Gelsenkirchen. Im großen Interview zum Derby zwischen Schalke und Dortmund spricht S04-Torwart Ralf Fährmann über Derby-Momente, Torhüter und sportliche Krisen.
Ein anstrengendes Training im strömenden Regen hat Ralf Fährmann hinter sich, als er sich zum Interview mit dieser Zeitung setzt. Der 34-Jährige genießt die Aufmerksamkeit, die er seit sechs Spieltagen bekommt. Mit dem FC Schalke 04 trifft er an diesem Samstag (18.30 Uhr/Sky) im 100. Bundesliga-Revierderby auf Borussia Dortmund – Fährmann wird sein zwölftes bestreiten. Sein erstes war ein ganz besonderes im Jahr 2008.
Herr Fährmann, bei Ihrem ersten Derby im September 2008, es ist ganz lange her, haben Sie mit Gerald Asamoah zusammengespielt, Jürgen Klopp war ganz frisch BVB-Trainer…
Ralf Fährmann: … ich würde jetzt nicht sagen, es ist ganz lange her, dann komme ich mir so alt vor. (lacht)
Können Sie sich denn daran noch erinnern?
Fährmann: Das Spiel, es ging 3:3 aus, werde ich nie vergessen. Wir haben 3:0 geführt, dann hat Dortmund ein klares Abseitstor geschossen und einen Handelfmeter bekommen, der keiner war. Zwei unserer Spieler sind vom Platz gestellt worden. In meinem ersten Derby habe ich bereits so viel mitgemacht wie andere in ihrer ganzen Karriere. (lacht)
Sie haben einige legendäre Derbys bestritten – nicht nur das 3:3, auch das 4:4 nach 0:4-Rückstand. Ein 0:0 haben Sie mal im Alleingang gerettet.
Fährmann: Es gab auch noch den Supercup-Sieg nach Elfmeterschießen…
Welches ist Ihr Lieblingsspiel?
Fährmann: (überlegt) Wenn ich ehrlich bin, gibt es da keins. Jedes Derby ist für sich emotional. Ich erinnere mich genauso an bittere Niederlagen.
Der BVB ist Schalke finanziell etwas enteilt.
Fährmann: Wenn du über eine längere Zeit oben stehst, so wie Dortmund, dann hast du es auch verdient. Im Fußball wird dir nichts geschenkt. Die Dortmunder haben gute Arbeit geleistet. Ich hoffe, dass wir schnellstmöglich auch nach oben zurückkehren. Aber schnellstmöglich wird auch noch ein paar Jahre dauern.
Der BVB kommt gerade aus einer Champions-League-Woche. Sie standen beim bis dato letzten Champions-League-Spiel von Schalke bei Manchester City 2018 im Tor. Tut es weh, dass das so lange zurückliegt?
Fährmann: Meinem Schalker Herz tut es sehr leid. Der Verein gehört perspektivisch wieder in die Champions League, und davon sind wir momentan weit entfernt. Nach 34 Spieltagen lügt die Tabelle nicht. Wenn du wie vor zwei Jahren absteigst, steigst du zurecht ab, weil du viele Fehler gemacht hast. Wir sind aber auch zurecht wieder aufgestiegen, und versuchen uns nun erst einmal, in der Liga zu halten.
Sie dürfen auf dem Platz dabei mithelfen, wonach es lange nicht aussah. In den vergangenen fünf Jahren wurden Sie immer wieder auf die Bank verbannt. Wie haben Sie sich motiviert gehalten?
Fährmann: Einfach war das nicht, gar keine Frage. Ich hatte auch Momente, in denen ich mich gefragt habe: Warum? Wieso? Weshalb? Aber es bedeutet mir wahnsinnig viel, für diesen Verein zu spielen. Ich habe mich nie hängen lassen, habe versucht, auch wenn es mir schwer gefallen ist, die Entscheidungen der Trainer und des Managements zu akzeptieren. Richtig motiviert haben mich die Erinnerungen an Momente wie zum Beispiel Siege vor der Nordkurve zu feiern – und gegen Stuttgart durfte ich es wieder erleben.
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Nun stehen Sie seit sechs Spielen wieder im Tor, fünf davon endeten ohne Gegentreffer. Was ist das Geheimnis?
Fährmann: Wir haben hart gearbeitet im Winter. Man sieht, dass wir alle zusammen verteidigen. Wir treten als Einheit auf, keiner ist sich zu schade, sich in den Ball zu schmeißen.
Thomas Reis hat im Winter-Trainingslager gesagt, die Torwart-Entscheidung stünde 51:49. Ganz ehrlich: Haben Sie ihm das geglaubt?
Fährmann: Der Trainer hat eine ehrliche, aufrichtige Art. Er erzählt nicht der Öffentlichkeit Variante A und uns B. Was ich gut fand: Er hat das Gespräch mit der ganzen Torwartgruppe gesucht. Oft ist es so, dass man es anders wahrnimmt, wenn man Sätze nur über Dritte hört. Ich habe weiter Gas gegeben und bin froh über die Chance.
Sie waren als einer der wenigen beim ersten Abstieg vor zwei Jahren schon dabei, standen auch dort im Tor. Was ist der größte Unterschied?
Fährmann: Es ist schwierig, beide Mannschaften zu vergleichen. Wir hatten ganz andere Spielertypen, ein ganz anderes Coaching. Wir hatten damals eine eher spielstarke Mannschaft, jetzt haben wir eine kämpferische Mannschaft. Ich finde, gerade jetzt merkt man außerdem, welche Wucht unsere Fans mit sich bringen. Die hatten wir wegen der Corona-Pandemie vor zwei Jahren nicht.
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Sie kennen die Schalke-Fans seit Ewigkeiten. Früher waren sie für ihre Ungeduld bekannt, heute nicht mehr. Haben die Fans eine Entwicklung durchgemacht?
Fährmann: (überlegt) Die Fans haben schnell begriffen, dass nicht nur wir Spieler, sondern der gesamte Verein Fehler gemacht hat und wir deshalb ganz klein wieder anfangen müssen.
Sie erleben gerade ein Karrierehoch – denken Sie auch an die Tiefpunkte zurück?
Fährmann: Ich hatte viele Rückschläge, zum Beispiel einige Verletzungen wie zwei Kreuzbandrisse. Während der Corona-Pandemie habe ich auch mal in Bergen allein trainiert, die Bälle lagen im Kofferraum meines Autos. Meine Karriere ging nicht immer stetig nach oben, aber das macht mich nahbar für die Menschen der Region, für unseren Verein. Wir Schalker stehen immer wieder auf, egal wie oft wir hinfallen. Und das versuche ich auch zu vermitteln. Im Fußball ist vieles austauschbar. Es gibt selten Spieler, die lange im Verein sind. Es wäre schön, wenn ich nicht nur irgendein Spieler X oder Y für die Schalke-Fans bin, sondern auch für etwas stehe.
Diese Menschen der Region erwähnen Sie oft. Auch wenn Sie nicht im Ruhrgebiet aufgewachsen sind, sondern in Chemnitz, wollen Sie hier auch nach der Karriere bleiben. Warum?
Fährmann: Das Ruhrgebiet ist zwar nicht unbedingt der attraktivste Ort in Deutschland. Aber er hat mich gepackt. Meine Frau ist in Recklinghausen geboren, in Herne aufgewachsen. Mein Freundeskreis kommt von hier, ich habe mehr Jahre hier verbracht als in meiner Geburtsstadt. Recklinghausen ist eine sehr schöne Stadt, meine Hunde fühlen sich wohl. Es gibt nichts, was mich dazu treibt, woanders hinzuziehen.
Sie sind schon 34 Jahre alt. Ärgert es Sie, wenn Sie als „Torwart alter Schule“ bezeichnet werden?
Fährmann: Nein. Für Reporter zum Beispiel ist es schwer, 22 Spieler plus Einwechselspieler jede Woche zu beurteilen und dann noch Entwicklungen bei allen zu sehen. Es ist nicht negativ gemeint, aber manchmal steckt man dann in gewissen Schubladen, so wie ich. Ich habe versucht, mich weiterzuentwickeln, mich zu verbessern. Ich denke, das ist mir gelungen. Für mich ist wichtig, wie ich mich selbst sehe, wie mich die Jungs in der Kabine sehen. Da bekomme ich dann positives Feedback.
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Wenn aber kein Reporter, sondern ein Experte wie Stefan Effenberg sagt, sie seien „kein guter Torwart“, interessiert Sie das nicht?
Fährmann: Nein, wirklich nicht. Manuel Neuer hat mal gesagt, dass es schwer ist, die Torhüterposition überhaupt zu beurteilen, wenn man nicht selbst Torwart war. Dem stimme ich zu.
Sie haben auf Schalke über die Jahre viele Torwartschulen kennengelernt, hatten deutsche, italienische, niederländische Torwarttrainer. Was konnten Sie da mitnehmen?
Fährmann: Einiges. Aber was ich am meisten gelernt habe: Die deutsche Torwartschule ist für mich die beste. Ich sehe Woche für Woche, auch in internationalen Ligen, welch hohes Niveau die deutsche Torwartschule hat.
Ist ihr aktueller Torwarttrainer Simon Henzler deshalb etwas Besonderes für Sie?
Fährmann: Simon und mir wird immer eine innige Beziehung unterstellt. Wir arbeiten lange zusammen, das stimmt. Aber wir gehen nicht ständig zusammen etwas essen oder trinken. Wir haben eine normale Torwarttrainer/Spieler-Beziehung. Ich glaube, dass Simon unter den Torwarttrainern in Deutschland ein hohes Ansehen genießt, absolute Fachkompetenz besitzt, sich für nichts zu schade ist und versucht, auf jeden Torhüter individuell einzugehen. Gerade bei erfahrenen Spielern ist es wichtig, nicht zu versuchen, Torhüter zu verbiegen. Es hat ja einen Grund, warum man schon so viele Spiele bestritten, so viel erreicht hat. Wenn man dann versucht, einen Torwart umzubiegen, passt das nicht. Deshalb muss man sich anpassen, einen gesunden Mittelweg finden. Die Kommunikation ist wichtig, und das kann Simon. Er versucht, jeden besser zu machen und nicht bloß seine eigene Meinung aufzudrücken.
Die Vertragssituation bringt es mit sich, dass – egal in welcher Liga Schalke spielt – wieder ein neuer Torhüter kommen wird. Bringt Sie das noch ins Zittern?
Fährmann: Ich bin mit der Zeit entspannt geworden. Ich hoffe immer auf eine faire Chance. Wenn ich die bekomme, ist die Chance groß, dass ich spiele.
Wie viele Derbys wollen Sie noch spielen?
Fährmann: Fußball macht mir so viel Spaß, es wäre ja blöd, wenn ich aufhören würde, obwohl mein Körper noch mitmacht. Deshalb werde ich wohl noch mit Krückstock im Tor stehen. Es können noch 20, 40, 50 Derbys kommen. (lacht)