wie er es selbst formuliert. Er schiebt sofort hinterher: „Wie der Vatter, der Oppa, alle.“

Schon mit fünf Jahren schließt sich Kunert dem VfB Kirchhellen an und bleibt dort bis in die D-Jugend. 1999 holt ihn der FC Schalke 04 in seine Nachwuchsabteilung; das Fußballinternat steckt damals gerade in den Kinderschuhen. „Morgens um sieben wurden wir vom Fahrdienst abgeholt und um 21.30 Uhr waren wir zurück“, berichtet Kunert, der mit dem heutigen Welttorhüter Manuel Neuer und mit Alexander Baumjohann in eine Klasse geht.

Kunert macht beim VfB Kirchhellen seine ersten Schritte

Das Verständnis der Lehrer für die extrem belasteten jungen Sportler ist damals noch nicht so ausgeprägt. Diplomatisch formuliert es der Betroffene so: „Das war schon heftig. Heute ist das System verfeinert.“

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Der Kirchhellener zählt zu den Leistungsträgern, macht 17 Länderspiele in der U18-, U19- und der U20-Nationalelf. Zur Saison 2006/07 erhält Timo Kunert einen Profivertrag bei Schalke 04, spielt jedoch meist im Oberligateam der Knappen in der 4. Liga. Die Gelsenkirchener bewegen sich damals in einer anderen Welt als 2025. „Wir haben damals, als ich hochkam, um die Meisterschaft gespielt, 2007, und jetzt spielt man leider in der zweiten Liga“, vergleicht Kunert.

Kunert muss heute selbst über seine damaligen Frisuren lachen

Mit 20 fällt der zweikampfstarke Defensivspieler auch durch extravagante Haarschnitte auf, seine Beziehung dazu hat sich allerdings inzwischen signifikant verändert: „Ich fand diese Frisuren unglaublich gut. Wenn ich sie mir heute anschaue, lache ich mich kaputt. Da frage ich mich echt, was in meinem Kopf vorging.“

Er sei „alle zwei, drei Wochen zur Friseur-Kette ‚Unisex‘ gerannt,“ erzählte er einmal dem Portal spox.com. „Mir wurde die neueste Frisur ja bald langweilig.“ In der Kabine erntet er manchen Spott: „Die Frage, ob ich in einen Farbtopf gefallen sei, war noch die harmloseste. Heute würde ich im Leben nicht mehr so bei den Profis auflaufen. Das würde nicht mehr gehen, heutzutage würde man gezwungen, eine normalere Frisur zu tragen.“

Kunert feiert gegen Borussia Mönchengladbach seine Bundesliga-Premiere

Mit einem inzwischen zum Multimillionär gewordenen jungen Kollegen legt er damals überschaubare Geldbeträge zusammen, um mal wieder das Auto zu tanken. Kunert bildet gelegentlich mit dem ein Jahre älteren Manuel Neuer, seit Ende 2005 Stammtorwart bei Schalke, Weltmeister 2014 und fünfmaliger Welttorhüter, eine Fahrgemeinschaft: „Unsere Freundinnen aus Mülheim waren eng miteinander befreundet. Manu und ich sind oft zusammen dorthin gefahren. Da hat jeder fünf Euro geopfert, um genug Sprit in der Karre zu haben.“

Oktober 2006: Timo Kunert im Oberliga-Derby zwischen den U23-Teams von Schalke 04 und VfL Bochum.
Oktober 2006: Timo Kunert im Oberliga-Derby zwischen den U23-Teams von Schalke 04 und VfL Bochum. © WAZ | Martin Möller

Mehr als ein Dutzendmal steht Timo Kunert im Bundesligakader der Königsblauen, am 7. April 2007 ist es so weit: er macht sein Bundesligaspiel. Dieser schöne, warme Frühlingstag ist der Gipfelpunkt seiner Fußballkarriere. Nach dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach denkt Kunert: „Endlich bekomme ich meinen Einsatz – und ab nächste Woche geht das jetzt selbstverständlich immer so weiter. Ich wäre tot umgefallen, hätte mir jemand gesagt, dass dies mein einziger Bundesligaeinsatz sein würde.“

Aus Bottrop ist er nach der Jahrtausendwende der erste, der es in die Bundesliga schafft. Es folgen ihm bisher nur Maurice Multhaup, heute in der 3. Liga in Saarbrücken, fünf Bundesliga- und 104 Zweitligaeinsätze, und vom VfL Bochum Felix Passlack, der mittlerweile 66 Mal in der Eliteliga aufgelaufen ist.

Gerald Asamoah leistet sich einen Scherz mit dem Bundesliga-Debütanten

Es sind 2007 aufregende Minuten für Kunert, denn Scherzkeks Gerald Asamoah hat seine Schienbeinschoner versteckt. Schalke führt gegen Borussia Mönchengladbach mit 2:0, als Trainer Mirko Slomka wechselt. Der junge Defensivmann kommt für Mesut Özil – ihm ist alles noch sehr präsent.

Er habe gebangt, dass das Spiel vielleicht abgepfiffen wird, bevor er aufs Feld darf: „Ich habe mein komplettes Leben danach ausgerichtet, mich vernünftig ernährt, ausreichend geschlafen, mit Abstrichen auf Partys verzichtet. Ich komme vom Dorf, da konnte man jedes Wochenende für einen Zehner frei saufen. Da war ich natürlich nie und irgendwann will man sich ja endlich beweisen. Wenn ich schon einen Teil meiner Jugend wegschmeiße, dann muss sich das ja verdammt nochmal auch lohnen.“

Seine Gelbe Karte nach einem Foul an Marcell Jansen wird Kunert noch beschäftigen

Es lohnt sich. Etwas mehr als eine Minute ist er auf dem Feld. „Halil Altintop spielte mir nach ein paar Sekunden den Ball zu und schrie: ‚Hier, das ist dein erster Ballkontakt in der Bundesliga!‘ Den habe ich dann sauber mit der Innenseite zurück zur Abwehr gepasst. Ganz so, wie Slomka gesagt hat: ‚Timo, mach‘ keine Über-Dinge, halte einfach den Ball!‘

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Für ein Foul an Marcell Janssen erhält er die Gelbe Karte, am Abend in der Diskothek „Kronski“ in Gelsenkirchen-Buer wird er auf der Toilette von einem Fan erkannt: „Das war für mich eine Anerkennung, ein ganz anderes Gefühl als vorher.“

Auf Anregung des DFB-Nachwuchstrainers Horst Hrubesch wechselt Timo Kunert zwei Monate später zum Hamburger SV, dessen zweite Mannschaft eine Klasse höher spielt als die der Schalker, wird aber durch eine Schambeinentzündung ausgebremst. „Da war ich anderthalb Jahre raus und natürlich war das dann schon ein großer Knack in der Karriere,“ bilanziert der Kirchhellener heute.

Vom Hamburger SV geht es zu den Sportfreunden Lotte und nach Oberhausen

Er trifft beim HSV Marcell Janssen wieder, der von Gladbach dorthin gewechselt ist und ihn in der Kabine neckt: „Er hat gefragt, ob ich denn diesen übermotivierten Jungspund kennen würde, der ihn beim letzten Spiel auf Schalke so sinnlos umgehauen hat.“

Juli 2017: Timo Kunert im Trikot des TSV Steinbach.
Juli 2017: Timo Kunert im Trikot des TSV Steinbach. © Thorsten Tillmann | Thorsten Tillmann

Über die Regionalligamannschaft des HSV kommt er nicht hinaus, geht später zu den Sportfreuden Lotte, zu Rot-Weiß Oberhausen und zum VfL Osnabrück. Im Sommer 2014 schließt er sich dem 1. FC Saarbrücken an, im Januar 2016 wechselt zu einem anderen Klub in der Regionalliga Südwest, dem TSV Steinbach.

In den entscheidenden Spielen fehlen Glück und die notwendigen Ergebnisse

Der Ort liegt in der Nähe von Haiger nahe der Autobahn A45 im Westen von Hessen. Dort bleibt Kunert drei Jahre, dann folgen der FSV Frankfurt, Rot-Weiß Walldorf, Verbandsligist SV Zeilsheim und seit September 2023 Bezirksligist FC Recklinghausen 96. Letztlich kommt er auf ein Bundesligaspiel, 34 in der dritten und 232 in der Regionalliga.

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„Ich habe natürlich auch Pech gehabt, dass wir in Entscheidungsspielen nicht aufgestiegen sind,“ findet der Kirchhellener. Auf seiner Position steht er nicht so im Fokus wie offensive Spieler, da wären auch Teamerfolge hilfreich gewesen. Aber 2013 mit den Sportfreunden Lotte holt er im Kampf um den Aufstieg in die 3. Liga gegen RB Leipzig zwar ein 0:2 aus dem Hinspiel auf, doch die Sachsen erreichen in der Verlängerung noch ein 2:2.

Beim 1. FC Saarbrücken wird es für den Kirchhellener lebensbedrohlich

2015 ist es mit dem 1. FC Saarbrücken noch knapper. Sein Klub egalisiert bei den Würzburger Kickers ein Hinspiel-0:1, unterliegt dann jedoch im Elfmeterschießen. Ein weiteres Problem von Kunert: „Mich haben Verletzungen immer wieder zurückgeworfen, die Schambein-Entzündung, eine Schultereckgelenksprengung, ein Mittelhandbruch und so weiter.“

April 2012: Zwei Bottroper nach dem Spiel gegen Wehen-Wiesbaden auf der Bank von Rot-Weiß Oberhausen: Fatih Candan und Timo Kunert.
April 2012: Zwei Bottroper nach dem Spiel gegen Wehen-Wiesbaden auf der Bank von Rot-Weiß Oberhausen: Fatih Candan und Timo Kunert. © WAZ FotoPool | Micha Korb

Im Saarland wird es sogar lebensbedrohlich. Einen Blinddarmdurchbruch nimmt er zunächst nicht wahr, da er wegen anderer Verletzungen unter Schmerzmitteln steht: „Plötzlich bekam ich abartige Bauchschmerzen. Da war der Blinddarm bereits geplatzt und hatte gestreut. Es war allerhöchste Eisenbahn.“

Eine Notoperation rettet Timo Kunert, doch es dauert lange bis zur Gesundung: „Nach der OP hatte ich drei Wochen lang durchgehend 40 Grad Fieber, da noch zu viele Bakterien in meinem Bauchraum waren. Zehn Kilo habe ich abgenommen, weil ich kaum etwas essen konnte. Drei verschiedene Antibiotika schlugen nicht an, erst mit dem vierten hat es geklappt. Das waren drei Monate, in denen ich echt durch die Hölle ging.“

Ein Kreuzbandriss beendet in der Bezirksliga die Laufbahn von Timo Kunert

Aus Saarbrücken geht er 2016 nach Hessen, gründet mit Freunden eine Immobilienfirma und ist deshalb viel unterwegs, wodurch der Sport in den Hintergrund rückt. Als „Immobilieninvestor und Bauleiter“ genießt Kunert den Kontakt zur Kundschaft: „Nur im Büro nach 17 Jahren auf dem Rasen sehe ich mich nicht. Dafür bin ich zu hibbelig.“

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2023 zieht er mit seiner Frau Jana und zwei Kindern zurück in den Ruhrpott nach Marl, beim FC 96 Recklinghausen kickt Kunert noch in der Bezirksliga. Ein Zweikampf im März (2024) gegen den SV Zweckel wird im Hohenhorststadion sein letzter. Kreuzband-, Meniskusriss und schwerer Knorpelschaden ist die bittere Diagnose.

Benedikt Höwedes über Timo Kunert: Ein absoluter Teamplayer

„Das wars auch für mich,“ weiß der Ex-Profi. „Ich werde jetzt im März ja 38.“

Andere Kollegen aus der glorreichen Schalker Meister-A-Jugend von 2006 hatten mehr Glück mit ihren Laufbahnen, doch gerade Weltmeister Benedikt Höwedes erinnert sich sehr positiv an den Mitspieler von damals. „Timo war immer ein positiv verrückter Typ in der Mannschaft, der auch gerne mal durch verrückte Frisuren aufgefallen ist“, sagt Höwedes. „Aber er war eben auch ein absoluter Teamplayer, der sich für die Mannschaft reingehangen hat und der ein wichtiger Bestandteil unseres Teams in der Meistersaison war.“

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