Gelsenkirchen. Schalker bei der WM: Im eigenen Land 1974 gehörten Norbert Nigbur und Helmut Kremers zum Aufgebot Deutschlands – Erwin Kremers war nicht dabei.
In der 60. Minute des WM-Endspiels gegen Holland (2:1) schien Norbert Nigburs Sternstunde gekommen. „Sepp Maier war nach einem Zusammenprall angeschlagen liegen geblieben“, erinnert sich Deutschlands damaliger Torwart Nummer zwei vom FC Schalke 04. „Ich sprang von der Ersatzbank auf, da kam auch schon unser Co-Trainer Jupp Derwall angelaufen und gab mir ein Zeichen.“ Norbert Nigbur sollte ein paar Aufwärmübungen machen, für alle Fälle. „Doch die Aufregung legte sich rasch wieder“, erzählt der heute 74-Jährige. „Der Sepp, mit dem ich mir bei der WM 1974 ein Zimmer teilte, konnte zum Glück weitermachen.“
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„Zum Glück“ – das sagt Norbert Nigbur nicht, weil er einen Einsatz auf der Weltbühne gescheut hätte. Ganz im Gegenteil. „Ich hielt mich im Training topfit und war zu jeder Sekunde bereit“, verrät der Ur-Gelsenkirchener. „Aber Fußball ist ein Teamsport, da wünschst du deinem Mitspieler keine Verletzung.“ Und so wurde Norbert Nigbur Weltmeister, ohne dass er je ein einziges WM-Spiel bestritten hätte. Ob er sich als echter Titelträger fühlt? „Wie gesagt: Fußball ist ein Teamsport. Wir alle haben damals zum Erfolg beigetragen, wir alle sind Weltmeister geworden.“
Schalkes Helmut Kremers erzählt vom leckeren Essen im VIP-Raum
Das gilt auch für Norbert Nigburs damaligen Klubkameraden Helmut Kremers, obwohl der bei der WM 1974 kein einziges Mal mal im 16-köpfigen Spieltags-Kader der DFB-Auswahl stand. Mehr als fünf Ersatzspieler durften damals noch nicht auf der Bank Platz nehmen. „Der Helmut saß während der Spiele immer oben auf der Tribüne“, schmunzelt Norbert Nigbur. „Anschließend erzählte er mir, wie gut das Essen im VIP-Raum war.“
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Ganz schuldlos war Helmut Kremers nicht an diesem Schicksal. „Helmut war während der Vorbereitung in Malente mal spätabends ausgebüxt“, verrät Norbert Nigbur. Weil es damals Warnungen vor möglichen Anschlagsplänen gegen das DFB-Team gab, war das Quartier nachts fest verrammelt. „Wenn also einer nach dem Zapfenstreich zurückkam, musste er sich unters Fenster stellen und ein Codewort rufen, damit die anderen ihn reinließen.“ Helmut Kremers hatte vielleicht etwas zu laut gerufen. „Er wurde von Jupp Derwall erwischt“, erinnert sich Norbert Nigbur. „Das war sicher nicht hilfreich für seine sportlichen Ambitionen.“
Johan Cruyff ist vom deutschen Torhüter-Trio begeistert
Noch härter hatte es Kremers’ Zwillingsbruder Erwin getroffen. Der sah am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison 1973/74 in Kaiserslautern die Rote Karte – wegen Schiedsrichter-Beleidigung. Gemäß damaliger Gepflogenheit war der Linksaußen damit auch fürs Nationalteam gesperrt. Dabei hatte der Unparteiische dem Übeltäter noch eine letzte Chance gewährt: „Was haben Sie gerade zu mir gesagt?“, fragte er bei Erwin Kremers nach. Der wiederholte das Schimpfwort.
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Und so war Norbert Nigbur von allen Schalkern am nächsten dran am WM-Triumph im eigenen Land: erste Reihe, maximale Beinfreiheit. „Nur einmal saß ich nicht auf der Ersatzbank, das war in der Vorrunde gegen Australien.“ Bundestrainer Helmut Schön fand, dass Deutschlands dritter Torwart Wolfgang Kleff auch mal zum Zug kommen sollte. „Die Konkurrenz auf der Torhüterposition war damals viel größer als heute“, betont Norbert Nigbur. „Johan Cruyff hat später mal zu mir gesagt: ,Es war unfassbar, was für gute Keeper ihr 1974 hattet. Jeder von euch dreien wäre in jedem anderen Land die Nummer eins gewesen.’“
Paul Breitner und Gerd Müller treffen im Finale für Deutschland
Doch an Sepp Maier gab es kein Vorbei für „NN“. „Damals spielte ein großer Bayern-Block im Nationalteam“, gibt Norbert Nigbur zu bedenken. „Das war kein Nachteil für den Sepp.“ Und doch hatte Sepp Maier ein Manko: Er war kein Elfmeter-Killer, ganz im Gegensatz zu Norbert Nigbur, der in seiner Profikarriere fast jeden dritten Strafstoß parierte und deshalb auf einen Final-Einsatz bei der WM hoffen durfte. „Im Trainerstab und bei Franz Beckenbauer, der viel Einfluss hatte“, sagt er, „gab es gewisse Gedankenspiele, mich einzuwechseln, wenn’s in Richtung Elferschießen gehen sollte.“
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Aber dazu kam es nicht. Deutschland gewann in der regulären Spielzeit hauchdünn mit 2:1 durch Tore von Paul Breitner (Elfmeter) und Gerd Müller. Das frühe 1:0 für die Holländer hatte Johan Neeskens erzielt – per Strafstoß.