Duisburg/Essen. Vor dem Derby: Warum entwickelte sich zwischen den Fans vom MSV Duisburg und von Rot-Weiss Essen eine solche Rivalität? Spur führt in die 70er.
+Diesen Text haben wir das erste Mal vor dem Hinspiel im August 2022 veröffentlicht+
Eine ausverkaufte Schauinslandreisen-Arena, kleine Provokationen unter den Fan-Lagern und eine lange gemeinsame Historie: Am Freitagabend treffen die alten Lokalrivalen MSV Duisburg und Rot-Weiss Essen nach langer Zeit wieder aufeinander. Die Spannung ist groß. Nicht nur in Fan-Foren im Internet geht es vor der Drittligapartie hoch her. Rund um die letzten Aufeinandertreffen kam es auch zu Übergriffen und Ausschreitungen. Woher kommt die große Rivalität zwischen den beiden Traditionsvereinen? Eine Spurensuche mit dem Journalisten und Schriftsteller Ralf Koss.
„Ein kulturhistorisches Phänomen und die lokale Nähe spielen da die entscheidende Rolle“, sagt der Fachmann für das Ruhrgebiet und seinen Fußball. Denn bereits in den 1950er Jahren kochten die Emotionen dann besonders hoch, wenn Nachbarn auf dem Fußballplatz aufeinandertrafen.
Für die „Zebras“ galt das bei den Duellen innerhalb der Stadtgrenzen, etwa gegen Hamborn 07 und den DSV 1900, aber auch bei den Spielen gegen Rot-Weiß Oberhausen und eben Rot-Weiss Essen. „Die Ruhrgebiets-Duelle waren damals schon brisanter als die Vergleiche mit den rheinischen Rivalen wie Viktoria Köln“, berichtet Koss, der im Duisburger Norden aufgewachsen ist.
In Essen hatten die Stadtduelle zwischen Rot-Weiss und Schwarz-Weiß noch eine andere Ebene: Der „Malocherclub“ von der Hafenstraße im Norden traf da auf die „Lackschuhe“ aus dem Essener Süden.
MSV Duisburg gegen Rot-Weiss Essen: Rauer Ton in den 1970ern
Als die Bundesliga 1963 dann noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Essener noch nicht dabei. „Der MSV orientierte sich da eher an Schalke 04“, sagt Ralf Koss. Das gelte seiner Meinung nach noch bis heute. Er ist der Überzeugung, dass das Duell in Essen einen noch höheren Stellenwert genießt als in der Stadt an Rhein und Ruhr.
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In der Bundesliga trafen RWE und der MSV erstmals 1966 aufeinander. Regelmäßig duellierten sie sich in den 1970ern. Bei den Duisburgern standen dabei die großen Spieler Dietz, Bella, Pirsig und Seeliger auf dem Rasen. In der Elf der Essener tauchte die Fußball-Prominenz unter anderem in Person von Lippens, Hrubesch und Lorant auf. Häufig behielten die „Zebras“ damals die Oberhand.
Bereits in dieser Zeit lieferten sich die Anhänger teils wilde Prügeleien. In den Fußballstadien ging es seinerzeit rau zu. Die Gästebereiche waren zwar ausgewiesen, aber nicht strikt abgetrennt wie heutzutage. „Die Polizei war von der Mannstärke damals deutlich unterlegen“, erinnert Koss. In den Zeitungsarchiven liegen Berichte über Fan-Schlägereien vor, während und nach den Fußballspielen. „Gerade die Erinnerungen an unangenehme Auswärtsspiele befeuerten die Rivalität“, ordnet der 60-Jährige ein. So mussten die Duisburger in Essen auf dem Weg zum Stadion an der Hafenstraße den Fan-Treff der Rot-Weissen passieren, heftige Auseinandersetzungen waren da vorprogrammiert. Daran beteiligten sich nicht nur gewaltbereite Fangruppen.
RWE gegen „Zebras“: Weniger Duelle, aber steigende Brisanz
Durch den sportlichen Abstieg der Essener wurden diese Revierderbys in den 80ern und 90ern zur Rarität. Aber: Wenn die Vereine gegeneinander spielten, war die Brisanz noch größer.
Hier führt Koss dann die kulturhistorische Entwicklung an: Die Medien hätten die Derbys regelrecht hochstilisiert. Wollten die hitzigen Duelle zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 nachzeichnen. „Das erhöhte die Aufmerksamkeit bereits im Vorfeld“, erklärt der Duisburger.
Dass die gegenseitige Abneigung wuchs und sich die Sicherheitslage rund um die Partien immer weiter verschlechterte, das belegen die Erfahrungen aus den wenigen Spielen der vergangenen 15 Jahre. 2007 ging es etwa am letzten Spieltag der 2. Bundesliga für den MSV um die Rückkehr ins Oberhaus, den Essenern drohte der Fall in die Regionalliga. Nur mit massivem Personaleinsatz konnte die Polizei die beiden Seiten vor dem Anpfiff ums Stadion trennen. Die „Zebras“ siegten vor heimischer Kulisse mit 3:0 – es war bis heute das letzte Punktspiel zwischen den Vereinen.
Aber: Noch zweimal trafen sich die Rivalen im Niederrheinpokal an der Hafenstraße. 2014 musste das Halbfinale dort wegen Ausschreitungen für 30 Minuten unterbrochen werden. Beim Finale 2017 registrierte die Essener Polizei rund um das Spiel 60 Strafanzeigen. Und auch bei einem Hallenturnier in der Grugahalle im Januar 2013 lieferten sich MSV- und RWE-Anhänger gewalttätige Auseinandersetzungen.
Und wie wird es am Freitagabend? „Spannung und Vorfreude sind auf beiden Seiten groß“, da ist sich Ralf Koss sicher. Er erwartet eine enge Partie mit Pokalspielcharakter. Für beide Vereine sind die beiden Wiedersehen die Höhepunkte im Spielplan. Denn: Lokale Rivalen mit einer ähnlichen Strahlkraft sucht man in der 3. Liga vergebens. Dortmund, Schalke und auch der VfL Bochum kicken zwei Klassen höher in der Bundesliga.
>> Hintergrund: Das ist Ralf Koss
- Als Journalist schrieb Ralf Koss unter anderem für den Spiegel, die Zeit und das Handelsblatt.
- Unter dem Pseudonym Kees Jaratz, das aus den Namen der MSV-Spieler Kees Bregmann, Kurt Jara und Bernard Dietz gebildet ist, hat der Autor unter anderem die „Fußballfibel“ und das Buch „Mehr als Fußball“ veröffentlicht.
- Seine Werke drehen sich um die Geschichte des Ruhrgebiets und die Bedeutung des Fußballs.