Moskau. Im WM-Qualifikationsspiel gegen Russland am Samstag sind personelle Überraschungen von der deutschen Nationalelf zu erwarten. Weil ein besonderer Untergrund besondere Spieler erfordert.

Beim Spiel vor dem Spiel sieht Joachim Löw wie der sichere Sieger aus. Wenn er nicht noch die Nerven wegschmeißen sollte wie Anfang der Dreißiger Österreichs legendärer Trainer Hugo Meisl („Hier habt's euer Schmieranski-Team!”), dürften die Journalisten in Moskau kaum einen Stich machen, zumindest kaum einen besonders wertvollen. Natürlich wird Michael Ballack, der Kapitän, in der mit Bedeutung wie ein Michelin-Männchen aufgepumpten WM-Qualifikationspartie am Samstag im Luschniki-Stadion (17.00 Uhr MESZ, live im ZDF) auflaufen. Natürlich wird Rene Adler im Tor stehen, das ist dem Leverkusener in die Handschuhe versprochen. Und der Bundestrainer redet in diesen Tagen auch nur zurückhaltend über „zwei, drei Möglichkeiten”, die er noch habe, „was die Besetzung der Mannschaft betrifft”. Doch es sind mehr diesmal, viel mehr. Es sind verwirrend viele.

Geheimhaltungsstufe eins

Die Journalisten werden beim Zocken um Informationen, bei diesem Sammeln von Indizien, die Auskunft geben sollen über den Aufstellungsbogen, wohl verlieren. Das liegt daran, dass bei einer solch gewichtigen Begegnung die Geheimhaltungsstufe eins herrscht. Das liegt daran, dass zwei Combos aufeinander prallen werden, die taktisch und mit ihren individuellen Ressourcen zur Elite Europas zählen. Und das liegt am Rasen, der, das allerdings wurde bereits vom einen oder anderen Medienvertreter enthüllt, ein Kunstrasen sein wird.

Abgeschenkt wird das Spiel dennoch nicht: Auf diesem widernatürlichen Untergrund sind die gedanklich fixen, die körperlich geschmeidigen und technisch versierten Akteure im Vorteil. Spieler wie Mesut Özil, der filigrane Hoffnungsträger am Regiepult. Löw, der zuletzt öfter auf Probleme seiner Auswahl mit dem 4-4-2-System hingewiesen hat, wird den Bremer wieder zentral hinter einem einsamen Stürmer platzieren. Und dass der Bundestrainer mit den Namen Ballack, Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker jonglierte, als er über die Erfahrenen plauderte, die in Momenten, in denen Gefahr droht, „Zuversicht und Klarheit ausstrahlen”, lässt weitere Schlüsse zu.

Der Kern der Mannschaft

Lahm assistierte dem Chef. „Wichtig”, sagte der jungenhafte Bayer mit dem Prädikat Führungskraft, „wichtig ist, dass es einen Kern in der Mannschaft gibt.” Dieser Kern soll für Stabilität, für Abgeklärtheit sorgen, wenn die Russen kommen. In der Defensive, da wo einem unberechenbaren Schläfer und Wirbelwind wie Arsenal-Star Andrej Arschawin, die Freiheit geraubt werden muss, könnte der Bundestrainer denen vertrauen, die beim 2:1-Hinspiel-Sieg in Dortmund allein in der Schlussphase Chancen zuließen: Lahm, Mertesacker, vielleicht Heiko Westermann innen, Arne Friedrich auf der rechten Seite. Oder er versetzt den Berliner doch ins Zentrum und setzt auf die Explosivität eines Andreas Beck rechts, auf dem Flügel, über den Attacken inszeniert werden können.

„Was mir ein gutes Gefühl gibt”, hat der Bundestrainer erklärt, „ist, dass wird das Spiel nicht auf Teufel-komm-raus gewinnen müssen.” Man führt schließlich die Tabelle mit einem Punkt Vorsprung an. Und in Hamburg könnte am kommenden Mittwoch auch nach einem Remis mit einem Erfolg gegen Finnland die Reise nach Südafrika gebucht werden. Doch es hängt ein Grauschleier über Moskau. Fast unentwegt regnet es, schüttet es, und der Kunstrasen, er wird unter diesen Bedingungen den Ball, das Spiel enorm beschleunigen. Überfallartig müssen deshalb die Gegenangriffe eingeleitet werden. Oder, wie es Löw kurzzeitig etwas zu sehr euphorisiert formulierte: „Wir müssen mit zehn, elf Mann auf die Offensive umschalten.”

Hinten abdichten

Bleibt der Hüter des Tores Adler trotz seiner fußballerischen Fähigkeiten einmal außen vor, bedeutet das: Hinten abdichten, den Ball erobern und von den erfahrenen, abgeklärten Klempnern präzise in die andere Richtung manövrieren lassen. Sollte Löw das 4-2-3-1-System bevorzugen, was sich abzeichnet, könnten Özil, der wendige Piotr Trochowski und der immer der Virtuosität verdächtige Bastian Schweinsteiger zur offensiven Mittelfeld-Dreierkette zusammengeschweißt werden. Und dahinter könnten der Stratege Ballack mit Adjutant Thomas Hitzlsperger die Schutzfunktion für den Stürmer (Klose) und die Dränger übernehmen.

Dass der Bundestrainer aber über weitere Optionen verfügt, dürfte klar sein. Marko Marin ist ein Wusler, wie gezeugt für Kunstrasen. Lukas Podolski hat einen strammen Distanzschuss im Repertoire, der auf Plastik hilfreich sein kann. Der Schmieranski übernimmt also keine Gewähr und räumt ein: Nur wenn der zur Verwegenheit neigende Weltfußballverband zugelassen hätte, die wichtigste Partie der Qualifikation auf dem Roten Platz auszutragen, könnte die Spielerei um den Aufstellungsbogen noch anspruchsvoller sein.