Gelsenkirchen. Der 28-jährige Martin Fraisl beschritt einen extrem steinigen Pfad, um Schalkes neue Nummer eins zu werden. Zwei Wegbegleiter erinnern sich.

Szenen wie diese können über Torhüter-Karrieren entscheiden. Die elfte Minute im Rostocker Ostsee-Stadion: Hansas Nik Omladic taucht plötzlich frei vor dem Kasten auf, doch Martin Fraisl, Schalkes neue Nummer eins, macht sich ganz groß und pariert. Der anschließende Nachschuss von John Verhoek verunglückt völlig. Martin Fraisl, der erst Mitte vergangener Woche von seiner Beförderung erfahren hatte, machte in Rostock ein sehr solides Spiel – auf der Linie, mit dem Ball am Fuß, im Eins-gegen-eins und in der Luft. Umso erstaunlicher, dass der 28-jährige Österreicher jahrelang unter dem Radar europäischer Profiligen flog…

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Schalke-Legende Gerhard Kleppinger (von 1984 bis 1987 beim S04) kennt Martin Fraisl wie kaum ein anderer im deutschen Profi-Fußball: „Kleppo“ war Co-Trainer beim SV Sandhausen, als der damals 26-Jährige im Sommer 2019 dort anheuerte. „Martin ist ein mutiger Torwart, der nicht auf der Linie klebt und perfekt im Eins-gegen-eins ist“, lobt Gerhard Kleppinger, der vor zwei Wochen von Alois Schwartz als Cheftrainer beim SVS abgelöst wurde: „Als Martin im Sommer zu S04 ging, hab ich mich als alter Schalker sehr gefreut, denn ich habe immer viel von ihm gehalten. Mir war gleich klar: Er wird Ralf Fährmann und Michael Langer, den ich ebenfalls aus Sandhausen kenne, mächtig Konkurrenz machen. Martin ist vom Typ her eine klassische Nummer eins. Wenn er nicht spielt, versucht er, die bisherige Nummer eins mit Leistung zu verdrängen – so soll es ja auch sein im Leistungssport.“

Als A-Jugendlicher spielte Martin Fraisl für den USC Seitenstetten

Martin Fraisl musste früh lernen zu kämpfen. Als A-Jugendlicher spielte er für den USC Seitenstetten, das ist österreichische Fußball-Provinz pur. Mit 18 schaffte der 1,88-Meter-Mann den Sprung in die erste Mannschaft des Fünftligisten. Von den Junioren-Auswahlteams seines Heimatlandes aber war er so weit entfernt wie Wien vom Mond.

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Doch Martin Fraisl war schon damals extrem ehrgeizig und steigerte sich Jahr für Jahr: In der folgenden Saison spielte er bereits in der 4. Liga, beim SV Sierning. Im Jahr darauf schaffte er den Sprung in die 3. österreichische Liga. Beim Wiener Sportklub, dem FC St. Pauli der Alpenrepublik, trainierte das athletische Torwarttalent erstmals unter halbwegs professionellen Bedingungen und machte mit beherzten Leistungen von sich reden.

Gemeinsam mit Alexander Schlager beim Floridsdorfer AC

Sein erstes Spiel im bezahlten Fußball absolvierte Martin Fraisl mit 22, im Tor des Zweitligisten SC Wiener Neustadt. Doch bis zu seinem endgültigen Durchbruch sollte es noch fast zwei Jahre dauern: Martin Fraisl landete beim Liga-Rivalen Floridsdorfer AC, wo er mit dem späteren Nationalkeeper Alexander Schlager (sechs A-Länderspiele für Österreich) einen starken internen Widersacher vorfand.

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„Martin Fraisl ist eine absolute Mentalitäts-Maschine“, erinnert sich Alexander Schlager an den damaligen Konkurrenzkampf. „Martin trainierte schon immer sehr viel und sehr hart. Er ist nicht der Typ, der sich mit irgendwas zufrieden gibt – und das sagt er auch, sehr direkt sogar. Auf diese Weise hat er mir damals in Floridsdorf ständig Druck gemacht, aber das lief immer alles sehr fair ab.“

Vertrag für Martin Fraisl am Rand der Ostkarpaten

2017 wechselte Alexander Schlager zum Linzer ASK in die 1. Liga, und Martin Fraisl startete richtig durch: In der Saison 2017/18 absolvierte er 34 von 36 Zweitliga-Spielen und trug entscheidend zum Klassenerhalt des Floridsdorfer AC bei: Am drittletzten Spieltag erzielte Martin Fraisl sogar ein spektakuläres Kopfballtor zum wichtigen 3:3-Endstand in Kapfenberg. Anschließend zog der ehrgeizige Keeper weiter. Die 2. österreichische Liga, in der kaum ein Spieler mehr als 60.000 Euro pro Jahr verdient, war ihm längst zu klein geworden.

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Im Sommer 2018 war Martin Fraisl 25 Jahre alt – und hatte endlich einen Vertrag in einer erstklassigen Liga. Sein neuer Arbeitgeber: der FC Botosani, ein rumänischer Provinzverein vom Rand der Ostkarpaten. Martin Fraisl hatte sofort zugesagt. Doch auch in Rumänien musste der Abenteurer lange um einen Stammplatz kämpfen. Erst in der Abstiegsrunde am Saisonende war Martin Fraisl die uneingeschränkte Nummer eins. Die letzten sechs Spiele gewann der FC Botosani allesamt zu null. Diese Leistung beeindruckte auch Daniel Ischdonat. Der Torwarttrainer des SV Sandhausen signalisierte „Daumen hoch“, als der Zweitligist im Sommer 2019 die Chance bekam, Martin Fraisl ablösefrei zu verpflichten.

Gerhard Kleppinger lobt Daniel Ischdonat

„Daniel Ischdonat ist bekannt für seinen guten Riecher bei Torhütern“, lobt Gerhard Kleppinger. „Auch in diesem Fall lag er goldrichtig.“ Eineinhalb Jahre lang war Martin Fraisl die uneingeschränkte Nummer eins in Sandhausen. Dann, im Dezember 2020 (nach einem 0:3 gegen Fürth), musste er seinen Platz plötzlich räumen. Eine Woche darauf wurde der Österreicher sogar suspendiert – wegen eines Kabinenvorfalls, allerdings ohne körperliche Auseinandersetzung, wie es damals hieß. „Die Grenzen des Respekts wurden leider überschritten“, zitierte der SVS Klubpräsident Jürgen Machmeier. „Fakt ist, dass Martin nicht mehr für den SV Sandhausen spielen wird.“

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Gerhard Kleppinger will den damaligen Vorfall nicht mehr kommentieren. „Ich war mir aber relativ sicher, dass Martin Fraisl nach seinem Abschied wieder einen guten Verein finden würde“, betont er. Und so kam es auch: Zur Rückrunde der vergangenen Saison heuerte der Weltenbummler bei ADO Den Haag in der niederländischen Ere­divisie an, wo er trotz guter Leistungen den Abstieg nicht mehr verhindern konnte. Dann folgte das Angebot aus Schalke. Laut Gerhard Kleppinger hat Königsblau mit Martin Fraisl einen richtig guten Fang gemacht: „Der Junge ist ein toller Torwart und ein positiv Verrückter, der immer gewinnen will.“