Bochum. Werner Altegoer ist tot. Der langjährige Präsident des VfL Bochum starb am Mittwoch iim Alter von 77 Jahren. Sein ehemaliger Angesteller und Freund Peter Neururer nimmt in einem Nachruf Abschied vom “Präses“ Altegoer. Und erinnert sich an gebrochenes Eis und gemeinsame Abenteuer.
Werner Altegoer stand für mich bis zuletzt für all das, was in Sachen Fußball und Führungsstil als positiv zu bezeichnen ist: Bedingungslose Unterstützung seiner Mitarbeiter, vorgelebte Ehrlichkeit, Gradlinigkeit, die tief empfundene Liebe zu seinem Verein. Ein Klub-Patriarch im positiven Sinne. Ich habe es jedenfalls nie erlebt, dass er sich gegenüber einem seiner Angestellten unehrlich oder unfair verhalten hätte. Beim Präsidenten Altegoer durfte jeder mal einen Fehler machen. Nur denselben Fehler noch einmal machen, das wurde nicht akzeptiert, da konnte er knallhart sein. Auch das war meiner Meinung nach eine wichtige, weil gute Charaktereigenschaft in seiner Funktion als Vereinspräsident. Irgendwie muss man den Laden ja am Laufen halten
Mich verbindet eine ganz besondere Geschichte mit Werner Altegoer. Denn eigentlich galten wir jahrelang als Feinde und nicht als Freunde. Schon bevor ich 2001 als Trainer beim VfL Bochum begann, war ich mehrmals mit dem VfL in Verbindung gebracht worden. Aber jedesmal scheiterten sämtliche Annäherungsversuche an den Machtworten des Präsidenten. Er hielt mich für einen Lautsprecher mit großer Klappe und nichts dahinter und so einem Typen wollte er nicht seine Mannschaft anvertrauen.
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Im Dezember 2001 stellte er mich dann doch ein. Eine Woche war ich bereits beim Klub, als abends mein Telefon klingelte. Am anderen Ende: Werner Altegoer. "Trainer", rief er, "was ist mit dem Aufstieg?" Da wusste ich noch nicht, dass man als Trainer vom VfL Bochum quasi tagtäglich mit solchen Anrufen des Präsidenten rechnen musste. Ich antwortete: "Präses, machen sie sich mal keine Sorgen. Das schaffen wir schon." Dann hielt er eine kleine Ansprache, kein Problem für mich. Bis der Satz fiel: "Trainer, jetzt passen sie mal auf…" Gegen diese Floskel bin ich höchst allergisch. Was wiederum Altegoer nicht wissen konnte. Ich grätschte dazwischen: "Präses, diesen Satz dürfen mir noch zwei Menschen ungestraft sagen: Meine Frau und mein Vater. Und mein Vater ist tot." Dann legte ich einfach auf.
Eine Minute später klingelte mein Telefon erneut. Der Präsident. "Trainer", fragte er mich, "sehe ich das richtig, dass wir jetzt den ersten Krach haben?" "Allerdings", antwortete ich. Und das Eis zwischen uns beiden war gebrochen.
Wie eingespielt wir waren, zeigte sich am Beispiel von Paul Freier. Auch dank seiner starken Leistungen erreichten wir in der Saison 2003/04 den UEFA-Cup. Er war längst zu einem unserer wichtigsten Spieler geworden, in Bochum sogar zum Nationalspieler gereift. Klar, dass sich auch andere Klubs für ihn interessierten. Unser Präsident erfuhr bald, dass Freier einen Vertrag für die kommende Saison mit Bayer Leverkusen hatte – obwohl er noch einen Vertrag bis Sommer 2005 bei uns besaß. Ohne sich mit mir abzusprechen, kabelte Altegoer bei Reiner Calmund durch: "Ihr könnt unseren Spieler
vorzeitig aus seinem Vertrag rauskaufen, aber dann müsst ihr uns diese Summe zahlen." Er nannte Calmund einen ziemlich hohen Betrag. "Ansonsten sitzt der Junge bei uns ein Jahr auf der Bank und ihr bekommt einen Spieler ohne Spielpraxis." Normalerweise wäre das ein Unding, wenn ein Präsident solch einen Alleingang wagt und sich in die sportlichen Belange einmischt! Aber Altegoer wusste instinktiv, dass ich in dieser Sache auf seiner Seite war – was auch stimmte. Das Ende vom Lied: Calli stimmte zu, Leverkusen zahlte den Betrag und Slawo Freier wechselte zu Bayer. Alles zum Wohle des VfL Bochum.
Andersherum akzeptierte und unterstützte der Präsident auch meine speziellen Eigenarten und Vorgehensweisen als Trainer – und ich zahlte ihm sein Vertrauen zurück. Wie im Februar 2002, als wir gegen Rot-Weiss Oberhausen mit 1:6 fürchterlich unter die Räder kamen und von Platz fünf auf Rang acht abstürzten. Nach dem Spiel sah ich Altegoer mit hochrotem Kopf Richtung Kabine stürmen, er wollte der Mannschaft seine Meinung geigen. Ich hielt ihn auf: "Präses, heute nicht." Ich hatte einen Plan: "Gleich morgen werde ich vor versammelter Mannschaft den Aufstieg proklamieren!" Und er sagte das, was er eigentlich immer am Ende eines Gespräches zu mir sagte: "Herr Neururer, sie sind ja bekloppt!" Am nächsten Tag stellte ich mich vor die Mannschaft: "Nach diesem Spiel will ich, dass jeder, der jetzt noch an den Aufstieg in die Bundesliga glaubt, seine Hand hebt!" Natürlich hob jeder Spieler den Arm. Am letzten Spieltag schafften wir mit einem 3:1-Sieg gegen Alemannia Aachen tatsächlich den Erstligaaufstieg...
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Ich kenne eigentlich nur eine Schwäche von Werner Altegoer. Und die gehört kurioserweise eigentlich zu seinen Stärken. Er konnte sich in der Öffentlichkeit nicht so darstellen, wie er eigentlich war. Man kannte ihn stets als knallharte Führungsfigur, emotional sonderbar beherrscht. Aber der Altegoer privat und der Altegoer in der Öffentlichkeit, das waren zwei ganz unterschiedliche Typen. Eigentlich war er nämlich sehr nah am Wasser gebaut. Aber in seiner Interpretation des starken Mannes an der Spitze ließ er solche menschlichen Regungen nicht zu. "Präses, weinen´se ruhig!", habe ich ihm immer gesagt.
Und er antwortete: "Herr Neururer, sie sind ja bekloppt."