Bottrop. Als er vor zehn Jahren ins Ruhrgebiet kam, ahnte Sven Helbing noch nicht, dass er die Sportlandschaft in Bottrop wesentlich mitprägen würde.

Sven Helbing (48 Jahre), waschechter Leipziger, seit zehn Jahren Bottroper. DDR-Meister und Deutscher Meister im Judo, Junioren-Europameister im Einzel und Team, zweifacher Weltcupsieger und last but not least der Erfinder und Leiter des Bottroper Judo-Schulprojekts, dass in erfolgreicher Kooperation mit der Emscher Lippe Energie bereits ins zehnte Jahr geht.

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Es ist ein sonniger und warmer Tag, an dem wir uns am Torhaus am Eingang des Stadtpark sehen. Sven hat frische Berliner mitgebracht, die Fotograf Thomas Gödde, Sven und ich mit Wonne verzehren. Und uns auf den Weg machen. Das erste Thema ist natürlich Corona, die anstehenden Maßnahmen. Was kommt, was kommt nicht, was wird umgesetzt, was nicht und was bedeutet das für den beruflichen Alltag an der Schule? Im Unterschied zu vielen anderen Unterrichtsstunden findet der Lehrinhalt Judo nicht online, sondern tatsächlich in der Schule mit den Kindern statt. Aber wie sieht das im Detail aus?

Judogürtel als Partner-Ersatz

Da Partnerübungen und Kämpfe aktuell nicht möglich sind, hat Sven Alternativen entwickelt, so integriert er zum Beispiel den Gürtel in die Übungen: „Der Gürtel kann als Partner fungieren. Ich kann Würfe mit dem Gürtel simulieren oder auch Fußtechniken. Um den Kindern den Gürtel nahe zu bringen, bekommt der einen Namen. Mein Gürtel heißt Otto, wie heißt denn euer Gürtel? Dagobert oder wie auch immer“, erklärt Helbing die Situation, wie er den Kindern den Gürtel zum Partner macht und auf spielerische Art und Weise Fantasie ins Spiel bringt und damit Spannung in die Inhalte bringt.

„Das ist manchmal gar nicht so einfach, da muss ich den Punkt erkennen, ab wann etwas auch langweilig werden kann. Aber immerhin haben wir das Glück, dass wir im Klassenraum Unterricht machen können. Und dafür haben wir ja dieses Corona-Modul entwickelt mit der Hoffnung, dass es klappt, das wir das machen können. Und ja, es hat geklappt.“

Wenn Sven Helbing über seinen Sport spricht, wird deutlich, dass er sich vor allem der Jugend verschrieben fühlt.
Wenn Sven Helbing über seinen Sport spricht, wird deutlich, dass er sich vor allem der Jugend verschrieben fühlt. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Es dauert nicht lang und wir kommen auf die aktuelle körperliche Verfassung zu sprechen. Auf seine Kondition und Fitness, aber genauso auch auf meine. Ich habe sieben Kilo zugenommen in den letzten Monaten, Sven ist natürlich wesentlich fitter. Doch auch er kennt die Probleme, die zu wenig Bewegung und wenig Sport verursachen, dass mit zunehmendem Alter mehr getan werden muss, um einen gleichen Stand an Fitness aufrecht zu erhalten: „Wenn das Gefühl da ist, dass man beweglich ist, dann hat man auch das Gefühl, noch jung zu sein. Aber wenn da das Gefühl sagt, ich bin steif und knorrig, dann fühlt man sich auch entsprechend alt. Das Empfinden von Beweglichkeit ist auch ein Empfinden von Jugend.“

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Während wir über Beweglichkeit, Steifheit, Jugend und Alter sinnieren, dirigiert uns Fotograf Thomas zielsicher und konsequent an die Orte, an denen er seine Bilder schießen möchte. Wir sprechen über Leipzig, Helbings Heimat. Sven Helbing liebt seine Heimatstadt, diese Messe-Metropole mit großer kultureller und politischer Geschichte. Die Stadt mit den breiten Straßen und den tollen Gründerzeit-Altbauten, mit dem alles überragenden Völkerschlachtdenkmal, das an Tagen mit ausgezeichneten Sichtverhältnissen manchmal selbst aus weiter Ferne im umliegenden Erzgebirge zu sehen ist.

Camper abgeholt, Freunde besucht

Da verwischen sich meine Erinnerungen mit tatsächlich Erlebtem und den Erzählungen meiner Mutter. Ich bin 95 Kilometer von Leipzig entfernt aufgewachsen und habe einmal das Völkerschlachtdenkmal vom Pöhlberg aus gesehen, so meine kindliche Erinnerung. Doch es sind nicht die Bauten, Denkmäler und Museen, die ihn immer wieder nach Leipzig ziehen, es sind die Natur, das Wasser und natürlich die Familie.

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„Ich war noch letztens gemeinsam mit meiner Freundin in Leipzig. Mein Vater hatte Geburtstag und da wir dort auch einen Camper gekauft haben, hat sich das angeboten, Besuch und Abholung zu verbinden. Ich habe da natürlich auch noch viele Freunde, die besucht man natürlich gerne. Aber ich bin auch gerne hier in Bottrop. Ich habe hier eine tolle Aufgabe, die mir große Freude bereitet, wo immer was passiert. Und natürlich habe ich hier meine Freundin kennen gelernt, die hier arbeitet und verwurzelt ist. Das passt alles gut“, erzählt mir Sven.

Und Arbeit, Privatleben und Sport, da gibt es keine wirkliche Trennung und das ist so gewollt. Da Judo Sven Helbings Lebensinhalt und Passion ist, ist Judo für ihn auch nicht das, was viele Menschen unter Arbeit verstehen. Es ist Berufung und die Liebe zum eigenen Tun. Deshalb ist auch der Judoclub 66 Bottrop ein wichtiger Bestandteil im Leben des zweifachen Meisters, die Schwierigkeiten, coronakonforme Trainingsmöglichkeiten zu schaffen, dabei aber auch den Wettbewerbscharakter und das Kämpfen nicht aus dem Fokus zu verlieren. Daraus entstand die Idee zur Ele Team-Challenge online 2021, über die wir regelmäßig im Lokalsport berichten.

Bekannt wie ein bunter Hund

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Während unseres Spaziergangs durch den Park begegnen wir immer wieder Menschen aller Alterstufen, die Sven Helbing freundlich grüßen, ihn ansprechen. Helbing ist bekannt wie ein bunter Hund und er fühlt sich wohl mit dem, was er tut. Wir lassen uns zum Ausklang auf einer der vielen Bänke nieder, trinken warmen Apfeltee, essen Baguette mit Käse und verlieren dabei völlig die Zeit aus den Augen. Irgendwann, die Sonne geht so langsam auf Abschiedstournee, wird es langsam kalt und der Tag neigt sich dem Ende. Inspiriert und guter Laune verabschieden wir uns. Bis zum nächsten Mal. Denn das wird es geben. Mit Sicherheit.