Gelsenkirchen. Hans Sarpei hat für Schalke 04 und Leverkusen gespielt, am Sonntag treffen die Klubs aufeinander. Im Interview spricht der Ex-Profi Klartext.
Eigentlich müsste Hans Sarpei viel mehr mit Bayer Leverkusen als mit Schalke 04 verbinden. Bei Bayer absolvierte er erst eine Lehre zum Anlagenmechaniker und spielte dann von 2007 bis 2010 55-mal für die Profimannschaft, viel Kontakt besteht nicht mehr. "Mein Neffe", sagt er im Interview mit dieser Zeitung, "spielt in der U19. Deshalb beobachte ich diese Mannschaft." Sarpei hat sein Herz an die Königsblauen verloren - er kam zwar nur 17-mal für Schalke zum Einsatz, aber unter anderem im DFB-Pokalfinale 2011. Der 44-Jährige verfolgt Schalkes Weg interessiert, will sogar mitarbeiten. Vor dem Duell zwischen Schalke und Leverkusen (Sonntag, 18 Uhr/Sky) haben wir mit ihm gesprochen.
Am 27. Juni haben Sie bei Instagram geschrieben: „Denk ich an Schalke in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“ Fünf Monate später hat Schalke immer noch kein Spiel gewonnen... Wie ist das jetzt?
Hans Sarpei: (lacht) Damals sah es schon nicht so rosig aus. Jetzt hat sich das aber weiter verschlechtert. Jeder, der Schalke-Fan ist, der oft an Schalke denkt, hat schlaflose Nächte und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Stand jetzt fehlt mir die Perspektive, wie es fußballerisch und im ganzen Verein weitergehen soll.
Hans Sarpei über Schalke: Die Mannschaft ist nicht auf der Höhe
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Schalke trifft nun auf Ihren Ex-Klub Bayer Leverkusen, hat aber seit 25 Spielen nicht gewonnen. Hatten Sie in Ihrer Karriere mal eine ähnliche Serie?
Sarpei: Ich stand mit Wolfsburg auch mal im Abstiegskampf, da haben wir uns am letzten Spieltag gerettet. Aber so eine lange Strecke ohne Sieg hatten wir auch in dem Jahr nicht. Es ist schwer, sich in die Köpfe der Spieler und der anderen im Verein hineinzuversetzen. Aber selbst wenn es mit einem ersten Sieg bald klappt: Die Saison wird trotzdem sehr, sehr schwierig. Die Mannschaft ist nicht auf der Höhe - und das ist noch nett ausgedrückt.
Bei Sky haben Sie bemängelt, die „Malocher-Mentalität“ würde fehlen. Was haben Sie genau damit gemeint?
Sarpei: Wenn man Malocher-Mentalität einem Spieler überhaupt erklären müsste, dann ist das schon ein Fehler. Ich glaube, dass der Mannschaft die Hierarchie fehlt. Es gibt nicht die vier, fünf Spieler, die so gut sind, dass sich die anderen daran aufrichten können. Aber aus so einem Gerüst entsteht so ein Malocher-Gefühl, dieses Gas geben für sich, den Verein, die Fans. Schaut man sich alle erfolgreichen Schalke-Mannschaften der Geschichte an: Da gab es immer ein solches Gebilde.
Ist das Ihrer Meinung nach auch der Grund für die hohe Anzahl an individuellen Fehlern?
Sarpei: Mit einer großen Krise kommen kleine persönliche Krisen hinzu. Jeder Spieler beschäftigt sich damit auch sehr. Dann passieren die Fehler. Ozan Kabak ist zum Beispiel ein Riesenspieler, aber er ist sehr jung. So einer muss sich an einem Mitspieler aufrichten. Aber wer soll das sein? Es heißt, dass Rönnow, Kabak, Mascarell, Serdar und Uth die Achse sein sollen. Uth wurde weggeschickt, an Köln verliehen. Jetzt kommt er zurück und soll plötzlich der Leader sein? Kabak ist wie gesagt sehr jung. Mascarell ist erfahren und Kapitän, aber er braucht immer einen weiteren Sechser neben sich, weil bei ihm manchmal die Schnelligkeit fehlt. Der Torwart ist ganz neu, soll aber direkt zum Gerüst gehören, dabei muss er mit sich kämpfen, weil er in jedem Spiel Tore ohne Ende kassiert. Und dann hast du Serdar, der sehr gut ist, aber auch noch jung und oft verletzt. Bei jedem gibt es irgendein Problem.
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Zuletzt wurden drei Spieler ganz oder vorübergehend suspendiert. Ein Gefühl, dass Sie kennen...
Sarpei: Ja, Felix Magath hatte mich in meiner Zeit als Profi auf Schalke gefeuert. Ohne Grund. Wir haben damals auswärts in Kaiserslautern 0:5 verloren, ich war nicht einmal im Kader. Und wurde trotzdem suspendiert. Trainer und Verein wollen mit solchen Mitteln ein Zeichen setzen, um Mannschaft, Spieler, den Verein aufzuwecken. Es kommt am Ende des Tages auf die Mannschaft an, wie sie reagiert - vielleicht kommt sie damit auch gut klar. Aber eine Suspendierung sollte immer einen Grund haben. Jemanden als Bauernopfer darzustellen, finde ich zu einfach. Das bemängele ich.
Wie meinen Sie das?
Sarpei: Bei Nabil Bentaleb wurde kein konkreter Grund genannt. Er ist ein Profi, mit dem man es sich besonders einfach machen kann, weil er vorher schon viermal suspendiert worden war. Da glaubt dann jeder, dass er nicht kämpfen will. Auch Bentaleb braucht ein Gerüst um sich herum, er braucht Mitspieler, die sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Die gibt es aber nicht. Außerdem: Er wurde wie Uth weggeschickt, kommt zurück und soll dann gleich auf dem Platz eine Führungsposition einnehmen? Das ist falsch. Er wirkt auf mich eben wie ein Bauernopfer.
Ist die Suspendierung von einzelnen Spielern fast schon das letzte Mittel für einen Trainer?
Sarpei: Ja. Ich glaube, dass Manuel Baum das Kapitel Schalke etwas unterschätzt hat - und damit meine ich den Satz: „Lasst mich mal machen, ich weiß, was ich tue.“ Er hat, glaube ich, nicht gedacht, dass das so schwierig wird. Dass die Probleme innerhalb und außerhalb der Mannschaft so groß sind. Erst nach sieben Spielen diese Konsequenzen zu ziehen - das ist zu spät.
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Sie waren selbst Außenverteidiger - auf beiden Seiten hat Schalke große Probleme.
Sarpei: Man hat eigentlich immer zwei Rechts- oder Linksverteidiger. Schalke aber nicht. Kilian Ludewig, der Rechtsverteidiger, ist ein junger, guter Spieler, aber eher ein Backup, um von einem älteren Spieler wie zum Beispiel Daniel Caligiuri zu lernen. Doch der durfte ablösefrei gehen. Jetzt muss Ludewig durchspielen und das ist auf diesem Level schwierig. Deshalb muss man ihm schwächere Leistungen eigentlich verzeihen - aber wir haben keine Zeit, irgendwem zu verzeihen. Sonst steigt Schalke ab.
Und auf der linken Seite?
Sarpei: Da ist Oczipka konkurrenzlos, obwohl du genau das brauchst: ernsthafte Konkurrenten. Auf die Außenverteidiger würde ich es aber nicht allein schieben, denn du brauchst immer Hilfe von deinem Vordermann oder seitlichen Partner. Das muss eingespielt sein: Wie rücke ich ein? Wie gehe ich nach vorn? Am Anfang der Saison habe ich gedacht: Die müssen erst einmal eine Taktikschulung machen, wie sie sich bewegen sollen, in welche Räume sie laufen wollen.
Haben Sie Angst vor dem Abstieg?
Sarpei: Jeder sollte sich bewusst sein: Es geht gegen den Abstieg. Schalke wird unten mitspielen. Je früher wir uns eingestehen, dass wir ganz andere Spiele sehen werden, desto besser.
Andere Spiele?
Sarpei: Ich meine damit, dass es nicht um schönen, guten Fußball geht. Die Punkte müssen geholt werden, egal wie. Jeder, der sagt, wir werden das schaffen, weil Schalke groß genug ist und es Spieler gibt, die viel besser sind als der 18. Platz, der ist in einer Traumwelt.
Sie haben vor der Corona-Pandemie angekündigt, sich um einen Platz im Aufsichtsrat zu bewerben. Inzwischen wurde die Mitgliederversammlung auf unbestimmte Zeit verschoben. Bleiben Sie bei Ihren Plänen?
Sarpei: Meine Bewerbung für ein Aufsichtsratsmandat hat nach wie vor Gültigkeit. Aber das ist Zukunftsmusik. Erst einmal geht es darum, dass Mannschaft und Verein die aktuelle Situation überleben.
Hat Schalke denn eine Chance gegen Ihren Ex-Klub Leverkusen?
Sarpei: Der 1. FC Köln macht mir Mut. Der FC hat in Dortmund gewonnen - warum soll Schalke das nicht gegen Leverkusen gelingen? Aber Leverkusen ist super drauf, deshalb wird es schwierig - vor allem, weil es keinen Push von den Fans gibt.
Herr Sarpei, Sie waren Mitglied der letzten spektakulären Schalker Mannschaft - mit Neuer, Raúl, Huntelaar, Höwedes, Draxler. Sind Sie stolz darauf?
Sarpei: Ja, bin ich. Und irgendwann sollte Schalke mal wieder eine Mannschaft haben, die groß spielt und groß denkt. Das haben die Fans verdient. Aber momentan kann der Weg nur sein, mit jungen, talentierten Spielern zu arbeiten. Erst einmal muss Schalke umdenken. Und eins muss ich sagen: Auch wenn wir große Namen hatten - in der Bundesliga haben wir katastrophal gespielt. In den wichtigen Spielen waren wir aber da. Und das wäre auch in dieser Saison wichtig, damit Schalke 15. wird. Und nicht 18.