Moskau. Die Nationalmannschaft glaubt, sich vor der Partie am Samstag gegen Russland in Mainz gut auf den Kunstrasen in Moskau vorbereitet zu haben. Doch muskuläre Belastungen sind der Nebeneffekt.
Irgendjemand wird den Nationalspieler immer fragen, wie er denn die Stadt so finde, in der er sich gerade aufhält. Und der Nationalspieler wird dem Vertreter des lokalpatriotischen Journalismus garantiert immer sehr verbindlich antworten, ähem, die Stadt, ähem, die Stadt, von der habe ich gar nicht so viel gesehen. Nationalspieler sehen nämlich keine Städte, sie sehen Plätze, weltweit, sie ertasten sie sogar mit Noppen unter den Schuhen oder mit Stollen. Bastian Schweinsteiger konnte deshalb in Mainz, wo die Nationalmannschaft vor ihrer Reise zum WM-Qualifikationsspiel nach Russland probte, nichts, rein gar nichts über Mainz sagen, aber über den Kunstrasenplatz der ortsansässigen 05er wusste er schon vor der vierten und letzten Trainingseinheit am frühen Donnerstag einiges. Zum Beispiel: „Man merkt, dass man die Gelenke mehr spürt.”
„Man merkt, dass man die Gelenke mehr spürt”
Am Donnerstagmittag hat sich Schweinsteiger dann in Frankfurt in ein Flugzeug gesetzt, das ihn nach Moskau transportierte. Den dort anliegenden Kunstrasenplatz besichtigte der Experte bereits im November 2006. Seinerzeit, vor der Champions-League-Partie des FC Bayern München gegen Spartak Moskau, hatte sein damaliger Trainer Felix Magath vor dem Aufgalopp das böse Wort „Wettbewerbsverzerrung” ins Spiel geworfen, und Manager Uli Hoeneß grantelte über den „Wahnsinn”, eine solch hochrangige Begegnung auf einem Untergrund austragen zu lassen, mit dem allein der Gegner vertraut sei. Schweinsteiger erinnert sich allerdings nur noch daran, dass das grüne Rechteck im Luschniki-Stadion ziemlich lang ausgedehnt war und irgendwie dem in Mainz doch nicht so ähnlich, wie es die Führung der Nationalelf erhofft hatte.
Bundestrainer Joachim Löw und seine Crew schienen überhaupt ein wenig überrascht zu sein von der Macht des Künstlichen. Gewöhnen sollten sich die teuren Körper an die Bedingungen, unter denen sie am Samstag (17 Uhr, ZDF) die allgemein mit Bedeutung kräftig aufgeheizte WM-Qualifikationspartie bestreiten müssen. Die Trainingseinheit am Mittwochnachmittag wurde allerdings kurzerhand abgesagt und das Zeitfenster für die Regeneration geöffnet. Und auch am Donnerstag vor dem Abflug ist die Belastungsintensität für die Beine reduziert worden. Taktische Maßnahmen standen auf dem Programm und das Einüben von Stan-dardsituationen, bei denen der Ball bekanntlich häufig ruht. Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff hat beob-achtet, dass „der Physiotherapeut etwas länger arbeiten musste”, verkündete jedoch tapfer: „Wir dürfen das nicht als Problem betrachten.”
Inwieweit die „andere muskuläre Belastung” (Bierhoff) doch zu einem Problem wachsen könnte, hat Löws Assistent Hansi Flick angedeutet. Die Umstellung, meinte er, könne jeder Jogger nachvollziehen, der von Waldboden auf knackharten Asphalt wechseln müsse. Daraus lässt sich schließen, dass das Training auf Mainzer Kunstrasen einerseits einen positiven Effekt gehabt haben muss (das Verhalten des Balls verstehen lernen), andererseits aber die Konstitution vor der Ausein-andersetzung mit den als superfit eingeschätzten Russen zumindest nicht gestärkt haben dürfte. Und weil der Nationalspieler am Sonntag vom Moskauer Rasen zum Rasen in Hamburg weitereilt, auf dem am kommenden Mittwoch die letzte und vielleicht dann erst entscheidende Partie gegen Finnland anberaumt ist, muss der durch den Bodenbelag entstehende Nachteil noch einmal multipliziert werden.
Für den Ernstfall aller Ernstfälle, das mögliche Verpassen der Weltmeisterschaft in Südafrika, hat Bierhoff sich bereits vorab bei Theo Zwanziger, dem deutschen Fußball-Präsidenten, dafür bedankt, dass der sich an so etwas wie einer Arbeitsplatzgarantie versucht hatte. Er selbst wollte auch „nicht überdramatisieren. Auch andere Nationen haben sich mal nicht für eine WM qualifiziert”. Dass Löw, Flick, der Teammanager, weitermachen dürften, wenn die Flaggen der Fußballnation auf Halbmast wehen sollten, ist allerdings ein surreales Szenario. Ein Dali-Motiv, zerlaufende Uhren über Schlagzeilen, die Blattformate sprengen. Noch ist aber nicht angedruckt. Und Schweinsteiger, der Rasenkenner, hat mit den Bayern in Moskau übrigens 2:2 gespielt. Trainer Magath hat sich danach wieder aufgeregt. Weil seine Künstler den zum Greifen nahen Sieg verzockt hatten.