Essen. Gerd Müller hat als Stürmer und Persönlichkeit den FC Bayern und die Nationalmannschaft geprägt. Nun ist er mit 75 Jahren gestorben.
Gerd Müller ist tot. Er starb am Sonntagmorgen in einem Pflegeheim in Oberbayern im Alter von 75 Jahren. Man hört die Nachricht, der Puls beschleunigt sich – und man hält inne vor Sprachlosigkeit.
Kurz darauf wird das Hirn geflutet von Bildern, das Kopf-Kino hat geöffnet, hereinspaziert.
Natürlich und zu allererst das WM-Finale 1974 in München, diese 43. Minute, das vielleicht typischste aller Müller-Tore: Die Chance war eigentlich vertan, da macht „kleines dickes Müller“ den Schritt zurück, dreht sich blitzschnell – und Deutschland ist Weltmeister, das zweite Mal nach langen 20 Jahren.
Tschik Cajkovski nannte den Torjäger "kleines dickes Müller"
Oder vier Jahre zuvor: WM-Halbfinale in Mexiko, gegen Italien, in der Verlängerung, als Müller zwischen Torhüter Albertosi und Abwehrspieler Poletti irgendwie ans Leder kam und es über die Linie kullern ließ. Das Bild des krabbelnden Torhüters und seine Verzweiflung – unvergessen.
Auch interessant
Es gab viele Müllers in der langen Geschichte der Fußball-Bundesliga, aber wenn es „müllerte“, dann war nur einer gemeint. „Kleines dickes Müller“ – wie ihn Trainerlegende Zlatko „Tschik“ Cajkovski radebrechend einst bei den Bayern genannt hatte. Der Junge aus Nördlingen, der in seiner Jugend einmal 180 Tore in einer Saison erzielt haben soll, er traf in allen Lagen und mit allen Körperteilen: Im Sitzen, im Liegen, im Fallen, bei Eis und Schnee, im tiefsten Morast und Schlamm (das legendäre Polen-Spiel 1974, noch so ein Klassiker). Ausgestattet mit Oberschenkeln, die in keine eleganten Anzugbeine passten. Mit ihnen setzte er physikalische Gesetzmäßigkeiten in der Bewegung eines Menschen außer Kraft.
Gerd Müller: 68 Tore in 62 Länderspielen
Als bekennender Bayernfan im Revier hatte man es in den Sechziger und Siebzigern nicht leicht, so zwischen allen Schalker, Dortmunder und Duisburger Farben. Die Frage „Wie konnte das passieren?“ beantwortete man, wenn man langen Diskussionen aus dem Weg gehen wollte, einfach mit: „Gerd Müller“.
Er war der größte gemeinsame Nenner unter den Fußballfans. Er gehörte zu den „jungen Wilden“ damals, Ende der Sechziger, bei den Münchener Bayern, die gerade erst in die Bundesliga aufgestiegen waren. Mit Breitner, Hoeneß, Zobel, Beckenbauer, Bulle Roth, Johnny Hansen – und wie sie alle hießen. Es war die Zeit, als Fußballübertragungen im Fernsehen noch Seltenheitswert besaßen und man sich nur zwischen Adidas und Puma entscheiden musste, in schwarz, mit weißen Streifen – was denn sonst?
Hier alle Zahlen und Titel aufzuführen, würde schnell langweilen. Na klar, Weltmeister, Europameister, Europas Fußballer des Jahres 1970, dreimaliger Europacupsieger der Landesmeister – und das hinter- einander (74 bis 76) sowie Europapokalsieger der Pokalsieger. Wer in der Statistik jetzt über 68 Tore in der Nationalmannschaft stolpert in nur 62 Länderspielen, dem sei gesagt: Länderspiele waren damals noch Festtage, keine Dutzendware.
Auch interessant
Franz Beckenbauer, den alle mit dem Weltruhm der Münchener Bayern als erstes in Verbindung bringen, hat einmal gesagt: „Ohne den Gerd gäbe es den FC Bayern in der heutigen Verfassung nicht, ihm haben wir alles zu verdanken.“ Klar, denn am Ende zählten doch nur die Tore, das war auch damals schon so: 365 Stück in 427 Ligapartien – Zahlen für die Ewigkeit.
Mit dem WM-Titel 1974 im eigenen Land beendete Gerd Müller seine internationale Karriere, das war so ziemlich seine letzte kluge Entscheidung in der Laufbahn.
Das Ende seiner Bundesliga-Laufbahn geriet eher beschämend. Die rasante Entwicklung im Fußball ließ keinen Platz mehr für den 1,74 Meter kleinen, pummeligen Strafraumstürmer, fürs Konterspiel auswärts war er von seiner Physiognomie völlig ungeeignet. Als es Bayerntrainer Pal Csernai am 3. Februar 1979 in Frankfurt wagte, ihn das erste Mal in seiner Karriere ohne Verletzung auszuwechseln, war das Ende eingeleitet. Tief gekränkt verließ er die Bayern und unterschrieb einen lukrativen Vertrag bei den Fort Lauderdale Strikers.
FC Bayern fing ihn in einer Krise auf
Was dann in Florida folgte, als Spieler, Steakhouse-Besitzer, Gelangweilter, Alkoholiker – Schwamm drüber. Auch seine Karriere als Trainer, zurück in Deutschland, war nicht von Belang, die FC-Bayern-Familie fing ihn auf und gab ihm den Job als Co-Trainer der zweiten Mannschaft, unter Chefcoach Hermann Gerland. Und da kommt die nächste schöne Anekdote: Eines Tages kam Müller drucksend ins Büro seines „Chefs“ und fragte ihn, ob er heute Nachmittag wegen eines wichtigen Termins mal früher weg gehen könnte vom Training.
Gerland fiel bei dieser Frage fast vom Stuhl und erklärte ihm: „Gerd, du kannst hier machen, was du willst, du bist hier eine Legende!“ Das zeichnete den Schussgewaltigen, der eher wortkarg und rhetorisch ungelenk daher kam, wohl immer am meisten aus: Gerd Müller wusste nie, was Gerd Müller der Fußballwelt bedeutete.
2015 wurde seine Alzheimer-Erkrankung öffentlich. Ehefrau Uschi, bis zuletzt treu an seiner Seite, berichtete vor einiger Zeit in einer seltenen Stellungnahme: „Der Gerd geht seinem Ende entgegen.“ Man hörte die Nachricht, und wollte sie nicht wahrhaben, der Bomber doch nicht…
Nun ist es passiert. Und wenn es demnächst am Himmel donnert, dann weiß man: „Da macht es bumm, da fällt ein Tor.“
Und wer hat’s gemacht?