Gelsenkirchen. Teil eins des WAZ-Interviews mit Onur Cinel, dem 37-jährigen Trainer der königsblauen U-17-Fußballer. Zwischen dem FC Schalke 04 und Österreich.

Die U-17-Fußballer des FC Schalke 04 stehen zur Winterpause der B-Junioren-Bundesliga an der Spitze der Staffel West – wie in der vergangenen Saison, die mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft endete. Der Coach von damals ist auch der Coach von heute: Onur Cinel. Wir haben mit dem 37-jährigen Fußball-Lehrer gesprochen, der vom 2. Oktober 2020 bis zum 2. März 2021 auch schon als Co-Trainer des königsblauen Bundesliga-Teams gearbeitet hat.

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Bevor wir auf Schalke blicken: Sie gehören seit Ende Mai bei der Nationalmannschaft Österreichs als Co-Trainer zum Stab von Ralf Rangnick. Beschreiben Sie das mal!

Onur Cinel: Das ist für mich eine sehr privilegierte Situation. Es ist immer etwas ganz Besonderes, für eine Nationalmannschaft zu arbeiten, schließlich vertritt man ein ganzes Land. Ich habe das Glück, dort mit Ralf Rangnick zusammenzuarbeiten, der nicht nur ein super Trainer, sondern auch ein super Mensch ist. Er ist eine der erfolgreichsten und wahrscheinlich auch imposantesten Personen im deutschen Fußball. Man sieht, welche Bundesliga-Trainer durch seine Hände gegangen sind und wie viele sich von ihm haben inspirieren lassen. Darüber hinaus haben wir aber insgesamt ein fachlich und zwischenmenschlich tolles Trainer-Team. Zugleich darf ich hier auf Schalke eng mit dem besten Nachwuchstrainer Deutschlands, vielleicht sogar Europas, zusammenarbeiten, mit Norbert Elgert. Das ist ein weiterer, großartiger Teil meiner Arbeit.

Zusammenarbeit mit David Alaba, Marcel Sabitzer, Xaver Schlager und Conny Laimer

Es macht Ihnen sehr, sehr viel Spaß!

Definitiv! Es ist eine super Balance zwischen absoluten Top-Spielern – Champions-League-Sieger David Alaba von Real Madrid, Marcel Sabitzer vom FC Bayern München, Xaver Schlager und Conny Laimer von RB Leipzig, um nur einige zu nennen – und einer tollen Nachwuchsmannschaft, die ich auf Schalke trainieren darf.

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Wie zeitintensiv ist Ihr Job beim Österreichischen Fußball-Bund?

Das ist alles in der Balance, weil wir zusammen mit Lars Kornetka und Peter Perchtold drei Co-Trainer sind. Bei den Besprechungen, den Video-Calls und den Lehrgängen bin ich sowieso dabei, aber zwischendurch fangen die beiden, gemeinsam mit Ralf Rangnick, schon viel auf. Die Zeit vor Ort ist immer sehr intensiv, aber es fühlt sich gar nicht so an, weil es viel Spaß macht. Ich empfinde das gar nicht als zusätzliche Arbeit, sondern als zusätzliche Fortbildung und Erfahrung.

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Nun aber auf Schalke: Es ist sieben Monate her, dass Sie im Parkstadion mit Ihrer U 17 durch den Finalsieg nach Elfmeterschießen gegen den VfB Stuttgart Deutscher Meister geworden sind. Wie fühlt sich das heute an?

Es fühlt sich nach wie vor sehr besonders an. Ich dachte zunächst, der Moment des Titelgewinns wäre schon der schönste. Das Schöne am Mannschaftssport ist aber, dass wir diesen Titel gemeinsam gewonnen haben. Ich sehe tagtäglich Personen aus meinem Trainerteam und auch Spieler, die jetzt zum Teil in der U 19 sind. Wir gucken uns manchmal nur in die Augen, und in unseren Köpfen lautet die Begrüßung: „Hallo, Deutscher Meister!“ Dass uns dieses besondere Erlebnis für immer verbindet, ist das Schönste an diesem Titel. Das habe ich aber auch erst vor kurzem richtig wahrgenommen.

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Onur Cinel: „Wir haben uns in den vergangenen Monaten entwickelt, sehr sogar!“

Kommen wir in die Gegenwart: Sie hatten vor der Saison große Bedenken und Ihrer neuen Mannschaft sogar die Wettbewerbsfähigkeit abgesprochen. Nun steuert Ihre U 17 aber dennoch Kurs Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft. Durch den Sieg im Nachholspiel gegen den SC Fortuna Köln sind Sie wieder Tabellenführer der Bundesliga-Staffel West und haben drei Spieltage vor Saisonende acht Punkte Vorsprung auf den Tabellendritten Borussia Dortmund, also einen Nicht-Halbfinale-Platz. Was ist in den vergangenen fünf Monaten passiert?

Wir haben uns in den vergangenen Monaten entwickelt, sehr sogar! Individuell, aber auch als Mannschaft. Ich sehe da aber noch Luft nach oben. In der Liga haben wir drei, vier Mannschaften, die aus meiner Sicht individuell besser besetzt sind als wir. Wir sind bisher in allen Begegnungen, krankheits- oder verletzungsbedingt, ohne Linksfuß angetreten. Hin und wieder müssen Spieler deshalb auf Positionen auflaufen, auf denen sie sich nicht unbedingt zu Hause fühlen.

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Zum Beispiel?

Taylan Bulut hat in der Innenverteidigung gespielt, Takang Anubodem als Linksverteidiger. Kayhan Sayman lief rechts vorne auf statt hinten, wo er bisher immer gespielt hatte. Wir haben für diese Situationen Lösungen gefunden und gehen damit gut um. Mein Blick richtet sich nicht auf die Tabelle. Meine Motivation ist, und das habe ich von Anfang an gesagt, die Mannschaft zu entwickeln. Da sind wir auf einem herausragenden Weg. Wir fangen viel über taktische Disziplin, unsere Struktur, unsere Leidenschaft und unsere Mentalität auf.

Schalkes U-17-Team hat in zwölf Spielen nur zwei Gegentore kassiert

Noch einmal: Sie waren sehr skeptisch, haben gesagt, Ihr Team spiele in dieser Saison nur eine Außenseiter-Rolle. Hat Sie diese positive Entwicklung sehr überrascht?

Ich glaube fest daran, dass sich Spieler stark und schnell entwickeln können. Meine Überzeugung ist, dass der Mensch manchmal gar nicht weiß, was er alles leisten kann. Wir haben mittlerweile ein anderes Level erreicht. Diese Entwicklung begeistert mich. Dazu gehört allerdings auch sehr viel intelligente und intensive Trainerarbeit – und die mache ich nicht allein. Da muss man mein komplettes Trainer- und Funktionsteam loben. Ansonsten wären diese Entwicklung und diese Ergebnisse gar nicht möglich gewesen.

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Auffällig ist vor allem eine Zahl: Ihre Mannschaft hat in zwölf Spielen lediglich zwei Gegentore kassiert, macht knapp 0,17 im Schnitt. Das ist überragend! Ist es der Schlüssel zum Erfolg?

Wir hatten schon in der vergangenen Saison die beste Defensive Deutschlands mit den wenigsten Gegentoren. Schön, dass wir das auch diese Saison so eindrucksvoll bestätigen können. Ein Riesenkompliment geht dafür an die Jungs. Die Defensivarbeit ist die Phase im Spiel, die man am ehesten noch mit sehr, sehr intensivem Training kontrollieren kann. Zwei Gegentore in zwölf Spielen sind sehr beeindruckend. Gerade auch auf dem Niveau in der U 17, das sind ja immer noch Jugendliche. Das eine ist immer das Taktische, das andere aber auch die Lust am Verteidigen und diese Spielphase als Chance zu sehen – auch wenn wir den Ball gerade nicht haben, denke ich schon an den Konter und das Tor, das wir nach dem Ballgewinn schießen können.