Mainz. Die Nichtnominierung des besten Bundesliga-Torschützen, Stefan Kießling, hat Joachim Löw vor der wichtigsten Partie des Jahres, vor dem Auftritt am Samstag im Luschniki-Stadion in Moskau (17 Uhr, ZDF) Kritik eingebracht.

Am 26. Mai 1977 wurde der Ansiedlung Pavullo nel Frignano in der Emilia-Romagna ein Sohn geboren, der fast 30 Jahre später zu großem Ruhm gelangen sollte. Luca Toni Varchetta delle Cave wurde 2006 auf Berliner Naturrasen Weltmeister mit der italienischen Nationalmannschaft. Das war nicht schön aus deutscher Sicht. Dass der Mann aber anschließend in die Arme des FC Bayern stürmte und nun nach überstandener Verletzung auch noch der Meinung anhängt, er müsse die Konkurrenzsituation beim Marktführer in München verschärfen, das muss schon als besonders grober Affront gewertet werden. Reicht es denn nicht, dass Trainer Louis van Gaal (Niederländer!) bereits durch eine Systemumstellung die Hälfte aller Arbeitsplätze in der Angriffszentrale des FCB wegrationalisiert und damit Miroslav Klose und Mario Gomez zu einem muffelig akzeptierten Job-Sharing verdammt hat?

Hochkarätige Kontrahenten aus fremden Ländern, Trainer, die sich nicht darum scheren, was der Eliteauswahl der Deutschen gut tun würde: Für Joachim Löw ist das Moderieren der Auswirkungen der Globalisierung des Fußballs natürlich Alltag. Vor der wichtigsten Partie des Jahres, vor dem Auftritt am Samstag im Luschniki-Stadion in Moskau (17 Uhr MESZ, ZDF) jedoch werden öffentlich die Was-wäre-wenn-Varianten durchdekliniert. Was wäre, wenn die Nationalelf in der Qualifikation gegen die Russen scheitern; was wäre, wenn sie erstmals auf einem sportlichen Weg vor einem zu gewaltigen Felsen stehen und die Teilnahme an einer Weltmeisterschaft verpassen würde? Einer müsste doch die Schuld schultern, einem müsste doch die Schuld an der nationalen Katastrophe angelastet werden können.

Das Lamm würde Löw heißen. Der Bundestrainer musste sich selbst der Möglichkeit berauben, nach einer eventuellen Niederlage das Wirken mieser Kräfte beklagen zu können (wichtigste Partie auf dem nicht vertrauten Geläuf Kunstrasen), weil er keine Ausrede in die Köpfe seiner Spieler implantieren durfte. Er muss anerkanntermaßen in der Innenverteidigung und auf einer Flanke der Defensive mit dem dürftigen deutschen Angebot vorlieb nehmen. Er darf im Mittelfeld zugestandenermaßen mit Variablen operieren. Allein im Sturm, da bietet Löw eine Angriffsfläche.

Gomez und Klose hat er nominiert, die Kurzarbeiter, Lukas Podolski, dem in der Bundesliga für die Kölner erst ein Treffer gelang, und Cacau, diesen Stuttgarter, der mit Toren so prasst wie ein echter Schwabe mit dem, was er auf dem Konto gebunkert hat. Dabei hätte der Bundestrainer nur mal den Rhein hoch schippern und nahe Leverkusen anlegen müssen. Da gibt es Stefan Kießling, den Stürmer, der mit sechs herbei gezwungenen Einschlägen die Liste der Goalgetter anführt.

Statistische Werte machen Hoffnung

„Jogi, können wir uns wirklich leisten, den Besten zu Hause zu lassen?" hat die Bild-Zeitung am Dienstag mit einer lauten und hinterlistigen Frage die vielleicht durchzuführende Attacke vorbereitet. Und Löw hat reagiert. Er hat gesagt: „Es gibt immer Phasen in einem Jahr, in dem in der Liga nicht in Serie getroffen wird." Er hat auf die Leistungen des Quartetts seiner Wahl im nationalen Zirkel hingewiesen. Und selbstverständlich hat sein Assistent Hansi Flick die Sprachregelung verstanden und Kießling in den Rang eines interessanten Spielers erhoben,, „den wir in unseren Notizbüchern haben". Und auch Michael Ballack, der Kapitän, hat abgeklärt die Kirche mitten im Dorf aufgebaut. Kollegen wie Klose und Podolski sollten doch einfach einen Blick auf die statistischen Werte werfen, die ihre Performance in Länderspielen dokumentiert: „Wichtig ist nur, dass jeder von sich überzeugt ist."

47 Treffer für Klose im Trikot mit dem Adler, 34 für Podolski. Das müsste doch Gewicht haben. Und in Gomez hat der Rekordmeister Bayern mehr als 30 Millionen Euro investiert. Das ist doch nicht nichts und sicher nicht für nichts. Und Cacau, das soll doch nur der Ergänzungsstürmer sein, die Nummer vier, der ballgewandte Zulieferer. Man kann sich also schon vorstellen, warum Löw diese Combo vereinigt hat in einer Stunde, in der der Minutenanzeiger magisch beschleunigt auf die Zwölf zustrebt. Am Ende aber, nach dem Gongschlag, der noch so quälerisch hinausgezögert wird durch die letzte Qualifikationspartie gegen Finnland am kommenden Mittwoch, durch die möglichen Relegations-Auseinandersetzungen, wird eine neue Zeitrechnung beginnen, die Abrechnungszeitrechnung. Vielleicht öffnet ja in Russland einer das Tor zum Glück, der aus der Tiefe des Raums nach vorne durchstartet. Für diesen Fall ist schon jetzt festzuhalten: Löw hätte alles richtig gemacht mit seiner Aufstellung im Sturm.