Essen. Nach 15 Jahren gibt es wieder das Liga-Duell MSV gegen RWE. Teil eins unseres großen Doppel-Interviews mit Ingo Wald und Marcus Uhlig.

Sie kennen sich, sie schätzen sich: Das wird bei der Begrüßung zwischen Ingo Wald (64), Präsident des MSV Duisburg, und Marcus Uhlig (51), Vorstand bei Rot-Weiss Essen, gleich klar. Von Rivalität ist wenig zu spüren, auch wenn es an diesem Freitag in der 3. Liga (19 Uhr/Magentasport) zum Aufeinandertreffen der beiden Revier-Nachbarn kommt. Es ist das erste Liga-Duell seit 15 Jahren – damals flossen nach einem 3:0-Sieg für den MSV auf beiden Seiten Tränen: Der MSV stieg in die Bundesliga auf, RWE musste den bitteren Gang in die Regionalliga antreten. Vor dem Drittliga-Spiel trafen wir beide in unseren Redaktionsräumen zum großen Interview. Hier lesen Sie den ersten Teil.

Herr Uhlig, Herr Wald, wie haben Sie das bislang letzte Liga-Spiel zwischen dem MSV und RWE im Mai 2007 erlebt?

Marcus Uhlig: Ich hatte berufsmäßig nichts mit dem MSV Duisburg oder Rot-Weiss Essen zu tun, sondern habe damals für Arminia Bielefeld gearbeitet. Da ich ja bekanntermaßen seit frühester Kindheit RWE-Fan bin, habe ich das Spiel natürlich verfolgt und war dementsprechend traurig.

Ingo Wald: Ich war damals im Stadion, allerdings in einer anderen Situation, nämlich als Fan. Heute würde ich das gleiche Spiel mit der Konstellation Auf- und Abstieg natürlich ganz anders erleben. Wenn man in der Verantwortung steht, denkt man immer einen Schritt weiter. Als Offizieller kann man sich nie so auf ein Spiel einlassen wie es ein Fan tut, sondern man hat die Auswirkungen immer im Hinterkopf. Damals konnte ich das Spiel genießen, hatte nicht den Stress, den ich heute hätte.

MSV Duisburg und Rot-Weiss Essen: Klares Bekenntnis zur 50+1-Regel

Ist für Sie das Thema Tradition von besonderer Bedeutung?

Uhlig: Eindeutig ja. Ich war zwölf Jahre bei Bielefeld und bin seit über vier Jahren bei RWE. Ich bin so gestrickt, dass ich nicht für einen 08/15-Verein oder einen Projektverein arbeiten könnte. Wenn du im Fußball arbeitest, musst du dich dem Ganzen komplett verschreiben. Es muss sich nach Fußball, nach Tradition anfühlen. Zugleich sollten wir aber auch nicht nur in der Tradition verhaften bleiben, dazu neigen ja auch Umfelder von Traditionsvereinen. Man muss auch nach vorne schauen.

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Wald: Marcus und ich sind schon ein bisschen Fußballromantiker. Wir verbinden das auch immer mit Leidenschaft, die dazugehört. Auch wenn wir einen Investor haben, sind wir bekennender Befürworter der 50+1-Regel. Wir glauben, dass in Traditionsvereinen Werte über Generationen von Menschen geschaffen worden sind, die nicht einfach so in die Hände weniger gelegt werden dürfen. Das ist unsere feste Überzeugung.

Uhlig: Auch Rot-Weiss Essen bekennt sich klar zu der Form des e.V. und für den Inhalt von 50+1. Solche Vereine wie RWE oder der MSV Duisburg dürfen niemals austauschbar sein, aber das könnten sie werden, wenn irgendwelchen Investoren-Konstrukten Tür und Tor aufgemacht werden würde.

Wald: Duisburg oder Essen muss man wollen. Das ist das Entscheidende.

Uhlig: Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Wie sehr geht denn dann bei Ihnen das Herz auf, wenn es am Freitag endlich wieder heißt: MSV Duisburg gegen Rot-Weiss Essen?

Wald: Als der Spielplan kam, waren wir alle sofort elektrisiert. Jeder hat sofort nur auf das Spiel geschaut. Wir wissen beide – Marcus und ich – was es für die Stadt, für die Fans, für den Verein bedeutet.

Uhlig: Ich habe etwas gezuckt, als der Spielplan herauskam. Der Fan in mir sagte: ‚Klasse, das Spiel der Spiele zu Saisonbeginn‘ und dann kam der andere Part, der Verantwortliche, der den Schritt weiter denkt und sofort Tausend organisatorische Themen, die irgendwie mit dem Spiel zusammenhängen, im Kopf hat. Da bist du dann als Verantwortlicher nicht unbedingt froh, dass du schon am zweiten Spieltag dieses Spiel der Spiele hast. Wir müssen das ja auch begleiten, organisieren, haben Sicherheitsthemen.

Marcus Uhlig (rechts vorne) im Gespräch mit den Redakteuren Hendrik Niebuhr (links), Dirk Retzlaff (Mitte) und Justus Heinisch (hinten). Auch MSV-Duisburg-Präsident Ingo Wald hört zu.
Marcus Uhlig (rechts vorne) im Gespräch mit den Redakteuren Hendrik Niebuhr (links), Dirk Retzlaff (Mitte) und Justus Heinisch (hinten). Auch MSV-Duisburg-Präsident Ingo Wald hört zu. © Bernd Thissen

Wald: Mir kommt das Spiel aus egoistischer Seite auch zu früh. RWE kommt mit dem mehr als verdienten Aufstieg, also mit totaler Euphorie und breiter Brust. Da hätte ich schon gerne einen späteren Zeitpunkt gehabt, zumal am Mittwoch auch noch unsere Jahreshauptversammlung war. Und man unterschätzt wirklich die Komplexität, die Kleinteiligkeit einer Spieltagsorganisation. Was da von den Mitarbeitern geleistet wird, ist schon enorm.

Sie erleben Fußball in Ihren gegenwärtigen Positionen anders als als Fan. Vermissen Sie das?

Wald: Um ehrlich zu sein: Ich freue mich auf eine Zeit danach, wo ich Fußballspiele wieder anders sehen kann.

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Uhlig: Du bleibst immer Fan. Aber klar, man hat so viele Randaspekte im Kopf und die Innensicht in das wirklich sehr komplexe Thema Fußball, da verliert man schon etwas diese Fan-Naivität, die man auch immer gerne hatte. Man bewertet die Dinge anders und differenzierter, als es ein Fan tut. Am Ende des Tages ist es aber trotzdem Fußball und die schönste Nebensache der Welt.

Sie haben beide einen unterschiedlichen Hintergrund: Herr Wald kommt aus der Wirtschaft, Herr Uhlig aus der Medienbranche. Wie unterscheidet sich das zur Arbeit in einem Fußballverein?

Wald: Ich bin damals auf Wunsch in die Gremien eingetreten. Mit der Auffassung, dass Fußballvereine wie Wirtschaftsunternehmen geführt werden müssen. Das sage ich immer noch, aber man unterschätzt, dass man rationaler entscheiden kann, wenn man in der Wirtschaft ist. Ein Fußballverein ist hochemotional und ich musste auch lernen, dass Fußball gewisse Eigenarten hart – dort spielen auch Eitelkeiten, viele Randbedingungen gerne mal eine Rolle, die ich so in der Wirtschaft nicht wiedererkenne. Da lässt man sich aber auch schnell drauf ein.

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Uhlig: In der Wirtschaft ist eins plus eins immer zwei. Beim Fußball auch mal gerne drei. In Bielefeld bin ich zu dem Job des Geschäftsführers fast wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Das war eine unfassbar intensive Zeit mit ganz schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen. Der Verein taumelte auf einem schmalen Grat in die Insolvenz, war Tabellenletzter in der 3. Liga. Wir hatten die Aufgabe, den Verein wirtschaftlich zu stabilisieren und breiter aufzustellen, um irgendwann die Rückkehr in die 2. Liga zu schaffen. Beides ist damals gelungen, aber es hatte auch für mich gesundheitliche Folgen. Ich habe mich selbst rausgezogen und mir geschworen, nie wieder Verantwortung in der ersten Reihe im Fußball zu übernehmen. Und dann kam irgendwann RWE. Es hat sich angefühlt, als würde sich ein Kreis schließen. Dort arbeiten zu dürfen, wo ich als Kind Fan war, der Auftrag hier war ein etwas anderer.

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Rot-Weiss Essens Marcus Uhlig: "Die 3. Liga ist erst einmal ein Riesengewinn"

Der MSV Duisburg kommt von oben, jedes Jahr 3. Liga ist mit einem Kraftakt verbunden. RWE kommt dagegen von unten: Ist die Liga nun für Sie wirtschaftlich erst einmal ein Gewinn?

Uhlig: Man sollte nicht pauschal sagen, dass die 3. Liga eine ‚Todesliga‘ ist. Da muss jeder Verein schon auf sich gucken: Wo kommt er her, wo will er hin? Wenn wir als Rot-Weiss Essen zwölf Jahre Viertklassigkeit hinter uns haben und dann in die 3. Liga kommen mit dem Wissen, dass es in Essen eine Unternehmenslandschaft gibt, die teilweise nur darauf gewartet hat, dass wir aufsteigen, dann ist die 3. Liga erst einmal ein Riesengewinn. Wenn RWE jetzt jahrelang in der Liga spielen sollte, dann würde ich die Frage gerne noch einmal gestellt bekommen und wäre aus heutiger Sicht selbst gespannt auf meine Antwort.

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Herr Wald, Sie haben auf der Mitgliederversammlung von einer „Krisenliga“ gesprochen.

Wald: Ja, ich sehe das so. Ich kann verstehen, dass RWE mit der Euphorie und dem Schwung jetzt erst einmal alles positiv sieht. Das wird sich aber irgendwann stabilisieren und man muss dort auch die Infrastruktur etwas anpassen. Es gibt andere Anforderungen, die erfüllt werden müssen und das geht alles in die Kostenstruktur rein. Wenn die 3. Liga irgendwann Normalität wird, dann sorgt die Verteilung der Fernsehgelder für eine riesige Lücke. In der 3. Liga gibt es rund eine Million Euro, in der 2. Liga fängt es bei neun Millionen an. Da wird es unheimlich schwer, durchzustoßen. Wenn man wieder absteigt, dann kriegt man die Kostenstruktur so schnell nicht wieder reduziert.

Ingo Wald, Präsident des MSV Duisburg.
Ingo Wald, Präsident des MSV Duisburg. © Bernd Thissen

Uhlig: Als Zweitligist ist das Fernsehgeld der mit Abstand relevanteste Erlösbereich. Wenn du absteigst und plötzlich rund 90 Prozent wegfallen: Welches Unternehmen schafft es denn, die Kostenstrukturen gleich so enorm zu senken? Trotzdem musst du als Verein gefühlt genauso funktionieren. Nach außen verändert sich nicht viel. Die Berater sagen vielleicht, wir gehen 10 oder 20 Prozent mit dem Gehalt runter. Wenn man einmal etablierter Zweitligist war und dann jedes Jahr die 3. Liga finanzieren muss, dann kann ich mir schon vorstellen, dass das eine ganz andere Bewertung ist.

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Was hat sich infrastrukturell nach dem Aufstieg verändert?

Uhlig: Es sind schon ein paar Leute in der Geschäftsstelle neu dazugekommen. Wir ziehen mit der Geschäftsstelle um und verändern Prozesse. Wir müssen uns auch administrativ der neuen Liga anpassen, das passiert aber alles im Rahmen. Wir hatten bisher eine 450-Euro-Kraft, die sich um Mitglieder kümmert. Das geht jetzt nicht mehr.

Der zweite Teil des Interviews geht am Freitagmorgen um 6 Uhr online. Dort blicken Ingo Wald und Marcus Uhlig konkret auf das Spiel, sprechen über die Rivalität im Ruhrgebiet und richten einen Appell an die eigenen Fans.