Gelsenkirchen. Schalkes Ex-Profi Tim Hoogland ist Co-Trainer der U19. Im Interview spricht er über Schattenseiten des Profifußballs und veränderte Jugendzeiten.
„Mein Herz schlägt für Königsblau.“ Tim Hoogland lässt keine Zweifel daran, wem er im Derby zwischen dem VfL Bochum und dem FC Schalke 04 an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) die Daumen drückt. Vor dem Duell seiner beiden ehemaligen Klubs hat sich der 37-Jährige Zeit für ein Interview mit der WAZ genommen. Dabei spricht der heutige Co-Trainer von Schalkes U19-Junioren über die Schattenseiten des Profigeschäfts, veränderte Jugendzeiten, und er erklärt, warum sich junge Talente mehr an Spielern wie Thomas Müller orientieren sollten.
Herr Hoogland, sind die Spiele zwischen dem VfL Bochum und Schalke 04 richtige Derbys?
Tim Hoogland: Auf jeden Fall. Bochum gegen Schalke ist für mich ein richtiges Derby. Auch die Spiele von Schalke gegen Rot-Weiss Essen sind schon aufgrund der geografischen Nähe Derbys. Aber klar, man kann schon zwischen großen und kleinen Derbys unterscheiden.
Auch interessant
Als aktiver Profi haben Sie häufiger für Bochum als für Schalke gespielt. Warum schlägt Ihr Herz trotzdem für Königsblau?
Tim Hoogland ist inzwischen in seinem 14. Jahr auf Schalke
Beim VfL war ich vier Jahre Profi, auf Schalke sechs. Als 13-Jähriger bin ich damals aus Marl in die Knappenschmiede gewechselt und inzwischen in meinem 14. Jahr auf Schalke – das spricht für sich. Ich bin ein Schalker, obwohl ich auch beim VfL Bochum eine tolle Zeit hatte. Dort war ich verletzungsfrei und habe die meisten Spiele gemacht. Ich persönlich hatte dort die erfolgreichste Zeit, mein Herz schlägt jedoch für Königsblau.
Beim VfL Bochum haben Sie damals noch zusammen mit dem heutigen Kapitän Anthony Losilla gespielt. Er ist nur ein paar Monate jünger als Sie und spielt noch immer auf höchstem Niveau.
Toto ist ein herausragender Spieler. Auch im hohen Fußballeralter gehört er zu den laufstärksten Spielern der Liga. Ich habe mich bewusst für ein früheres Karriereende entschieden. Als ich 2020 aus Australien zurückgekommen bin, hatte ich zwar noch ein paar Anfragen, wollte aber lieber schon meine Trainerlaufbahn starten. Schalke hat mir da schnell die Türen geöffnet und mich bei der Trainerausbildung unterstützt.
Auch interessant
Anders als Anthony Losilla sind Sie nicht von schweren Verletzungen verschont geblieben.
2007 vom FSV Mainz 05 zum FC Schalke 04 zurückgekehrt
Leider. Nachdem ich 2007 aus Mainz zurück zu Schalke gewechselt bin, habe ich die vier schwersten Jahre meiner Karriere durchlebt. Ich war fast zwei Jahre durchgehend verletzt und habe auch die Schattenseiten des Fußballs kennengelernt.
Sie hatten einen Knorpelschaden im Knie.
Es gab Ärzte, die mich damals gefragt haben, was ich neben dem Fußball sonst noch so mache, ob ich eine Ausbildung gemacht hätte. Sie sagten mir, meine Fußballkarriere sei vorbei. Mit gerade einmal 24 Jahren.
Wie sind Sie mental damit umgegangen?
Das war extrem hart. So richtig abschütteln konnte ich die Angst um meine Karriere auch danach nicht mehr. Immer wenn es um Wechsel oder Vertragsverlängerungen ging, hatte ich die alte Verletzung im Kopf. Das hat mich gezeichnet und meinen Blick auf das Leben verändert. Letztlich bin ich aber sehr glücklich, dass es auch andere Ärzte gab, die mir Mut gemacht und mir geholfen haben, auf den Platz zurückzukehren. Nach 20 Monaten habe ich dann tatsächlich mein Comeback gefeiert. Beendet habe ich meine Karriere erst mit 35 Jahren, leider nicht auf dem Niveau, auf dem ich mich selbst gerne gesehen hätte. Aber ich kann mich wirklich nicht beklagen. Ich bin sehr dankbar für all das, was ich im Fußball erleben durfte.
Auch interessant
Auch beim FC Fulham in England und bei Melbourne Victory in Australien haben Sie Erfahrungen gesammelt.
Unfassbar schöne Stationen in England und Australien
Beide Stationen waren unfassbar schön. Mit meiner Familie all das aufzusaugen, in England und Australien zu leben, war genial. Unabhängig vom Fußball bin ich in dieser Zeit menschlich enorm gewachsen.
Inzwischen sind Sie Co-Trainer von Schalkes U 19. Wie oft werden Sie von Ihren Spielern auf Ihre Karriere angesprochen?
Ich glaube, viele von ihnen wissen gar nicht, wo ich überall gekickt habe (grinst). Auf Busfahrten oder auch nach dem Training unterhält man sich auch mal länger mit den Jungs. Wenn ich das Gefühl habe, ich kann ihnen mit meiner Erfahrung helfen, dann erzähle ich mal etwas. Trotzdem bin ich kein Typ, der sich mit Dingen aus der Vergangenheit schmückt.
Dabei hatten Sie tolle Momente. Im Champions-League-Viertelfinale haben Sie im Bernabéu ein Tor gegen Real Madrid geschossen. Das schaffen nicht viele.
Tim Hoogland trifft im Bernabéu für Schalke gegen Real Madrid
Ich habe leider nur zweimal in der Champions League gespielt, aber treffe im Bernabéu (lacht). Das war ein Moment fürs Leben. Wenn wir jetzt darüber sprechen, sind die Szenen direkt wieder präsent. Das war ein tolles Erlebnis, ein persönliches Highlight meiner Karriere. Obwohl wir in Madrid nach der 1:6-Niederlage im Hinspiel ausgeschieden sind.
Sie haben damals gegen Cristiano Ronaldo und Gareth Bale gespielt. Das sind genau die Spieler, die Ihre Jungs aus der U 19 bewundern.
Natürlich fragen die Jungs mal nach, wie es sich anfühlt, gegen diese Stars in Zweikämpfe zu gehen. Das ist auch gut so. Wir wollen, dass die Jungs sich nicht nur auf dem Platz entwickeln, sondern sich auch daneben weiterbilden und sich die Top-Spieler auf ihrer Position anschauen. Aber ich bin der Meinung, die Jungs sollten sich auch Spielertypen wie Thomas Müller zum Vorbild nehmen.
Auch interessant
Warum?
Weil Thomas Müller ein genialer Mannschaftsspieler ist, bei dem der Sport im Mittelpunkt steht. Es gibt internationale Stars, die in den sozialen Medien für ihre 400 Übersteiger pro Spiel abgefeiert werden, obwohl viel brotlose Kunst dabei ist. Am wichtigsten muss aber immer sein, dass die Aktionen gewinnbringend für die Mannschaft sind. Unzählige Übersteiger bringen da nicht ganz so viel.
Tim Hoogland: „Die meisten Jungs merken aber, was wichtig für sie ist und was nicht“
Gerade über die sozialen Medien prasselt auf talentierte Jugendspieler extrem viel ein. Wie schwer ist es für Teenager, nicht den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren?
Die Jungs werden mit den sozialen Medien groß, und all diese Eindrücke richtig einzuordnen, ist schwer. Wir als Verein versuchen bei diesen Themen zu unterstützen und so gut es geht zu sensibilisieren. Norbert Elgert sagt immer wieder: „Wir können die Jungs in den Türrahmen stellen, aber durchgehen müssen sie dann allein.“
Viele Spieler haben inzwischen schon in der Jugend einen Berater. Wann hatten Sie Ihren ersten Berater?
Als ich aus der U 19 zu den Profis gekommen bin, hat es angefangen. Da wurde ich vereinzelt von Beratern angerufen oder wurde nach dem Training angesprochen. Zu meiner Zeit gab es für den Spieler in erster Linie den Trainer, der dir gesagt hat, was du verbessern musst. Inzwischen kommen Berater, ganze Berateragenturen und auch Personaltrainer dazu, die den Jungs alle etwas mitgeben wollen. Teilweise scheint das in meinen Augen kontraproduktiv zu sein. Die meisten Jungs merken aber, was wichtig für sie ist und was nicht. Trotzdem gibt es Momente, da wirken manche Spieler wie ferngesteuert, weil im Hintergrund zu viele Leute mitreden.
Auch interessant
Auch aktuell gibt es wieder einige vielversprechende Talente in der Knappenschmiede. Wann bekommen die Fans das nächste Eigengewächs im Profikader zu sehen?
Tim Hoogland: „Der Profifußball ist ein Haifischbecken“
Jeder Fan würde wahrscheinlich gern den 17-jährigen Superstar sehen, der schon im Profikader steht, das ist klar. Aber die Nachhaltigkeit wird vergessen. Durch die Schnelllebigkeit und die astronomischen Summen, die für junge Spieler bezahlt werden, ist das ein bisschen verloren gegangen. Wir haben ganz viele hoch spannende Spieler in der Knappenschmiede, doch wir müssen abwarten, was mit ihnen in zwei, drei Jahren passiert. Wir haben nichts davon, wenn wir unsere Top-Talente jetzt in den Profibereich ziehen, wenn sie es dort möglicherweise nicht schaffen, weil sie im physischen Bereich noch nicht so weit sind.
Wo sehen Sie da Risiken?
Wenn man es dann doch nicht so schnell nach oben schafft, kann das mental sehr belastend sein. Der Profifußball ist ein Haifischbecken. Wenn ein 18-Jähriger einem 28-Jährigen einen Platz im Kader streitig machen will, wird keine Rücksicht auf das Alter genommen. Für die Jungs ist das nicht leicht, man muss ihnen Zeit geben.
Welchen Anteil hat Norbert Elgert am Erfolg der Knappenschmiede?
Norbert Elgert ist mehr als ein Fußballtrainer, das bewundere ich an ihm. Er lebt vor, dass wir die Jungs nicht nur für den Fußball, sondern für das ganze Leben ausbilden. Es ist wichtig, dass die Spieler lernen, dass sie im Training an Grenzen kommen und mit viel Übung merken, dass sie diese Grenzen verschieben können. Sein methodisches Wissen geht da ins Unermessliche. Er schafft es außergewöhnlich gut, den Talenten das nötige Rüstzeug für den Profibereich mitzugeben.
Vor 20 Jahren haben Sie selbst noch unter Norbert Elgert in der U 19 gespielt. Inwiefern hat er sich in dieser Zeit verändert?
Schalke-Trainer Norbert Elgert war vor 20 Jahren noch ein wenig strenger
Er ist sich in vielen Dingen treu geblieben. Schon immer hat Norbert Elgert in jeder einzelnen Trainingseinheit 100 Prozent von seinen Spielern verlangt, 95 Prozent reichen bei ihm nicht. Wenn ich aber den Vergleich ziehe, kann ich sagen, dass er vor 20 Jahren noch ein wenig strenger war (lacht).
Auch interessant
Wie planen Sie Ihre weitere Trainerkarriere?
In meiner aktuellen Rolle bin ich sehr glücklich. Ich plane von Jahr zu Jahr und habe das Ziel, immer besser zu werden. Von Onur Cinel und Norbert Elgert habe ich in meinen ersten eineinhalb Jahren schon extrem viel gelernt. Anfangs war ich noch ein bisschen grün hinter den Ohren. Als Profi hört man auf und denkt: Trainer? Das mach‘ ich mit links. Aber so ist es nicht. Zum Trainerjob gehören unglaublich viel Planung und Akribie. Ich habe jetzt die A-Lizenz und möchte auch bald die Pro-Lizenz machen, um mich dann irgendwann auch mal als Cheftrainer auszuprobieren – das steht schon fest.
Zum Abschluss können Sie noch mit einem Mythos aufräumen: Stimmt es, dass Sie nach dem Spiel bei Real Madrid Ihr Trikot mit Cristiano Ronaldo getauscht haben, das Trikot aber nie aufgehängt haben?
Das Trikot ist eingerahmt, aber es hängt tatsächlich nicht an der Wand (lacht). Ich wohne schließlich nicht allein, sondern mit meiner Frau und meinem Sohn zusammen. Generell war ich nie jemand, der viele Trikots getauscht hat. Neben Ronaldos besitze ich nur welche von Hamit Altintop und Martin Harnik, weil ich mit beiden zusammengespielt habe.