Essen. Vereine und Verbände sind aufgeschreckt, das Ausmaß der Tragödie um Nationaltorhüter Robert Enke hat der Diskussion um die Betreuung von Profifußballern eine neue Dimension gegeben. DFB-Präsident Theo Zwanziger fordert, das Thema Depression müsse enttabuisiert werden.

Mentaltrainer Jürgen Lohr. (imago)
Mentaltrainer Jürgen Lohr. (imago)

Doch das lässt sich leichter fordern als umsetzen.

In dieser Harte-Kerle-Welt fühlen sich auch psychisch angeschlagene oder gar an Depression erkrankte Spieler dazu verpflichtet, den starken Mann markieren zu müssen. „Genau deshalb ist Depression ein Tabuthema”, sagt der Bochumer Sportpsychologe und Psychotherapeut Thomas Graw, der seit Jahren den Profis des VfL Bochum seine Hilfe anbietet. „Unsere gesamte Gesellschaft muss darüber nachdenken”, meint Graw. „Depression wird leider immer mit Schwäche und mit persönlichen Defiziten assoziiert.”

Um das Tabu wirklich brechen zu können, müssten sich zuerst diese Einstellungen ändern. Graw will deshalb auch noch nicht beurteilen, ob sich durch Robert Enkes Tod etwas verändern könnte, ob Spieler mit Depressionen nun eher dazu bereit sein könnten, ihr Versteckspiel zu beenden.

Ulf Baranowsky, der Geschäftsführer der in Duisburg ansässigen Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV), berichtet, dass die Zahl der Spieler zunehme, die sich hilfesuchend an die Spielergewerkschaft wenden. Meist gehe es dabei um Leistungsblockaden und Ängste, der Druck auf die Fußballer sei größer geworden. Thomas Graw, früher als Psychologe auch Partner der VdV, bestätigt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Spieler durchaus an vielen Dingen zu knacken haben. Sie tun keinesfalls immer alles leicht ab.”

Mentaltrainer Jürgen Lohr, der für den Hamburger SV und für Borussia Dortmund arbeitete, sagt, der Fußball täte gut daran, „die Spieler schon in der Nachwuchsarbeit psychologisch zu begleiten. Sie sollen frühzeitig lernen, mit schwierigen Situationen, wie zum Beispiel einer Nichtnominierung oder einer schweren Verletzung, umzugehen."

Beim VfL Bochum hat Thomas Graw die direkte Nähe zum Team seit der Entlassung von Trainer Marcel Koller verloren , die Spieler können sich aber nach wie vor an ihn wenden und machen auch Gebrauch von diesem Angebot. Bei Borussia Dortmund, sagt Sportdirektor Michael Zorc, „gibt es Überlegungen, die Betreuung der Spieler weiter zu verbessern”. Und Schalkes Trainer Felix Magath berichtet, der Verein arbeite „sporadisch mit einem Sportpsychologen zusammen”. Das reiche nicht aus, meint Jürgen Lohr. „Psychologen haben nur dann eine Möglichkeit, sich ein Bild vom Verhalten des Spielers zu machen, wenn sie nah bei der Mannschaft sind.”

Sportpsychologe Thomas Graw.
Sportpsychologe Thomas Graw. © WP

Den Hochleistungssportlern Unterstützung anzubieten oder sie auszuweiten, ist ein unbestritten guter Ansatz. Entscheidend aber bleibt, dass der Sportler dazu bereit sein muss, sich zu öffnen, sich anzuvertrauen. „Auch ein Arzt stößt an seine Grenzen, wenn der Patient sagt, es sei alles in Ordnung”, sagt Thomas Graw.

Robert Enke täuschte auch Hans-Dieter Hermann, den Psychologen der Nationalmannschaft. Anfang September in der Sportschule Barsinghausen habe Enke über Erschöpfungssymptome geklagt, und obwohl keine konkreten Anhaltspunkte zu erkennen gewesen seien, habe Hermann auch eine Depression in Betracht gezogen. „In einem einstündigen Gespräch gab es für mich keinerlei Hinweis auf diese Erkrankung”, berichtet Hermann. „Im Gegenteil, Robert beschrieb sich als privat und sportlich glücklichen Menschen. Andererseits – was wir damals nicht wussten – war er ja in Behandlung und somit in den richtigen Händen.” Und zwar bei einem Facharzt für Psychiatrie.

Thomas Graw meint, es sei bei den Klubs sehr wohl möglich, Vertrauen zu schaffen und den Sportler dazu zu bringen, sich zumindest gegenüber dem Psychologen zu öffnen. Dabei sei es aber wichtig, dass der nicht dazu verpflichtet sein dürfe, dem Verein Bericht erstatten zu müssen. Denn die Profis wissen: Im Umfeld eines Großvereins gibt es immer undichte Stellen – Geschwätzigkeit wird zur Gefahr.

DFB-Chef Zwanziger will erreichen, „dass im Fußball jeder ohne Angst leben kann”. So viel lässt sich prophezeien: Das wird dauern. "Fakt ist", sagt Jürgen Lohr, "auch zukünftig kann ein Fall wie der von Robert Enke nicht ausgeschlossen werden“.