Wattenscheid. 1974 sorgt Wattenscheid 09 im DFB-Pokal und in der Regionalliga für Furore. Der große Wurf gelingt aber nicht. So erinnert sich Hannes Bongartz.

Vor 50 Jahren sorgte in Wattenscheid die SG 09 für eine zuvor nie gekannte Fußball-Euphorie. Die von Karl-Heinz Feldkamp trainierte Mannschaft zog im DFB-Pokal ins Viertelfinale ein, sie erspielte sich in der Regionalliga West den ersten Platz und durfte daher an der Aufstiegsrunde zur Bundesliga teilnehmen. Am 12. Mai 1974 stand bei Eintracht Braunschweig das erste Spiel in dieser Aufstiegsrunde auf dem Programm der 09er.

1974, das waren andere Zeiten. Der Watergate-Skandal in den USA sorgte international für Schlagzeilen. Gleiches galt für den Rücktritt von Willy Brandt als Bundeskanzler infolge der Spionageaffäre um Günter Guillaume oder auch für die Nelkenrevolution in Portugal. Außerdem gewann vor einem halben Jahrhundert die deutsche Fußball-Nationalmannschaft um Franz Beckenbauer im eigenen Land den WM-Titel.

In Wattenscheid, das seinerzeit um seine Selbständigkeit kämpfte, sorgte in diesem Jahr die SG 09 für jede Menge Schlagzeilen. Hannes Bongartz (72), der damals im Mittelfeld der Sportgemeinschaft gekonnt die Fäden zog, erinnert sich an tolle Spiele und an eine tolle Mannschaft. Und auch wenn ihr der ganz große Wurf, der Aufstieg in die Bundesliga, verwehrt blieb, betont Bongartz: „Ich habe an diese Zeit nur absolut positive Erinnerungen.“

Wattenscheid 09 verweist Topfavorit RW Oberhausen auf den zweiten Platz

Der in Bottrop heimisch gewordene ehemalige Nationalspieler sagt im Rückblick aber auch: „Der Verein hat vor 50 Jahren eine große Chance verpasst. Damals wäre es einfacher gewesen, sich in der Bundesliga zu etablieren. Auch und vor allem, weil der Boss schlicht und ergreifend 14, 15 Jahre jünger und dynamischer war als 1990.“

Der Boss, damit ist selbstredend Klaus Steilmann gemeint, der ja der starke Mann der SGW war. Der Textilunternehmer war Präsident und Mäzen des Klubs, der sich 1974 erstmals anschickte, in die deutsche Eliteliga aufzusteigen.

Nach dem Gewinn der Meisterschaft in der Regionalliga West - die 09er verwiesen Topfavorit Rot-Weiß Oberhausen und Bayer 05 Uerdingen auf die Plätze zwei und drei - trafen die Wattenscheider in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga auf Eintracht Braunschweig, den 1. FC Nürnberg, 1. FC Saarbrücken und Wacker 04 Berlin.

Wattenscheid 09 gewinnt in Braunschweig nach 0:2 noch mit 3:2

Wie zuvor schon in der Liga galt die Sportgemeinschaft, Westdeutscher Meister hin, Westdeutscher Meister her, als Außenseiter. Oder in Bongartz‘ Worten: „Wir waren das kleine Wattenscheid.“ Am 12. Mai 1974 ging es los.

Die Macher des Erfolgs: „Boss“ Klaus Steilmann, Mäzen der SG Wattenscheid, und Trainer Karl-Heinz Feldkamp.
Die Macher des Erfolgs: „Boss“ Klaus Steilmann, Mäzen der SG Wattenscheid, und Trainer Karl-Heinz Feldkamp. © mauritius images / Werner Otto | All mauritius images Content+

Hannes Bongartz erinnert sich an diesen Sonntag vor 50 Jahren noch ganz genau: „Wir mussten in Braunschweig spielen, das war der Top-Favorit.“ Zunächst sei es gar nicht gut gelaufen. Stimmt! Die Eintracht ging nämlich mit 2:0 in Führung.

Das Spiel schien also den erwarteten Verlauf zu nehmen. Doch leidenschaftlich kämpfende und immer besser spielende Wattenscheider drehten vor 30000 Zuschauern im Stadion an der Hamburger Straße die Partie und gewannen sie dank der Treffer von Ewald Hammes, Rudi Klimke und Bernd Gräwe noch mit 3:2.

20000 Zuschauer sehen das Spiel Wattenscheid 09 gegen Wacker 04 Berlin

Nach dieser Überraschung war die Euphorie natürlich groß. 20000 Fans pilgerten zum ersten Heimspiel der Aufstiegsrunde, Gegner war Wacker 04 Berlin, ins Lohrheidestadion. Die Gastgeber kamen jedoch über ein enttäuschendes 1:1 nicht hinaus. Das war der erste Dämpfer und laut Hannes Bongartz bereits der Knackpunkt.

„Der Boss“, so der seinerzeit wegen seiner Statur als Spargeltarzan bezeichnete Mittelfeldmann, „kam nach dem Spiel in die Kabine und hat uns lautstark kritisiert. Nach diesem Spiel herrschte Unruhe. Vielleicht war der Druck dann zu groß.“

Am Ende scheiterten die 09er recht knapp. Nur drei Punkte fehlten dem Feldkamp-Team in der Endabrechnung zum großen Wurf. Eintracht Braunschweig, das gegen die Wattenscheider sieglos blieb, sicherte sich den ersten Platz, der 1. FC Nürnberg landete auf Rang zwei.

Wattenscheid 09 lässt im Lohrheidestadion viele Punkte liegen

Woran lag‘s? In erster Linie an der Heimschwäche der Schwarz-Weißen. Dazu Hannes Bongartz: „Wir haben uns leichter getan, wenn wir kontern konnten.“ Doch diesen Gefallen tat die Konkurrenz den Wattenscheidern im Lohrheidestadion eben nicht. Lediglich gegen den 1. FC Saarbrücken gab‘s einen Heimsieg. Der 1. FC Nürnberg feierte in Leithe einen 1:0-Erfolg und mit Eintracht Braunschweig sowie Wacker 04 Berlin teilten die Wattenscheider sich jeweils die Punkte.

Wenn Hannes Bongartz heute an 1974 zurückdenkt, denkt er vor allem an Boss Klaus Steilmann und an seine Teamkameraden: „Das war ja eine super Mannschaft!“ Das kann man wohl so sagen.

Ein paar Namen gefällig? Nun, das Tor hütete Jupp Koitka, der später unter anderem für den Hamburger SV und Eintracht Frankfurt spielte. In der Abwehr standen knorrige Typen wie Werner Kontny, Bernd Gräwe, Reinhold „Cassy“ Klee, Rudi Klimke oder Helmut „Löwe“ Zyla. Auch das Mittelfeld war stark besetzt mit dem technisch versierten und torgefährlichen Hannes Bongartz, dem späteren Nationalspieler, mit Heinz „Icke“ Jebram, Werner Falatik und Norbert Grede.

Für Hannes Bongartz kommt der argentinische WM-Star Carlos Babington

Gleiches gilt für den Angriff der 09er, der in der Regionalliga-Saison der mit Abstand erfolgreichste war. 102 Tore standen am Ende der Punkterunde für die Mannschaft zu Buche. Goalgetter Nummer eins war Jürgen Jendrossek mit 23 Treffern, Bongartz steuerte 18 und Ewald Hammes, der im Hauptberuf an der Märkischen Schule in Wattenscheid Erdkunde unterrichtete, 16 Tore zum Titelgewinn bei.

Hannes Bongartz verfolgt bis zum heutigen Tag den Werdegang der SG Wattenscheid 09. 1974 wäre er als Spieler fast mit dem Klub in die Bundesliga aufgestiegen, 1990 schaffte er dieses Kunststück als Trainer.
Hannes Bongartz verfolgt bis zum heutigen Tag den Werdegang der SG Wattenscheid 09. 1974 wäre er als Spieler fast mit dem Klub in die Bundesliga aufgestiegen, 1990 schaffte er dieses Kunststück als Trainer. © FUNKE Foto Services | Thorsten Tillmann

Nach der Saison 1973/1974 konnten die Wattenscheider zunächst nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen. Hannes Bongartz wechselte für die damalige Rekordablösesumme von 770000 Mark zum FC Schalke 04 und wurde Bundesliga- und Nationalspieler sowie Vize-Europameister. Die SG Wattenscheid 09 kämpfte ab 1974 in der neuen 2. Liga Nord um Punkte. Die Mannschaft, die mit dem argentinischen WM-Star Carlos Babington verstärkt worden war, erfüllte die in sie gesetzten Erwartungen nicht.

Es folgten etliche triste Jahre in Liga zwo. 1990 feierte das kleine Wattenscheid schließlich doch den Aufstieg in die Bundesliga. Trainer der Sportgemeinschaft war ein gewisser Hannes Bongartz. Aber das ist eine andere Geschichte.

SG Wattenscheid: News und Hintergründe zum Traditionsclub aus der Lohrheide

Wattenscheid in der Aufstiegsrunde 1974

12. Mai 1974 - Eintracht Braunschweig - SG Wattenscheid 09 2:3

16. Mai 1974 - SG Wattenscheid - Wacker 04 Berlin 1:1

19. Mai 1974 - 1. FC Saarbrücken - SG Wattenscheid 09 1:2

22. Mai 1974 - SG Wattenscheid 09 - 1. FC Nürnberg 1:2

25. Mai 1974 - SG Wattenscheid 09 - Eintracht Braunschweig

1. Juni 1974 - 1. FC Nürnberg - SG Wattenscheid 09 1:0

5. Juni 1974 - SG Wattenscheid 09 - 1. FC Saarbrücken 2:1

8. Juni 1974 - Wacker 04 Berlin - SG Wattenscheid 09 3:2